Fritz Bauer 1903 - 1968

Fritz Bauer ist ein deutscher Jurist. Als hessischer Generalstaatsanwalt setzt er sich in der Nachkriegszeit für die Verfolgung von NS-Verbrechen ein. Bauer bringt die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in Gang und ist an der Ergreifung des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann beteiligt. Als „unbequemer Mahner“ gegen die Verdrängung der NS-Zeit nimmt er in der bundesrepublikanischen Justiz der Nachkriegszeit eine Außenseiterposition ein.

  • 1903

    16. Juli: Fritz Bauer wird in Stuttgart als Sohn liberal-jüdischer Eltern geboren. Sein Vater ist Textilgroßhändler. Bauer hat eine Schwester, Margot.

  • 1912-1921

    Bauer besucht das humanistische Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart.

  • 1920

    Bauer wird Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

  • 1921-1928

    Bauer beginnt ein Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg. Weitere Stationen in seinem Studium sind München und Tübingen. 1927 wird er zum Dr. jur. promoviert bei Karl Geiler, dem späteren ersten Ministerpräsidenten Hessens. Im Februar 1928 legt Bauer seine große Staatsprüfung ab.

  • 1928

    Bauer wird Gerichtsassessor beim Amtsgericht Stuttgart.

  • 1930

    Bauer ist mit 26 Jahren jüngster Amtsrichter in der Weimarer Republik.

    Er ist Mitgründer des Republikanischen Richterbundes in Württemberg und wird Vorsitzender der Stuttgarter Ortsgruppe des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, einer überparteilichen Organisation zur Verteidigung der Weimarer Republik (1919-1933).

  • 1933

    Die Nationalsozialisten entlassen Bauer aus dem Justizdienst und internieren ihn im Konzentrationslager Heuberg. Dort trifft er auf den ehemaligen SPD-Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher. Nach acht Monaten Haft wird Bauer Ende 1933 aus dem KZ entlassen.

  • 1936

    Bauer emigriert nach Dänemark. Die dänische Polizei verdächtigt ihn homosexueller Kontakte, observiert und verhört ihn diesbezüglich.

  • 1940/41

    Bauer wird nach der Besetzung Dänemarks durch deutsche Truppen zweimal für kurze Zeit interniert. Danach taucht er unter und lebt über zwei Jahre in der Illegalität.

  • 1943

    4. Juni: In Kopenhagen heiratet Bauer die dänische Kindergärtnerin Anna Maria Petersen.

    Um den Deportationen in Dänemark lebender Juden durch die Nationalsozialisten zu entgehen, flieht Bauer am 13. Oktober mit seinen Angehörigen ins neutrale Schweden. Er arbeitet für das wissenschaftliche Institut der Gewerkschaften und tritt mehreren politischen Gruppen bei: dem „Internationalen Wirtschaftspolitischen Arbeitskreis“, dem „Freien Deutschen Kulturbund“ und dem „Arbeitsausschuss deutscher antinazistischer Organisationen“. Ein Stipendium des Stockholmer Sozialwissenschaftlichen Instituts sichert seine wirtschaftliche Existenz.

  • 1944/45

    In Stockholm gründet Bauer zusammen mit dem späteren Bundeskanzler Willy Brandt die Zeitschrift „Sozialistische Tribüne“.

  • 1945

    Nach Kriegsende geht Bauer wieder nach Dänemark. Er möchte schnellstmöglich nach Deutschland zurückkehren und bietet sich bei der amerikanischen Besatzungsmacht für einen Posten im Staatsdienst an. Da er ihn nicht erhält, bleibt er weitere vier Jahre in Dänemark und arbeitet dort in der Preis- und Monopolabteilung des Handelsministeriums. Dann wird er zur Bildungs- und Kulturarbeit in einen Flüchtlingsausschuss berufen, der bei der Entnazifizierung deutscher Flüchtlinge helfen soll. Außerdem arbeitet er bei der deutschsprachigen Zeitschrift „Deutsche Nachrichten“ in Kopenhagen.

  • 1949

    Bauer zieht zurück nach Braunschweig. Seine Ehefrau Anna Maria Petersen bleibt in Dänemark.

    Nach Gründung der Bundesrepublik tritt Bauer unter Vermittlung des damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher eine Stelle als Landgerichtsdirektor in Braunschweig an.

  • 1950

    Bauer steigt zum Generalstaatsanwalt am dortigen Oberlandesgericht auf.

  • 1952

    Internationales Aufsehen erregt Bauer als Staatsanwalt im Braunschweiger Prozess gegen den rechtsextremen Generalmajor a.D. Otto Ernst Remer. Dieser ist wegen übler Nachrede angeklagt, weil er die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg als „Hochverräter“ bezeichnet hat. Bauer hält ein wegweisendes Plädoyer, in dem er argumentiert, dass die Widerständler ihren soldatischen Eid nicht gebrochen hätten, da ein Unrechtsstaat wie die NS-Diktatur „nicht hochverratsfähig“ sei. Dieser Argumentationsweise folgt das Gericht, Remer wird zu einer Haftstrafe verurteilt.

    Dies markiert einen wichtigen Einschnitt in der Wahrnehmung des 20. Juli. Das Gericht bewertet das Handeln der Widerstandskämpfer als rechtmäßig, sie werden juristisch rehabilitiert. Auch wenn große Teile der deutschen Gesellschaft weiterhin eine ambivalente Haltung zum NS-Widerstand haben, berichten die Medien nun positiver darüber. Auch Vertreter der Bundesrepublik würdigen ab diesem Zeitpunkt die Attentäter des 20. Juli, so z.B. Bundespräsident Theodor Heuss.

  • 1954

    Bauer ist Gründungsherausgeber der SPD-nahen Theoriezeitschrift "Die neue Gesellschaft“.

  • Ab 1956

    Bauer wird zum hessischen Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main ernannt. Er setzt sich unermüdlich für die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen ein.

  • 1957

    Bauer veröffentlicht das damalige juristische Standardwerk "Das Verbrechen und die Gesellschaft".

  • 1960/61

    Bauer hat wesentlichen Anteil am Zustandekommen des 1961 in Jerusalem durchgeführten Eichmann-Prozesses. Erst nach Bauers Tod wird seine Beteiligung an der Ergreifung des untergetauchten NS-Verbrechers Adolf Eichmann, einem der Hauptverantwortlichen für die Organisation des Holocausts, bekannt. Bauer gibt einen Hinweis zum Aufenthaltsort Eichmanns an Felix Shinnar, Leiter der Israel-Mission in Köln weiter. Später reist Bauer zu weiteren Besprechungen mit Regierungsvertretern und Geheimdienstlern des Mossad nach Israel. Eichmann wird schließlich in Argentinien entführt und in Israel vor Gericht gestellt.

  • 1961

    28. August: Bauer ist Mitgründer der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union.

    Er gibt die Schrift „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns" heraus.

  • 1962

    Oktober: In der sogenannten „Spiegel-Affäre“ ergreift Bauer in einem Artikel über den juristischen Begriff des "Landesverrats" indirekt Partei für das Nachrichtenmagazin.

  • 1963-68

    Als hessischer Generalstaatsanwalt ist Bauer maßgeblicher Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse gegen das SS-Personal des Konzentrations- und Vernichtungslagers. 1959 sorgt er dafür, dass dem Landgericht Frankfurt am Main die Zuständigkeit für alle dort begangenen Straftaten übertragen wird. Im ersten und größten Verfahren steuert Bauer die Anklageerhebung gegen 22 mutmaßliche NS-Täter. Die meisten Angeklagten erhalten allerdings relativ milde Urteile wegen „Beihilfe zum Mord“.

    Bauer argumentiert, dass eine direkte Tatbeteiligung für eine Mordanklage nicht nachgewiesen werden müsse, falls es sich um eine industrialisierte Tötungsstätte handelt. Erst viel später setzt sich diese Rechtsauffassung in der bundesdeutschen Rechtsprechung durch. Trotz der vergleichsweise milden Urteile, stößt dieser Prozess die öffentliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Bundesrepublik nachhaltig an.

  • 1965

    Bauer leitet ein Ermittlungsverfahren ein für einen weiteren Prozess gegen NS-Juristen, die „Euthanasie“-Morde ermöglichten. Dieser Prozess sollte als exemplarischer Prozess gegen die in die Verbrechen verstrickte NS-Justiz fungieren. Durch Bauers frühen Tod 1968 findet dieser Prozess jedoch nie statt.

  • 1966

    Bauers neues Buch „Auf der Suche nach dem Recht" behandelt das Thema Wirtschaftsverbrechen.

  • 1968

    1. Juli: Fritz Bauer wird tot in seiner Badewanne in seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden. Am Abend zuvor hat er Schlaftabletten und Alkohol eingenommen, was zu Herzversagen führt. Spekulationen, wonach Bauer Suizid begangen oder durch Fremdverschulden gestorben sein soll, können nicht bestätigt werden.

    6. Juli: Auf Bauers offizieller Trauerversammlung in Frankfurt wird er von Robert M. W. Kempner, dem ehemaligen Anklagevertreter der Siegermächte bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, als „größter Botschafter, den die Bundesrepublik hatte“, gewürdigt.

  • 1995

    Das Land Hessen, die Stadt Frankfurt und der Förderverein „Fritz Bauer Institut e.V.“ gründen das „Fritz Bauer Institut“, ein Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust.

 

(se) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 27.01.2017
Text: CC BY NC SA 4.0

Empfohlene Zitierweise:
Eimermacher, Stefanie: Biografie Fritz Bauer, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/biografie/fritz-bauer.html
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