Dieser Beitrag wurde von Fritz Bräutigam (1929-2000) im Jahr 2000 verfasst.
Im Winter 1944-45 leistete ich Kriegsdienst als Straßenbahnschaffner im Berufsverkehr mit uralten Bahnen mit einer Klingel an einem Lederriemen, der durch den ganzen Wagen führte. 1 mal klingeln = abfahren, 2 mal klingeln = halt. Wer Kriegsdienst leistete, mußte keinen sonstigen Dienst tun. Also keine Geländeübungen, Marschieren und Singen usw.
Musterung am 23.März 1945 - die ganze Einheit war angetreten. Ein Offizier der SS sprach zu uns von Verteidigung der Heimat, für Führer, Volk und Vaterland, es ginge jetzt ums Ganze. Wir wären doch die zukünftige Elite der Nation usw. Danach wurden wir aufgefordert, uns freiwillig zur Waffen-SS zu melden. Dann kam das Kommando: wer sich nicht freiwillig zur Waffen SS meldet, einen Schritt vortreten. Natürlich ist keiner vorgetreten.
Wehrertüchtigungslager: Der Lagerchef war ein Offizier der SS mit einem Arm. Ab 2.April 45 in Geithain in einer ausgebauten Scheune mit Feldbetten. Täglich Dienst mit Geländeübungen, Schießen im Steinbruch, Nachtmarsch mit Kompass ohne Karte usw. Es gab schon Probleme mit der Versorgung. Wir hatten zwar eine Menge Eimer voll mit Marmelade und auch ausreichend Brot, sogenanntes Komissbrot, aber sonst nur Margarine und Kartoffeln und ein paar Würste.
Es wurde immer noch von den Wunderwaffen gesprochen und auch vom WERWOLF. Das sollten eine Art Partisaneneinheiten sein, die den Gegner noch im letzten Moment vernichten sollten. Unsere Probleme waren mehr von der Art, wie wir lebend aus dieser Sache herauskommen. Niemand konnte sich vorstellen, wie das alles endet. Am 13.April 1945 marschierten wir zur Kaserne und wurden Soldaten. Es war eine formlose Aufnahme zur Wehrmacht. Meinen Wehrpass hatte ich zu Hause gelassen, ich hatte überhaupt keine Papiere bei mir. Es wurden Uniformen und Waffen ausgegeben. Ich bekam einen Karabiner 98 k. Meine Dienstbezeichnung war "Panzerjäger" von der Panzerjäger Ersatz-Abt. 18 Borna. Es gab keine Munitionstaschen, ich mußte meine Munition in die Jackentaschen stecken. Weil ich schon ziemlich groß war, hatte ich wenigstens eine passende Uniform. Viele meiner Kameraden mußten mit unmöglichen Jacken und Hosen auskommen.
Spähtrupp von 6 Mann - um festzustellen, wo der Feind ist. Das war nicht weiter schwierig, nach Westen nur ca. 20 Kilometer - über den Osten wußten wir nichts. Einmal beobachteten wir von einem kleinen Berg aus 12 Panzer, die nach Osten fuhren. Wir hatten noch nie so viel Panzer zusammen gesehen und auch nicht gehört. Es war in der Morgendämmerung und außer dem Rasseln der Ketten war nichts zu hören. Ein schreckliches Geräusch. Am 18.April sollten wir auskundschaften, ob die Brücke über die Mulde in Rochlitz noch frei ist. Wir wollten schon über die Brücke schleichen, als wir plötzlich sehr laut und deutlich hinter uns hörten: "Stop - Hands up!" Vor Schreck ließ ich mein Gewehr fallen und hob die Arme. So kam ich mit den anderen von unserem Spähtrupp in amerikanische Gefangenschaft. Wir wurden sehr gut bewacht, ich bemerkte sogar, dass die amerikanischen Soldaten richtig Angst vor uns hatten. Warum das so war, konnte mir überhaupt nicht vorstellen. Wir waren doch ganz harmlose Burschen, die nicht einmal geschossen hatten. Ich weiß es übrigens bis heute nicht.
Wir wurden dann mit LKWs quer durch Deutschland gefahren bis nach Remagen am Rhein. Unterwegs kamen wir immer in notdürftig aufgestellte Gefangenenlager mit Stacheldraht. Remagen war ein riesiges Lager mit vielen abgeteilten kleineren mit Stacheldraht umzäunten Flächen. Zuerst wurden wir entlaust mit einer Art großen Spritze mit einem weißen Pulver - DDT. Dann kam ich in ein Gebiet mit vielen Jugendlichen und auch anderen Uniformträgern. Da gab es Postbeamte und auch Leute von der Reichsbahn. Die Amis hatten die Leute gefangen genommen, weil sie Uniform trugen. Trinkwasser war Wasser aus dem Rhein mit so viel Chlor, dass es fast nicht zu trinken war. Aber es gab sonst NICHTS ! Nur ein leeres Feld, ringsum mit Stacheldraht umzäunt. Kein Wäschewechsel, keine Seife, kein Feuer, kein Haus, kein Zelt, keine Decke, kein Baum, NICHTS ! Nur einfach nackter Erdboden, auf dem man saß. Später gruben wir uns Löcher, um uns vor der Witterung zu schützen. Meistens schliefen mehrere in einer Grube, um sich warm zu halten. Es gab einmal am Tag etwas zu essen. Aber immer nur ein paar handvoll irgendwelche Nahrungsmittel, die vielleicht für 5 Personen gereicht hätten, aber für 100 Leute aufgeteilt wurden. An meinem 16.Geburtstag bekam ich eine rohe Kartoffel, ein Stück Brennholz, so dick wie mein Daumen, 1 grüne Bohne, 5 einzelne Erbsen und ein Stück Weißbrot, so groß wie eine Streichholzschachtel. 3 Tage vor meiner Entlassung war nachts ein Wolkenbruch, irgendwie hatte ich eine Kiste besorgt und saß die ganze Nacht auf dieser Kiste in dem stundenlangen Regen. Völlig erschöpft - zwischen schlafen und dahindämmern. Die Erdlöcher liefen voll Wasser und in ”meinem” Erdloch lag am Morgen 1 Toter - er war ertrunken, wahrscheinlich war er zu schwach, aus dem Loch zu kriechen.
Entlassen am 21.Juni 45 in Sinzig. Bis Limburg nahm mich ein LKW mit. In der Nacht schlief ich irgendwo im Straßengraben. Ankunft Weyer 23. Juni 45 bei meiner Tante. Ich habe so schrecklich ausgesehen, wie ein Gespenst, meinte sie. Ich erklärte ihr, dass ich so gehungert hätte. Daraufhin stellt sie mich auf die Waage - ich wog 46 Kilo bei 1,77 Meter Größe. Dort habe ich 3 Wochen nur geschlafen und gegessen - dann wollte ich nur nach Hause !
Erlebt hatte ich genug - brennende Häuser in unserer Stadt, den Geruch von verbrannten Menschen, herumliegende Tote, eine Sprengbombe auf unser Haus, während wir im Keller saßen. Artilleriebeschuss während unseres Einsatzes, in Gefangenschaft beinah verhungert - und ich war gerade einmal 16 Jahre alt !
Empfohlene Zitierweise:
Bräutigam, Fritz: Army 1945, in LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/fritz-braeutigam-army.html
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