Dieser Beitrag wurde von Christel Dux (*1948) aus Berlin im Jahr 2000 verfasst.
Anfang 1989
Das Jahr 1989 fing ganz normal an. Ich ging wie jeden Sonnabend in die Kaufhalle, um nachzusehen, ob es etwas Besonderes gab, hätte ja sein können. Als ich an so einem Tag mal mit meinem Einkaufswagen durch die Kaufhalle fuhr, fuhr mir jemand mit seinem Wagen in die Hacken. Ich brüllte vor Schmerz auf, aber der "Übeltäter" rauschte an mir vorbei, ohne sich umzudrehen oder ein Wort der Entschuldigung.
Da kam es wieder einmal über mich, wutentbrannt raste ich diesem Herrn, der mir in die Hacken fuhr, hinterher. "Na, Sie sind wohl nicht zu retten was? Fahren mir in die Hacken und entschuldigen sich noch nicht einmal, was sind denn das für Zustände? Sie sind noch Genosse, ist ja kein Wunder, daß die DDR so runtergewirtschaftet ist, wenn sich alle so benehmen wie Sie. Eigentlich müßten Sie ja ein Vorbild sein. Verletzt mich und entschuldigt sich nicht einmal."
Nach diesem Gebrüll mitten in der Kaufhalle fühlte ich mich wesentlich wohler. Eigenartig war nur, daß die Kaufhalle auf einmal leer war, ich stand ganz alleine da, die Kassiererinnen sahen mich ganz entsetzt an. Irgendwie bekam ich mit, daß die paar Leute, die in der Halle waren, den Laden verließen. Aber ich war mir keiner Schuld bewußt, ich hatte niemandem etwas getan, warum die Leute fluchtartig die Kaufhalle verließen, verstand ich, ehrlich gesagt, nicht. Wo zum Donnerwetter bleibt die Zivilcourage.
Als ich durch die Kasse ging, das Einkaufen war mir vergangen, kam der Genosse zu mir, entschuldigte sich höflich mit den Worten: "Entschuldigen Sie bitte, ich hatte es eilig." Na wer sagt es denn, mehr wollte ich nicht, aber dennoch konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, "Eiligkeit ist kein Grund, jemandem unentschuldigt die Hacken abzufahren".
Dieser Genosse kommt noch ab und an bei uns vorbeispaziert, mit Ehefrau, allerdings ohne sein vorher so stolz zur Schau getragenes Parteiabzeichen. Auch andere Bewohner der Nebenstraßen, die bei der Stasi beschäftigt waren, sehe ich so manchmal. Oft habe ich in Urlaubsvertretung Post ausgetragen, daher kenne ich die Gegend hier sehr gut. Mich wunderte es immer, daß in einem Haus nur ein Herr mit seiner Tochter wohnte. In diesem Haus standen mindestens sechs Wohnungen leer, und das über Jahre. Heute weiß ich warum, es waren konspirative Wohnungen.
Ein „Ferienhaus“ für Parteigenossen
Hinten am Wasser war auch ein "Ferienhaus" für Parteigenossen und Stasi. Dort mußte ich klingeln, sagen wer ich bin und durfte nur bis zum Wachzimmer, dort wurde mir die Post abgenommen, und ich mußte sofort wieder den Garten verlassen. Als ich mich einmal umsehen wollte, habe nur so geguckt, wurde ich ermahnt, das Gelände sofort zu verlassen.
In dieser Gegend gab es noch mehr leerstehende Wohnungen, und dort wohnten nur "große" und "größere" Genossen. Nie hätte ich gedacht, daß man ganz allgemein bespitzelt wurde, daß es Zubringer gab, die einfache Unterhaltungen, die man wo auch immer führte, der Stasi weitergaben. Jeder Nachbar oder ein Familienangehöriger konnte ein Spitzel sein. Hätte mir das einer gesagt, ich hätte es nicht geglaubt. Daß Menschen Repressalien ausgesetzt waren, wenn sie auffielen, war mir klar. Auch daß politische Flüchtlinge nach Bautzen kamen, wenn sie Glück hatten wurden sie freigekauft, auch das war bekannt. Die Minenfelder, der Schießbefehl, davon wußte jeder, aber von einer Bespitzelung, beinahe wie im Dritten Reich, war mir nichts bekannt.
Genauso erstaunt bin ich über die vielen wirklichen "Überzeugten" hier in der ehemaligen DDR. Ich dachte immer, jeder tut nur so als ob, jeder versucht, sein "Schäflein" ins trockene zu bringen.
Nun weiß ich, warum damals in der Kaufhalle alle flohen, weil alle Angst hatten.
Empfohlene Zitierweise:
Dux, Christel: Stasi, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: [LkStart: http://www.hdg.de
/lemo/zeitzeugen/christel-dux-stasi.html]http://www.hdg.de
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