Mit der Forderung nach einer Reform der Hochschulen entwickelt sich seit 1965 von Berlin aus eine studentische Protestbewegung, die bald zu einer Studentenrevolte gegen die etablierte Wertewelt der westdeutschen Gesellschaft heranwächst. Sie bildet den Kern der "Außerparlamentarischen Opposition" (APO), die sich angesichts der Schwäche der parlamentarischen Opposition während der Großen Koalition formiert. Mit Demonstrationen und Blockaden verleihen diese Studenten ihrer Forderung nach Umgestaltung der Gesellschaft Nachdruck. Grundlage ihrer Gesellschaftskritik ist der wiederentdeckte Marxismus.
Diese Studenten wenden Theorien der Politologie und Soziologie auf die gesellschaftliche Wirklichkeit der Bundesrepublik an, deren politisches System sie aus marxistischer Sicht als "reaktionär" verurteilen. In ihren Augen hat die auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau konzentrierte Vätergeneration eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Ursachen versäumt. Rosa Luxemburg, Mao Tse-tung und Che Guevara werden als Vorkämpfer eines "revolutionären Kampfes" gefeiert. Großen Einfluss haben auch die Sozialwissenschaftler der "Frankfurter Schule", Herbert Marcuse, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die mit ihrer Kritik an der kapitalistischen Überflussgesellschaft zu den geistigen Vätern der Studentenbewegung zählen.
Die Studentenrevolte ist ein internationales Phänomen. Der amerikanische Einsatz in Vietnam und die westliche Unterstützung autoritärer Regime in der Dritten Welt treffen überall auf Protest. Der gewaltsame Tod des Studenten Benno Ohnesorg (geb.1941) am 2. Juni 1967 während der Demonstration gegen den Schahbesuch löst in vielen westdeutschen Städten Unruhen aus. Es kommt zu Brandanschlägen gegen den Springer-Verlag, dem antistudentische und antikommunistische Hetze vorgeworfen wird, und gegen Kaufhäuser als Symbole des verhassten "kapitalistischen Systems". Der Polizist Karl-Heinz Kurras, der Benno Ohnesorg mit seiner Dienstwaffe erschossen hat, muss sich wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten, wird jedoch in mehreren Instanzen freigesprochen. Die Behandlung des Falls Kurras durch Justiz und Politik führt bei vielen Studenten zu einer grundsätzlichen Ablehnung des Staates. Im Mai 2009 wird durch einen Zufallsfund im Aktenbestand der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, der sogenannten Birthler-Behörde, überraschend bekannt, dass Kurras Mitglied der SED und inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit war. Die Bundesanwaltschaft lässt darauf hin prüfen, ob ein Anfangsverdacht für weitere Ermittlungen besteht und ob es sich beim Tod Benno Ohnesorgs möglicherweise um einen Auftragsmord der Stasi gehandelt hat. Schwere Gewalttaten ruft auch das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke im April 1968 hervor. Kurz danach erreicht die Protestwelle mit der Demonstration gegen die Notstandsgesetze ihren Höhepunkt.
(ahw, reh) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 14.03.2016
Text: CC BY NC SA 4.0
Empfohlene Zitierweise:
Hinz-Wessels, Annette/Haunhorst, Regina: Studentenbewegung und APO, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-modernisierung/bundesrepublik-im-wandel/studentenbewegung-und-apo.html
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