Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Gerhard Jonack: Kriegsgefangenschaft

Dieser Beitrag wurde von Gerhard Jonack (*1928) aus Schöneiche bei Berlin im Jahr 2000 verfasst.

Schuften für 30 Pfennig am Tag

Aufgewachsen bin ich mit sechs Geschwistern in einer Land- und Waldarbeiterfamilie in der Dübener Heide. Schon ab dem achten Lebensjahr mußte ich nach der Schule am Nachmittag bei anderen Bauern für 30 Pfennig am Tag und eine Abendbrotstulle auf dem Feld schuften, um arbeiten zu lernen und zu "schätzen". 1942 begann ich eine Lehre als Bau- und Möbeltischler.1944 wurde ich zum Arbeitsdienst einberufen, im November desselben Jahres erfolgte schließlich im Alter von 16 Jahren die Zwangseinberufung zur Waffen SS. Gefragt, ob ich der Waffen SS überhaupt beitreten wolle, hat mich niemand.Ich wurde in eine Kavallerie-Division eingezogen, um südlich von Prag die Bahnstrecke nach Budapest zu bewachen. Im Mai 1945 geriet ich dort im Alter von 17 Jahren in russische Gefangenschaft.

Bis 1950 in Kriegsgefangenschaft

Bis Januar 1950 mußte ich als Kriegsgefangener in den Tiefen des Kaukasus zubringen. Es waren schreckliche Jahre, die mein Leben entscheidend beeinflußt haben.

In dem Lager waren ca. 20.000 bis 22.000 Gefangene untergebracht, die zu schwerer Arbeit herangezogen wurden. Unsere Unterkünfte bestanden aus amerikanischen Zelten mit 40-60 Mann und aus Erdhütten mit 30 Mann.

Es gab in diesen Jahren wenige Höhen und viele Tiefen. Daß ich das alles überstanden habe, hatte ich meiner Jugend und Konstitution als Leistungssportler zu verdanken. Als Jugendlicher war ich schnell in der Lage, die russische Sprache zu erlernen und wurde deshalb als Leiter einer holzverarbeitenden Gruppe eingesetzt. Auch meiner Jugend konnte ich es zuschreiben, daß ich nach schweren Darm- und Magenerkrankungen sowie Malaria immer wieder aufgepäppelt wurde, da man ja danach als junge Arbeitskraft wieder zur Verfügung stand.

Kontakt zur Familie kaum möglich

Kontakt zu meiner Familie konnte ich über die vorgedruckten Karten des Roten Kreuzes erst Mitte des Jahres 1947 aufnehmen. Seit November 1944 hatten meine Eltern nichts mehr von mir gehört, sie wußten also auch nicht, ob ich überhaupt noch am Leben war. Man durfte ab 1947 nur jedes halbe Jahr eine Karte schreiben und auch nur jedes halbe Jahr eine Karte zugeschickt bekommen.

Die Karten aus der Heimat waren die Höhepunkte im sonst tristen Gefangenenalltag, der aus schwerer Arbeit z.B. im Staudammbau, in den Weinbergen und im Straßenbau bestand. Nach guter Arbeit bekamen wir ab und zu ein Stück Brot mehr, einmal erhielt ich sogar ein Carepaket.

Ständiger Hunger

Trotzdem wurde ich von ständigem Hunger und somit von Unterernährung gequält. Der Hunger und die schwere Arbeit waren ein Martyrium, dazu noch die ständigen Verhöre durch den Sicherheitsdienst NKWD nach begangenen Greueltaten, mit der Androhung zur Verbannung nach Sibirien, wenn man nicht die Wahrheit sagt.

Wegen des Herstellens von Werkzeugen, um die geforderte Arbeit erledigen zu können, wurde ich eingekerkert, als strenge Bestrafung von Eigeninitiative. Siebenmal bin ich zur Heimreise ausgesucht und immer wieder zurückgestellt worden, bis Ende 1949. Mit all diesen Erlebnissen mußte ich nach meiner Rückkehr am 1. Januar 1950 erstmal fertig werden. Ich brauchte lange, um mich ohne Angst frei bewegen zu können. Dann mußte ich meine angefangene Berufsausbildung abschließen. Mein Leben habe ich dann schon in den Griff bekommen, kann aber bis heute nicht damit fertig werden, daß wir als kleine Lichter für die Taten der "Großen" so büßen mußten und dafür keinerlei Entschädigung erhalten haben.

Empfohlene Zitierweise:
Jonack, Gerhard: Kriegsgefangenschaft, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/gerhard-jonack-kriegsgefangenschaft.html
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