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Edith Stampe: Auf Lehrstellensuche 1945

Dieser Beitrag wurde von Edith Stampe (*1930) aus Hamburg im Jahr 2001 verfasst.

Auf dem Arbeitsamt 1945

Wir hatten genauso wie heute im Jahre 1945 Schwierigkeiten, eine Lehrstelle zu finden. Man hatte das Pflichtjahr mit Ach und Krach hinter sich gebracht und danach ging man zum Arbeitsamt - gewiß man konnte schon seine Wünsche vortragen, ob es aber klappte, das hing wiederum ganz davon ab, wo man Lehrlinge, so hießen die Auszubildenden damals, brauchte.

Ich wollte Verkäuferin werden, bekam auch Adressen, u.a. bei Salamander am Jungfernstieg, aber leider gab es vor der Währungsreform nichts zu verkaufen, das war mir dann doch zu langweilig, auch bei den anderen mir nachgewiesenen Stellen, da hätte ich nur den ganzen Tag rumgestanden und hätte eventuell saubergemacht. So habe ich dann kurzentschlossen gesagt, ich wollte ins Kontor - heute heißt es ja Büro, die erste Stelle klappte auf Anhieb. Damals war es aber so üblich, daß man die Mutter zur Vorstellung mitbrachte. Das kann sich heute wohl keiner mehr vorstellen? Weil ich aber unbedingt diese Stelle wollte, bin ich vom Arbeitsamt direkt in die Poststraße gegangen und zwar allein. Der Chef meinte dann, ich sollte am nächsten Tag mit meiner Mutter kommen. Später haben die Kollegen dann gemeint, ich wäre ganz schön kess gewesen, da mußte ich ihnen erstmal sagen, daß mir das Herz in die Hose gerutscht war und ich meinen ganzen Mut zusammennehmen mußte, aber ich wollte doch unbedingt lernen und auch ein wenig Geld verdienen.

Mein Lehrlingsgehalt

Es gab im ersten Lehrjahr DM 30,- im Monat, im zweiten Lehrjahr DM 40,- im Monat und im dritten Lehrjahr DM 50,- im Monat. Dann mußte man zu Hause was abgeben, Fahrgeld davon bezahlen, wenn man dann fuhr, aber ich bin zu Fuß gegangen, damit ich dann am Sonntag auch mal zum Tanzen gehen konnte. So waren die Zeiten.

Nun zurück zu meiner Lehrstelle, es war eine Bezirksdirektion einer großen Hamburger Versicherungsgesellschaft. Mein Lehrchef ist in diesem Jahr 95 Jahre geworden und seitdem ich Rentnerin bin, helfe ich seinem Sohn, der inzwischen auch schon 61 Jahre ist, wenn er in Urlaub möchte und es macht immer noch Spaß.

Ja. und dann sagt man ja, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, was wirklich stimmt. Es war Nachkriegezeit, es gab keine Heizung, wir wärmten unsere Hände, um schreiben zu können, an den Glühbirnen der Lampen. Wir hatten Mäntel und Handschuhe an. Später bekamen wir Blechöfen mit riesigen Rohren durch das ganze Kontor, die aber alle Augenblicke verstopften und wir "Stifte" mußten sie dann saubermachen. Auf der Poststraße mußten wir Holz hacken für die Öfen, aber warm wurde es sowieso nie. Wir waren immer froh, wenn der Chef zur Börse ging, denn er hatte einen elektrischen Heizofen, da haben wir dann erst unser Maisbrot geröstet und dann unsere Füße gewärmt.

Essensausgabe für Lehrlinge

Es gab für Lehrlinge im Rathaus eine Essensausgabe, mal gab es Sojasuppe mal Schokoladensuppe. Jeder hatte Hunger und jeder kriegte einen Löffel voll von uns ab, mehr gab es ja nicht. Der Fahrstuhlführer, den gab es damals, er war zugleich Hausmeister, der fuhr nur die Chefs. Wir mußten laufen. Er verkaufte Zigaretten stückweise für DM 10,-, und auch die damals gängige Währung der Cadbury-Schokolade war bei ihm zu haben. Für uns war das nur Utopie, wir konnten uns sowas nicht leisten.

Wir mußten, wenn wir Kopien schrieben, diese aus alten Akten nehmen, wo die eine Seite noch nicht beschrieben war.

Den Beruf immer geliebt

Trotz allem habe ich meinen Beruf, der mit Abschluss vor der Handelskammer Hamburg 1948 mit dem Kaufmannsgehilfenbrief endete, immer geliebt und ich habe gesagt, sollte ich mal wieder auf die Welt kommen, ich werde bestimmt wieder Versicherungskauffrau.

Leider bin ich jetzt in dieser Hinsicht ein wenig skeptisch geworden, denn mit dem Computer stehe ich leider nicht auf du und du, das merke ich spätestens wenn ich Urlaubsvertretung mache. Aber ich denke, vielleicht würde einem eines Tages der Ehrgeiz doch einen Weg zeigen, dieses zu bewältigen.

Empfohlene Zitierweise:
Stampe, Edith: Auf Lehrstellensuche, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/edith-stampe-auf-lehrstellensuche-1945.html
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