Dieser Beitrag wurde von Brigitte Triebe verfasst.
Beginn der Brieffreundschaft 1947/1948
Etwa im Jahre 1947/48 erhielt ich von der Leiterin unserer Pfarrjugend die Anschrift Maria's aus Ratingen. Damals ahnte ich nicht, daß aus diesem Briefwechsel eine lebenslange Freundschaft entstehen sollte. Es folgten Jahre brieflichen Gedankenaustausches, in denen wir von familiären Ereignissen berichteten. Von Maria erhielt ich ab und an ein Paket, ausgefüllt mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie Bekleidung. Wie sehr wir uns darüber freuten, vermag ich kaum zu schildern.
Kölner Katholikentag 1956
Beim Kölner Katholikentag 1956 hatte ich mich mit Maria, die unterdessen verheiratet war, zu einem Treffen verabredet. Leider verfehlten wir uns.
Ein Jahr später verbrachte ich einen 14-tägigen Urlaub bei meinen Quartierleuten vom Vorjahr in Bergisch-Gladbach. Dies nahm ich zum Anlaß, meine Brieffreundin endlich persönlich kennenzulernen und durfte einige Tage in Ratingen verleben. Bei diesem Besuch lernte ich zu einem Familientreffen auch Marias Eltern und Geschwister mit Partnern kennen und fühlte mich in dieser Gemeinschaft sehr wohl.
Einladung “nach drüben“
Später bot mir Maria an, nach "drüben" zu kommen, vorerst können ich ein separates Zimmer in ihrem Haus bewohnen. Nach reiflicher Überlegung lehnte ich das Angebot jedoch ab. Ich hatte hier einen Freund, den ich später heiratete. Unterdessen wurden auch die Grenzen hermetisch abgeriegelt.
1964 starb mein Mann und ich mußte fortan für meine Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren alleine sorgen. Solange man zwei Kinder unter acht Jahren hatte, erhielt ich vom Staat 112,- M Witwen-, sowie für jedes Kind 50,- M Halbwaisenrente plus 20,- M Kindergeld. Auch in dieser, damals für mich so schweren Zeit, half Maria wo sie nur konnte, obwohl sie mit ihrem Fünf-Personen-Haushalt sehr beansprucht war und auch nicht im Überfluß lebte. Der Briefkontakt war während dieser Zeit etwas rarer, die Pflichten waren auf beiden Seiten wohl zu groß. Man konnte damals auch nicht offen schreiben und mied sorgfältig politische Äußerungen, um keine Unannehmlichkeiten staatlicherseits heraufzubeschwören.
Stippvisite
1971 heiratete ich ein 2. Mal. Unseren Briefkontakt beeinflußte das nicht. Im Gegenteil, als mein Mann 1980 Rentner wurde und später in den Westen Deutschlands reisen durfte, ich aber daheim bleiben mußte, war eine Stippvisite bei Familie Hein dabei. Auch dies hatte positiven Einfluß auf unsere Beziehungen.
Die Kinder der Familie Hein traten alle drei ein Studium an. Da meine Kinder nicht an der Jugendweihe teilnahmen, bekamen sie verschiedene Nachteile zu spüren. Mein Mann hatte damals mit großem Engagement durchgesetzt, daß mein Sohn doch noch eine Berufsausbildung mit Abitur erhielt und später an der Verkehrshochschule in Dresden studieren durfte. So vergingen die Jahre. Mitte der 80er Jahre erhielt ich eine Aufenthaltsgenehmigung für eine 10-tägige Westreise. Ich erinnere mich, daß mich die Angebotsfülle in den Geschäften und Supermärkten, letztere waren uns völlig fremd, regelrecht erschlug und es mir tagelang übel war, so daß ich kaum etwas essen konnte. Daheim angekommen, war dieses Erlebnis dann verkraftet. Wir waren wieder froh und dankbar, wenn Weihnachten ein liebes Paket mit allerlei Naschwerk und Sonstigem eintraf.
November 1989
Die Situation wurde hier im Osten immer prekärer und überall begann es zu kriseln. Doch eine Änderung des Systems erwartete niemand und mehr und mehr junge Menschen setzten sich, trotz Lockerung der Bestimmungen, nach dem Westen ab. Zu November 1989 erhielt ich für ein Familienfest eine Aufenthaltsgenehmigung im Rheinland. Reisetag war der 10. November. Mein Mann mußte zu Hause bleiben, da diesmal mein Sohn mitfahren durfte. Nie in meinem Leben werde ich diese Fahrt vergessen! Am Morgen dieses Tages wurde im Rundfunk vermeldet, daß die Grenzen ab sofort geöffnet seien. Wir hatten Platzkarten für den Abendzug. In Riesa konnten wir auch ungehindert unsere Plätze einnehmen, im Zug der aus Dresden kam. Unterwegs fragte der Schaffner, ob auch alle auf den richtigen Plätzen säßen, da in Leipzig noch ca. 500 Leute zusteigen wollen. Richtig, der Zug wurde so voll, daß buchstäblich kein Apfel zur Erde fallen konnte. In Magdeburg belagerten wiederum Hunderte den Bahnsteig. Keiner traute wohl dem Frieden und meinte, am nächsten Tag seien die Grenzen wieder geschlossen. Über Lautsprecher rief man zur Vernunft auf und stellte einen Sonderzug in Aussicht. Unser Zug setzte sich wieder in Bewegung. Die Spannung knisterte förmlich im Abteil. An der Grenze erneute Lautsprecher-Durchsage: "Wer keinen Sitzplatz hat, muß den Zug verlassen und sich zum Zollgebäude begeben. Das Gepäck darf im Abteil bleiben." Nachdem man unsere Ausreise kontrolliert hatte, verließen wir den Zug kurzzeitig um etwas frische Luft zu schöpfen. Es war unvorstellbar. Man kam sich vor wie kurz nach Kriegsende, Massen von Menschen, überall im Zug türmten sich Koffer, in der Toilette gar bis zur Decke. Zwischen dem Wagenübergang hockte eine junge Frau mit Kinderwagen. Mit zwei Stunden Verspätung trafen wir in Hannover ein. Dort warteten Leute mit Blumensträußen auf ihre Angehörigen. Sektkorken knallten und man hieß uns per Lautsprecher herzlich willkommen. Es war eine Euphorie und das Gefühl, das einen dort beschlich, ist schwer zu beschreiben. Man wußte nicht recht, sollte man lachen oder weinen. Nach langer Zeit fuhr der Zug endlich weiter und kam schließlich mit drei Stunden Verspätung in Köln an. So erlebte ich die Öffnung der Grenze!
Brieffreundschaft wurde noch herzlicher
Mit meiner Schreibfreundin Maria wurde das Verhältnis noch herzlicher. Zweimal war ich wohl mit meinem Mann bei Familie Hein. Pakete brauchten fortan nicht mehr verschickt werden, da sich nach der Währungsunion unsere Geschäfte schlagartig mit allem füllten. Investoren fanden sich nun ein. Am Ortsausgang von Meißen baute Allkauf den ersten großen Supermarkt im weiten Umkreis als Provisorium auf. Als dieser seine Pforten öffnete, strömten die Menschen von allen Seiten herbei. Es war die reinste Pilgerschaft. Ich erinnere mich, als wir nach mehreren Tagen der Eröffnung versuchten, einen Einkaufsbummel zu unternehmen, wurden wir eines Besseren belehrt. Es war nicht daran zu denken, irgendwo im weiten Umkreis parken zu können. Wir mußten das Gebiet weiträumig umfahren und unverrichteter Dinge heimkehren. Wir sind froh und dankbar, daß wir jetzt in Freiheit leben können. Durch meine Verbindung wußte ich, daß diese neue Freiheit allerdings auch mit Problemen und Existenzkämpfen verbunden ist. Inzwischen verstarb auch mein zweiter Mann und ich durfte im letzten Jahr eine schöne Zeit in Ratingen verbringen. Maria und ich entdeckten viele Gemeinsamkeiten in unserer Lebensauffassung. So denke ich, wird unsere Freundschaft auch unseren letzten Lebensabschnitt überdauern.
Nach der Wende
Nach der Wende veränderte sich hier vieles. Vor allem baut man allerorten. Dadurch wurde es mir möglich, vor einem knappen Jahr in einem rekonstruierten Haus, eine schöne moderne Wohnung mit Heizung und Bad zu beziehen. In der bis dahin von uns gemieteten Wohnung befand sich weder Heizung noch Bad. So empfinde ich den ungewohnten Komfort doppelt angenehm. Meine eigene Witwenrente ist ausreichend, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Nun wünsche ich mir nur, daß ich Maria mit ihrem Mann auch einmal in meiner Heimat begrüßen kann.
Empfohlene Zitierweise:
Triebe, Brigitte: Brieffreundschaft mit Maria Hein, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/brigitte-triebe-brieffreundschaft-mit-maria-hein.html
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