Valéry Giscard d'Estaing 1926 - 2020

Valéry Giscard d‘Estaing ist ein französischer Politiker und Staatspräsident von 1974 bis 1981. Er setzt sich für die europäische Einigung ein und prägt gemeinsam mit Bundeskanzler Helmut Schmidt die deutsch-französischen Beziehungen nachhaltig. In Frankreich kann der liberale Politiker eine Reihe modernisierender Reformen in sozialen Fragen umsetzen.

  • 1926

    2. Februar: Valéry Giscard d’Estaing wird in Koblenz im damals französisch besetzten Rheinland geboren. Seine Familie ist wohlhabend und stammt ursprünglich aus der Auvergne (Château de Varasse). Der adelige Nachname „d’Estaing“ geht auf einen Titelkauf von Valérys Vater Edmond im Jahr 1922 zurück.

    Die Familie hat außer Valéry noch vier weitere Kinder.

    Edmond Giscard d'Estaing ist hoher Finanzbeamter und 1926 Direktor des Finanzdepartements des französischen Hochkommissariats im Rheinland. Später ist er in der Wirtschaft tätig und Präsident der Internationalen Handelskammer. Hier engagiert er sich – wie später sein Sohn – für die französische Europa-Bewegung.

    Juli: Edmond Giscard d’Estaing wird nach Paris versetzt.

    Valéry Giscard d’Estaing besucht das Lycée Blaise-Pascal in Clermont-Ferrand, die École Gerson, die Lycées Janson-de-Sailly und Louis-le-Grand in Paris.

    Danach beginnt er ein Studium an der renommierten Ingenieurhochschule École polytechnique in Paris.

  • 1944

    Giscard d’Estaing muss sein Studium unterbrechen, um Kriegsdienst in der 1. Armee unter General Lattre de Tassigny in Deutschland zu leisten.

  • 1945-1951

    Giscard d’Estaing kann sein Studium an der École polytechnique nach Kriegsende mit Auszeichnung abschließen. Zur Weiterqualifizierung geht er von 1949 bis 1951 auf die berühmte Verwaltungshochschule École nationale d'administration (ENA).

  • 1952

    Giscard d’Estaing heiratet die 19-jährige Anne-Aymone Sauvage de Brantes. Das Paar hat zusammen später vier Kinder: Valérie-Anne (* 1953), Henri (* 1956), Louis (* 1958) und Jacinte (* 1960).

  • 1952-1956

    Er beginnt seine berufliche Karriere zunächst im Finanzministerium. 1954 ist er für einige Monate stellvertretender Kabinettschef des damaligen Finanzministers Edgar Faure.

  • 1956

    Giscard d’Estaing legt seine Tätigkeit im Finanzministerium nieder, um ein Abgeordnetenmandat für das Département Puy-de-Dôme anzunehmen, für das schon sein Großvater lange Zeit einen Sitz innehatte. Er ist Mitglied der gemäßigt rechten Partei Centre national des indépendants et paysans (CNI).

    2. Januar: Er wird als Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt.

  • 1956-1958
    Giscard d’Estaing ist Mitglied der französischen UNO-Delegation.
  • 1959

    Januar: Staatssekretär im Finanzministerium.

  • 1962-1966

    Januar: Giscard d’Estaing wird als jüngstes Kabinettsmitglied zunächst Finanz- und dann Wirtschafts- und Finanzminister.

    Er setzt sich für eine wirtschaftliche Stabilisierungspolitik ein. Es kommt jedoch wegen des stagnierenden Wirtschaftswachstums zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und General Charles de Gaulle. Schließlich wird Giscard d’Estaing nach Bildung des neuen Kabinetts unter Georges Pompidou durch Michel Debré ersetzt.

  • 1966-1973

    Giscard d’Estaing ist Parteiführer der Unabhängigen Republikaner (seit 1977 Parti Republicain, PR), die sich 1962 vom Centre National des Indépendants abgespalten hat.

  • 1969-1974

    Nach der Wahl Georges Pompidous zum Präsidenten wird Giscard d’Estaing erneut zum Finanz- und Wirtschaftsminister im Kabinett von Premierminister Jacques Chaban-Delmas ernannt. Auch im Kabinett von Premier Pierre Messmer verbleibt Giscard d’Estaing ab 1972 in dieser Funktion.

  • 1974-1981

    Giscard d’Estaing wird am 19. Mai 1974 mit 48 Jahren als jüngster Kandidat zum Präsidenten Frankreichs ernannt.

    Als Präsident liberalisiert er viele soziale Fragen. So lockert er die Abtreibungsgesetze, lässt das Wahlalter auf 18 Jahre senken und bringt ein Gesetz zur Scheidung „im gegenseitigen Einvernehmen“ auf den Weg.

    Außenpolitisch intensiviert Giscard d’Estaing die Kontakte mit Iran und den Ländern des Nahen Ostens. So besucht der Schah Reza Pahlawi von Persien Paris im Juni. Im August desselben Jahres hebt Frankreich das Embargo für Waffenlieferungen an Iran auf.

  • 1975

    Der Präsident besucht Algerien, Tunesien und Ägypten. Dies verschlechtert die französisch-israelischen Beziehungen.

    Giscard d’Estaing ist Befürworter des europäischen Aufbauprozesses und der deutsch-französischen Zusammenarbeit. So initiiert er gemeinsam mit Bundeskanzler Helmut Schmidt das erste Weltwirtschaftstreffen der größten Industrienationen. Die Gruppe „G6“ bestehend aus Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und den USA trifft sich zum ersten Mal vom 15. bis 17. November 1975 im französischen Rambouillet. Später erweitert sich die Gruppe mit Kanada und Russland zu den „G8“.

    Durch die intensive Zusammenarbeit zwischen Giscard d’Estaing und Schmidt entwickelt sich das EU-Organ des Europäischen Rates von einer eher informellen „Kaminrunde“ zum Entscheidungsgremium. Es wird zur wichtigsten Institution für die europäische Integration und erhält eine große Machtfülle.

  • 1976

    Auf Widerstand stößt Giscard d’Estaing bei gaullistischen Politikern und dem französischen Unternehmerverband.

    August: Es kommt zum Bruch zwischen Giscard d’Estaing und Premierminister Jacques Chirac. Dieser tritt zurück. An seine Stelle tritt der Wirtschaftswissenschaftler und bisherige Außenhandelsminister Raymond Barre. Er entwickelt gemeinsam mit Giscard d’Estaing einen Plan zur Wirtschafts- und Sozialreform.

  • 1977

    März: Bei den Kommunalwahlen kommt es zu einem Linksruck, Giscard d’Estaing verliert die parlamentarische Mehrheit. Es kommt zu Auseinandersetzungen mit den Gaullisten.

    Ab Dezember: Giscard d’Estaing unterstützt die ehemalige Kolonie Mauretanien militärisch bei ihrem Kampf gegen Separatisten in der West-Sahara. Obwohl französische Jagdflugzeuge und Napalm eingesetzt werden, scheitert die „Opération Lamantin“ und Mauretanien muss sich zurückziehen.

  • 1978

    März: Vor den Parlamentswahlen schließt sich Giscard d’Estaings Partei Parti républicain (PR), mit weiteren liberalen Parteien zum Bündnis Union pour la démocratie française (UDF) zusammen. Zusammen mit dem bürgerlichen Rassemblement pour la République (RPR) schaffen es die Liberalen sich mit knapper Mehrheit gegen das Linksbündnis unter François Mitterrand durchsetzen.

  • 1979

    Januar: Gemeinsam mit Bundeskanzler Helmut Schmidt entwirft Giscard d’Estaing das Europäische Währungssystem (EWS). Dessen Ziel einer gemeinsame EU-Währung verwirklicht sich 1999 mit Einführung des Euro.

    Juni: Auf Anregung von unter anderem Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt wird die Direktwahl für das Europäische Parlament eingeführt. EU-Bürger können ihre Abgeordneten jetzt selbst und direkt wählen.

    Oktober: Giscard d’Estaing besucht als erster französischer Präsident West-Berlin. Dort bekräftigt er die Garantie Frankreichs für die Sicherheit und Freiheit der Stadt.

    Ein Bericht der Zeitung „Le Canard Enchaîné“ weitet sich für Giscard d’Estaing zum Skandal aus: 1973 habe er – damals noch Finanzminister – bei einem Staatsbesuch im Zentralafrikanischen Kaiserreich Diamanten von Diktator Jean-Bédel Bokassa angenommen. Zu diesem unterhält Giscard d’Estaing zunächst freundschaftliche Beziehungen, erst später distanziert er sich von ihm und hilft mit französischen Truppen dabei, ihn zu entmachten. Trotzdem erhält Bokassa Asyl in Frankreich, wohin er mit gestohlenen Millionen des Staates flüchten kann. Obwohl Giscard d’Estaing die Geschenke zurückgibt, schädigt die politische Affäre seinen Ruf nachhaltig.

    Giscard d’Estaing wird mit dem französischen Verdienstorden „Großkreuz der Ehrenlegion“ ausgezeichnet.

  • 1980

    März: Giscard d’Estaing unternimmt als Präsident eine ausgedehnte Nahost-Reise, in deren Mittelpunkt auch wirtschaftliche Interessen und eine Sicherung der französischen Ölversorgung stehen. Giscard d’Estaing erkennt während der Reise offiziell das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser an und spricht sich für eine Beteiligung der PLO an künftigen Friedensverhandlungen aus. Diese Haltung sorgt für heftige Kritik seitens der französischen Juden.

    Mai: Ebenfalls umstritten ist Giscard d’Estaings überraschendes Treffen mit dem sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew in Polen. Giscard d’Estaing kommt damit Moskau entgegen, um es aus seiner internationalen Isolation zu befreien.

    Juli: Giscard d’Estaing absolviert seinen ersten offiziellen Staatsbesuch in der Bundesrepublik.

    Oktober: Giscard d’Estaing besucht die Volksrepublik China.

  • 1981

    April/Mai: Bei den französischen Präsidentschaftswahlen unterliegt Giscard d’Estaing überraschend im zweiten Wahlgang seinem Konkurrenten Francois Mitterand (mit 48,2 Prozent zu 51,8 Prozent).

    19. Mai: Ende von Giscard d’Estaing Amtszeit als Präsident. Er zieht sich zunächst ins Privatleben zurück.

  • 1982

    März: Rückkehr in die aktive Politik. Giscard d’Estaing kandidiert erfolgreich für die Kantonalwahlen in Chamalières.

    November: Versöhnungsessen mit dem langjährigen politischen Konkurrenten Jacques Chirac. Giscard d’Estaing tritt wieder auf einem Kongress der UDF-Fraktion auf, sodass Gerüchte nach einem politischen Comeback laut werden.

  • 1984

    September: Giscard d’Estaing kandidiert für seinen Wahlkreis Puy-de-Dôme, erhält dort 62 Prozent der Stimmen und gelangt so wieder in die französische Nationalversammlung.

  • 1987

    Giscard d’Estaing teilt mit, dass er für die Präsidentschaftswahlen 1988 nicht zur Verfügung stehe.

    April: Übernahme des Vorsitzes des außenpolitischen Ausschusses in der Nationalversammlung (bis 1989).

  • 1988

    April/Mai: Bei den Präsidentschaftswahlen scheitern sowohl der Kandidat von Giscard d’Estaings UDF sowie der bürgerliche Kandidat Chirac gegen François Mitterand. Giscard d’Estaing erhebt daraufhin Anspruch auf Führung der politischen Mitte Frankreichs. Im Juli wird er dann zum Vorsitzenden der UDF-Partei bestimmt.

  • 1989

    Juni: Erfolgreiche Kandidatur bei den Europawahlen als Kandidat einer RPR/UDF-Liste. Giscard d’Estaing ist bis 1993 Mitglied des Europäischen Parlaments.

    Dezember: Übertritt von der liberalen Fraktion (EP) im Europäischen Parlament zur Europäischen Volkspartei (EVP).

  • 1993

    März: Bei den Parlamentswahlen ist Giscard d’Estaings UDF gemeinsam mit der RPR erfolgreich und kann sich mit 213 bzw. 247 Mandaten klar gegen die Sozialisten (54 Mandate) durchsetzen. Giscard d’Estaing ist daraufhin wieder Abgeordneter in der Nationalversammlung und hat den Vorsitz des außenpolitischen Ausschusses inne.

  • 1994

    November: Obwohl Giscard d’Estaing in den Jahren zuvor noch Ambitionen auf eine erneute Amtszeit als Präsident für die Wahl 1995 geäußert hat, erklärt er nun seinen Verzicht auf das höchste Amt im Staat. Im nächsten Jahr wird Jacques Chirac zum Präsidenten gewählt.

  • 1995

    Juni: Erfolglose Kandidatur um den Bürgermeisterposten von Clermont-Ferrand.

  • 1996

    31. März: Auf einem Parteitag in Lyon übergibt Giscard d’Estaing den Parteivorsitz der UDF an François Léotard.

  • 1997

    Giscard d’Estaing wird zum Präsidenten des Rats der europäischen Kommunen und Regionen ernannt.

  • Ab 2001

    Giscard d’Estaing wird zum Präsidenten des neu geschaffenen Gremiums des „EU-Reformkonvents“ bestimmt. Dieser soll die grundlegende Neuorganisation der EU vorbereiten. Der Konvent arbeitet unter Giscards Vorsitz einen "Vertrag über eine Verfassung für Europa" aus. Der 2003 vorgelegte Entwurf sieht unter anderem einen hauptamtlichen EU-Präsidenten vor. Er wird scharf kritisiert. Da Staaten wie Frankreich und die Niederlande diesen EU-Vertrag 2005 bei Volksabstimmungen ablehnen, scheitert das Vorhaben einer EU-Verfassung. Stattdessen wird 2007 der „Vertrag von Lissabon“ verabschiedet.

  • 2002

    Giscard d‘Estaing gibt sein Mandat im Nationalrat auf.

    Er spricht sich öffentlich gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU aus.

  • 2003

    Mai: Giscard d’Estaing wird mit dem Internationalen Aachener Karlspreis ausgezeichnet, da er „sich über viele Jahrzehnte in unterschiedlichen Funktionen um das Vereinte Europa verdient gemacht" habe.

    Dezember: Er wird als erster ehemaliger Staatschef in die Académie française gewählt.

  • 2004

    Bei den Regionalwahlen muss Giscard d’Estaing mit seinem Listenbündnis aus UDF und der UMP (Union pour un mouvement populaire) im Département Puy-de-Dôme eine Niederlage einstecken. Giscard verliert damit nach 18 Jahren den Vorsitz des Regionalrates in der Auvergne. Daraufhin zieht er sich aus der aktiven Politik vollständig zurück.

    Giscard d’Estaing engagiert sich aktiv im französischen Verfassungsrat.

  • 2005

    Giscard d’Estaing kauft zusammen mit seinem Bruder Olivier für rund 750.000 Euro ein Schloss im französischen Ort Estaing in der Auvergne, aus dem seine Familie stammt. Das aus dem 15. Jahrhundert stammende Schloss gehörte einst dem Adelsgeschlecht, von dem Giscards Vater den Adelstitel 1922 erwarb.

  • 2006

    Januar: Der von den Regierungen Deutschland und Frankreich gestiftete Adenauer-de-Gaulle-Preis geht an Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt.

  • 2007

    Er unterstützt bei den Präsidentschaftswahlen den konservativen Kandidaten Nicolas Sarkozy, der sich schließlich in einer Stichwahl gegen die Sozialistin Ségolène Royal durchsetzen kann.

  • 2009

    Für Kritik sorgt Giscard d'Estaings neues Buch „Die Prinzessin und der Präsident“. Der Liebesroman befeuert Gerüchte um ein Verhältnis zwischen der 1997 verunglückten englischen Prinzessin Diana und dem ehemaligen Präsidenten.

  • 2014

    Mai: Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing werden erneut zusammen ausgezeichnet. Sie erhalten den Deutsch-Französischen Medienpreis für ihre Verdienste um die deutsch-französischen Beziehungen.

  • 2020

    2. Dezember: Valéry Giscard d'Estaing stirbt an den Folgen einer Coronavirus-Erkrankung in Authon im französischen Département Loir-et-Cher.

 

(se) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 03.12.2020
Text: CC BY NC SA 4.0

Empfohlene Zitierweise:
Eimermacher, Stefanie: Biografie Valéry Giscard d'Estaing, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/biografie/valery-giscard-d-estaing.html
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