Dieser Eintrag wurde von Annemarie Lübcke im November 2003 in Hamburg verfasst. Er entstand im Rahmen eines Projekts des Seniorenbüros Hamburg.
Ans Herz gewachsen
Hamburg war mir durch die vielen Auftritte als Artistin irgendwie ans Herz gewachsen. Es erinnert mich noch heute an meine Heimatstadt Breslau. Da ich nicht mit nach Amerika wollte, trennte ich mich von meinen beiden Partnern.
Mein Bruder, der in Hamburg bei den Engländern im Hotel Vierjahreszeiten tätig war, besorgte mir in Hamburg in der Rehmstraße ein Zimmer und einen Arbeitsplatz in einem Eis-Salon in der Gerhofstraße. Um in Hamburg eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, mußte man diese beiden Nachweise, Arbeitsplatz und Zimmer, erbringen. So meldete ich mich ganz schnell bei der Behörde in der Baumeisterstraße an. Leider wurde ich immer und immer wieder vertröstet. Da ich wußte, daß der Sachbearbeiter Zigarren-Raucher ist, nahm ich bei meiner 6. Vorstellung 5 Zigarren mit, die ich dem Herrn eingepackt über den Schreibtisch reichte mit den Worten: "Es soll keine Bestechung sein." Der Sachbearbeiter vergewisserte sich, was denn in dem Päckchen sei und ließ es schnell in seiner Schreibtisch-Schublade verschwinden. Fünfzehn Minuten später verließ ich glücklich mit der Aufenthaltsgenehmigung die Behörde in der Baumeisterstraße.
Bedrückende Wohnsituation
Immer, wenn ich abends in die Rehmstraße kam, stritten sich die beiden älteren Vermieter. Es kam dazu, daß ich im Ehebett neben der Vermieterin schlafen mußte, was mir gar nicht gefiel. Es war bedrückend. Im Eis-Salon erzählte ich das alles ganz aufgeregt meiner Chefin. Nach zwei Tagen konnte ich eine Weile in ihrer Wohnung im Winterhuder Weg nächtigen. Ich war ihr sehr dankbar dafür.
Inzwischen streckte mein Bruder emsig seine Fühler aus, ich natürlich auch, um ein neues Zimmer aufzutreiben. Schließlich hatte ein Kollege meines Bruders ein Zimmer in der Semperstraße St. Pauli aufgetrieben. Zuerst war ich geschockt, ich war unglücklich, die Tränen flossen. Ich schaute es mir im Beisein meines Bruders an. Es lag im Hinterhof. Die Wirtin war mir auf Anhieb sympathisch und das Zimmer war nicht schlecht. Also machten wir den Mietvertrag. Wohl fühlte ich mich in der Gegend jedoch überhaupt nicht.
Glückliche Begegnung
An einem schönen Sonntag stand plötzlich Arnim Dahl (ein früherer Kollege von mir) vor mir am Tresen. Er schaute mich mit großen Augen an und sagte: "Mensch Annelie, was tust DU denn hier?" Ich setzte mich ein Weilchen mit ihm an einen Tisch und erzählte ihm alles über den Abschied meines Artisten-Daseins und daß ich ganz dringend ein Zimmer in einer netteren Gegend suche. Die Wirtin, bei der ich jetzt wohne, ist zwar recht nett, aber jeden Abend renne ich mit einer Portion Angst im Nacken über den Hinterhof und ich bin froh, wenn ich den Schlüssel in der Haustür umdrehen kann.
Ehe er etwas darauf erwidern konnte, stand ein Herr am Nebentisch auf, kam auf mich zu und sagte: "Unfreiwillig habe ich einen Teil Ihres Gespräches mitbekommen, ich glaube, ich habe da ein passendes Zimmer für Sie. Morgen erhalten Sie von mir eine Nachricht." Ich konnte nur Danke sagen, dann überkam mich ein Würgen im Hals. Arnim Dahl nahm mich in den Arm und sagte: "Ich drücke Dir die Daumen."
Am anderen Tag kam ein Bote vom Real-Film und übergab mir einen Brief. Inhalt: "Anschrift der Vermieterin in der Hallerstraße/ Heinrich-Barth-Straße und viel Glück." Das Zimmer lag im 1. Stock, war 18 qm groß, ganz nett möbliert mit 2 Fenstern zum Garten. Ich nahm es sofort, obwohl die Monatsmiete DM 65,00 betrug. Im Winter erhöhte sich die Miete auf DM 70,00. Ich habe mich von Anfang an dort wohlgefühlt und habe fast 7 Jahre dort gewohnt im besten Einvernehmen mit den Vermietern.
Empfohlene Zitierweise:
Lübcke, Annemarie: Der Neubeginn in Hamburg im April 1949 - Die Zimmersuche, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/annemarie-luebcke-der-neubeginn-in-hamburg.html
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