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Gunter Hillenbrand: Persönliche Erinnerungen an die Nachkriegszeit

Dieser Beitrag wurde von Gunter Hillenbrand (*1948) am 6. Juni 2000 verfasst.

Waren unter deinen Lehrern und Bekannten während deiner Jugend noch Nazis?

Jedenfalls nicht offen, und man konnte es sicherlich auch nicht so ohne Weiteres sagen, dass man ein Nazi war. Das Problem war, dass in der Politik usw. weiterhin Leute am Ruder waren, die schon bei den Nazis führende Stellungen hatten. Aber im Alltagsleben kannte ich keinen, der sich als Nazi bekannte.

Wurde in deinem Unterricht der Krieg behandelt?

Zu meiner Schulzeit gab es einen Lehrermangel, denn viele Lehrer waren im Krieg geblieben. Um die Lücken zu schließen, mussten Lehrer eingestellt werden, die im Krieg gewesen waren. Ich hatte einen Deutschlehrer, dessen beide Beine amputiert worden waren. Er hat sich auf zwei Krücken durch die Flure geschleppt. Während des Unterrichts holte er plötzlich seine Schmerztabletten heraus. Aber von neuzeitlichem Unterricht hatte er noch nie etwas gehört. Zudem hat in dieser Zeit keiner gern über die Vergangenheit geredet, sondern nur nach vorne geblickt, deshalb war das Thema Krieg noch gar nicht so gefragt. Die jüngeren Lehrer, Referendare, die den Krieg nicht in vollem Ausmaß mitgemacht hatten, fingen schließlich an, sich mit dem Thema NS zu beschäftigen und allmählich darüber zu sprechen, allerdings erst in den 60er Jahren.

Wie war die Versorgung mit Kleidung und Essen Anfang der 50er Jahre?

[In meinem Geburtsjahr] 1948 gab es ja die Währungsreform, und plötzlich konnte man sich wieder Waren kaufen [da das Geld wieder an reellem Wert gewann]. Die Leute fühlten sich wieder sicherer und haben gewusst, wenn sie jetzt arbeiten, dann können sie sich für dieses Geld auch etwas kaufen. Die Leute haben gewusst, es geht bergauf und haben sich auch durchaus gegenseitig geholfen. [...] Ich habe z.B. nie in einem eigenen Kinderbett geschlafen. Es wurde immer [von Familie zu Familie] weitergereicht. Man hat sich Sachen geliehen und sie weiter verschenkt.

Wohin fuhr man in deiner Jugend in die Ferien und wie schloss man Bekanntschaften?

Ich bin in einer Siedlung für materiell nicht gut versorgte Leute groß geworden. Da lernte man einfach die Nachbarskinder kennen und war sofort in einer Clique und hat Fußball gespielt oder irgendwelche Ritterrüstungen gebaut. Man war einfach draußen. Zudem gab es eine Kirchengemeinde, deren Räume wir nutzen konnten. In die Ferien ist meine Familie nie gefahren, da mein Großvater bei uns wohnte und ein Pflegefall war. Von daher kamen Ferien für die Familie gar nicht in Frage. Mein Vater ist mal mit mir allein weggefahren, damit ich auch Ferien hatte. Andere Familien sind nach Italien gefahren, an die Adria.

Was waren deine Idole in der Jugend?

Mit Idolen wurde nach der Erfahrung des NS eher vorsichtig umgegangen. 1954 gewann Deutschland die Fußballweltmeisterschaft und die Spieler wurden bundesweit angehimmelt. Es war das erste Erfolgserlebnis seit dem Krieg. Und das wurde natürlich auch propagandistisch ausgenutzt. [Die Spieler] waren die sogenannten "Helden von Bern", da man sonst keine Helden hatte. Weil der Krieg alles Heldentum erledigt hatte, hat man hier letztendlich Ersatzhelden gesucht und gefunden. In den 60er Jahren kamen die Beatles auf, und wurden von vielen verehrt. Aber als skeptischer Mensch hatte ich persönlich keine Idole.

Wie waren die Arbeitsmarktsituation und Perspektiven deiner Generation zu Studienzeiten?

1967 hatte Deutschland die erste Wirtschaftskrise, sodass man um die 250000 Arbeitslose hatte. In der Zeit machte ich Abitur. 1968, als die Studentenbewegung ihren Höhepunkt fand, befand sich Deutschland schon wieder in einer Blütezeit, und da war auch ein Bedarf an Fachkräften. 1968 saß ich allerdings bei der Bundeswehr. Doch von der Zeit an konnte man sich eigentlich denken, dass man nach dem Studium direkt einen Beruf erhalten konnte. Es gab auch einen Lehrermangel. Ich studierte aus Leidenschaft meine Fächer und entschloss mich dann, Lehrer zu werden.

Hattest du während der Zeit des Kalten Krieges Angst vor einem dritten Weltkrieg?

Zur Zeit der Kuba-Krise war ich 14 Jahre alt. In der Zeit stand die Welt wohl mehrmals vor einem dritten Weltkrieg. Damals war im Wesentlichen das Radio das Medium. Wenn ich mir vorstelle, dass ein kalter Krieg in unsere heutige Mediengesellschaft fiele, da würde wahrscheinlich noch viel mehr Propaganda laufen. Wenn man sich etwas in das Thema eingearbeitet hatte, konnte man die ernste Situation erkennen und wirklich Angst bekommen, z.B. beim Ungarnaufstand, beim Prager Frühling, beim Mauerbau. Niemand konnte garantieren, dass der Kalte Krieg ein kalter bleibt.

Hatte der Bau der Mauer Einfluss auf dein Leben? Welche Meinung hattest Du damals?

Ich hatte keine Verwandten, die von uns abgetrennt wurden und wurde auch nicht direkt betroffen. Aber mir war klar, dass es ein großes Ereignis war und den kalten zu einem heißen Krieg führen konnte.

Hast du Zeichen gesehen, die in dir die Hoffnung geweckt haben, dass die Mauer fallen würde?

Nein. Erst im Sommer 1989 zeichnete sich etwas davon ab. Dennoch dachte vorher niemand, dass die DDR zusammenbricht. Aber als die Mauer fiel, verfiel man in Staunen und Sprachlosigkeit auf beiden Seiten. Das meist gebrauchte Wort damals war "Wahnsinn". Dass die Mauer nicht ewig bestehen würde, war mir klar. Das Interessante war, dass viele türkische Gastarbeiter von dem Zeitpunkt des Mauerfalls an Angst um ihren Arbeitsplatz bekamen, während die Deutschen noch völlig geblendet waren und gar nichts geschnappt haben. Die Ausländer haben sich schon zum damaligen Zeitpunkt Gedanken darüber gemacht, dass [die Wiedervereinigung] ein unvorhersehbarer Prozess wird, ihre deutschen Nachbarn waren zu so einer Überlegung noch nicht bereit.

Bearbeitet von Anke Hillenbrand & John Wiesel.

Empfohlene Zitierweise:
Hillenbrand, Gunter: Persönliche Erinnerungen an die Nachkriegszeit, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/gunter-hillenbrand-persoenliche-erinnerungen-an-die-nachkriegszeit.html
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