Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Christel Cerbe: Kriegsgefangenensendung

Dieser Eintrag wurde von Georg Cerbe (*1935), Berlin, im März 2007 eingereicht.

Barneberg, den 26.5.47

Lieber Bruder Paul!

Heute soll und muss es werden, dass ich Dir lieber Paul nach langen Jahren wieder einen Brief schreiben kann. Die Freude war zu groß, als Deine lieben Briefe hier ankamen. Nun ist Mutti wenigstens eine Sorge schon los. Wir haben ja in den 2 Jahren sehr viel durchmachen müssen.

Am 30. I. 45 ist der Russe bei uns einmarschiert. Das war vielleicht ein Tag für uns. Die erste Nacht haben wir bei Bubiak's geschlafen. Da hatten sie so richtigen Lauf in unserem Hause gehabt. Alles war eingepackt gewesen, so wurde gleich alles auf die Autos geladen und weggeschafft. So sind wir um unsere Sachen gekommen. Den selben Tag ist auch Herr Georg Förster, Frau Bubiak und Nieters Schwiegersohn erschossen worden.

Am 24. II. 45 mussten 50 Personen aus Georgsdorf zum Schippeinsatz weg. Darunter auch Lothar und ich. Mussten für die Russen Panzer- und Laufgräben schippen, pro Tag 14 mtr. Sie haben uns geschunden wo sie nur konnten. Das ging 3 Wochen. Den letzten Tag nahmen sie uns alle Männer weg, darunter auch Lothar. Ich bin dann mit noch mehr ausgerückt und kann nach Hause, da war erst eine Enttäuschung. Vati war nicht mehr zu Hause. Ihn nahmen die Russische G.P.U. am 25. II. 45 weg, und auch Herrn Hoffmann. Von Vati fehlt jedes Lebenszeichen. Hoffmann ist in Schwiebus im K.Z. Lager gestorben.

Am 26. III. 45 früh um 6 Uhr mussten alle unser Dorf verlassen. Mit'n Handwagen voll sind wir aus Georgsdorf raus nach Obergörzig zu Schmacht. Am 7. IV. 45 ist auch die G.P.U. nach Obergörzig gekommen. Unter den 13 Frauen war auch ich dabei. Sind nach Poppe im Keller gelandet, wo uns erst mal alles an Sachen und was man so mit sich trug geraubt [wurde]. Mit Kartoffeln und Wasser mussten wir auskommen. Dann nach Schwiebus ins grosse K.Z. Lager (Sammellager). Von dort nach Russland. Am 24. IV. 45 sollten nach Russland verladen werden. Der liebe Gott wollte es nicht haben. Sind blos bis Posen gekommen. Im grossen Lager da waren wir Ingunzen wie die R.[ussen] uns nannten 1500 Männer, Soldaten, Frauen, und alle anderen Nationen vertreten. Kriegsverbrecher. Das war eine Gefangenschaft bei 3 Meter hohen Stacheldraht, verdreifacht, zwischen drin Polizeihunde und auf Kanzeln R.[ussen] Posten. Wir sind sozusagen bald alle verhungert. Pro Tag Mittag ½ ltr. Rüben- oder Maissuppen. Pachhollak Lucia ist dort gest.

Am 28. X. 45 sind wir in die Freiheit gekommen. Per Fuss ging es nach Hause. Ich kam mit 38 Kg an. Warum sie uns in Gef.[angenschaft] nahmen ist der Grund, wenn die Front zurück ginge könnten wir ja noch als Partisanen gehen, deswegen nahmen die R.[ussen] uns alle gefangen. Lothar war unterdessen in Polnischer Haft. Da haben wir sehr viel durch machen müssen, Du wohl nicht so viel? Das andere von meiner Gef.[angenschaft] traue ich mich garnicht zu schreiben. Eventuell wenn der Brief zurück kommt. Wenn Du lieber Bruder entlassen wirst, bleib blos in der E-Zone. Hier ist es für dich sehr unsicher. Und noch das allerschlimmste, das wir unsere geliebte Heimat verlassen mussten. Es ist bestimmt nicht mehr schön auf der Welt. Unsere Felder auf Glembuch liegen alle unbestellt da. In unserem Haus is kein Stück Möbel von uns, alles ist weg. Aber lieber Paul trotzdem wollen wir alle nochmal zurück. Sonst hier ist für uns kein bleiben.

Ich habe ja eine sehr gute Stelle als Haustochter mit Familienanschluss. Es gefällt mir dort gut. Aber zu Hause ist doch am schönsten. Beim grössten Bauern bin ich. War den ganzen März über in Berlin bei Lenchen Fähnrich. Lenchen ist noch als R.K. Schwester tätig.

Nun lieber Bruder wie geht es Dir? Wirst Du bald entlassen? Wie denkst Du über die Zukunft? Heute ist Pfingsten und da muss man so recht an die Vergangenheit denken.

Nun alles Gute, das nächste mal mehr. Sei innigst von alle gegrüßt ganz besonders von Deiner Schwester Christel

Lieber Paul! Hast du nicht eine Photographie für uns? Würden uns sehr freuen.

Empfohlene Zitierweise:
Cerbe, Christel: Kriegsgefangenensendung nach Großbritannien, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/georg-cerbe-kriegsgefangenensendung.html
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