Dieser Beitrag stammt von Helmut Dix (1920-2012) aus seinen Aufzeichnungen „Meine Erlebnisse in russischer Kriegsgefangenschaft“, Berlin 1950.
Kapitulation
Über alle Sender kommen die Meldungen: "Die deutsche Wehrmacht hat kapituliert!". [Der Soldaten-]Sender Libau dementiert diese Meldung hartnäckig. Die Heeresgruppe in Kurland steht eisern, 7 Mal haben die Russen einen Großangriff gegen unsere Fronten gestartet und immer wieder mussten sie mit großen Verlusten abziehen. Wenn wir auch vom Feinde umzingelt waren, die Kurland-Armee hätte ausgehalten. Die Verpflegungssätze waren in den letzten Monaten schon erheblich gekürzt worden. Munition war knapp, es durfte nur bei Großangriffen mit niederer Ari. [Artillerie] geschossen werden. Außerdem waren ehemalige deutsche Soldaten, die von Russen gefangen oder übergelaufen waren und nun dem "Nationalkomitee Freies Deutschland" angehörten, hinter unseren Linien abgesetzt worden und hatten den Auftrag, die deutsche Truppe zu zersetzen und die Landser ebenfalls zum Überlaufen zu bewegen. Ebenfalls standen ganze Einheiten dieser Verschwörergruppe unseren Frontsoldaten mit der Waffe in der Hand auf russischer Seite gegenüber. "Bruder kämpft gegen Bruder!" Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Kurland hat von dem Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte auf dem Funkwege das Angebot erhalten, ebenfalls mit Kapitulationsverhandlungen zu beginnen. Da es nun doch so langsam glaubhaft wurde, dass der Krieg in Deutschland beendet ist und dass das Oberkommando der deutschen Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet hat, hatte es auch für uns in Kurland keinen Zweck mehr, weiter zu kämpfen. Auch unsere Heeresgruppe musste eine bedingungslose Kapitulation unterzeichnen.
“Waffenstillstand an allen Fronten!"
Russische Flugzeuge jagten, mit Bordwaffen feuernd, über den Kurland-Kampfraum und warfen hunderttausende von Flugblättern ab mit der Aufforderung zur Gefangengabe und mit der wörtlichen Zusicherung "Wir versprechen Euch gute Verpflegung, gute Behandlung und baldige Rückkehr in die Heimat!". Bald rasselten sämtliche Fernsprecher und überall wurde der Befehl der Heeresgruppe durchgegeben: "Ab 14.00 Uhr Waffenstillstand an allen Fronten!". Überall auf den Gräbern und Bunkern wurden weiße Flaggen gesetzt und somit schwiegen die Waffen. So endete die in aller Welt gefürchtete deutsche Wehrmacht! Russische Befehle lauteten, dass sich [in] unserem Kampfraum keine Fahrzeuge und kein Soldat auf den Straßen und Wegen zu bewegen habe. Russische Jagdflugzeuge überflogen den Kampfraum und schossen auf jeden, der sich auf den Straßen sehen ließ. Es sollte im Laufe des 9. Mai sämtliches Kriegsmaterial Fahrzeuge, Munition, Verpflegung usw. lt. [laut] Nachweis an russische Übernahmekommandos übergeben werden. Bisher hatte sich noch kein Russe bei uns sehen lassen. Am Morgen des 9. Mai kamen dann die ersten Annäherungsversuche der Russen, sie pirschten sich zaghaft und ängstlich an unsere Linien und "Kamerad, nicht schießen, Krieg kaputt!"[...] Anstatt unseren ganzen Frontabschnitt zu besetzen und uns in unseren Stellungen gefangen zu nehmen und zu entwaffnen, mussten wir mit unseren Fahrzeugen und sämtlichen Waffen durch die russischen Linien, dort wurden wir erst entwaffnet und die Fahrzeuge übergeben.
Zur Person
Helmut Dix wird 1920 in Westpreußen geboren und 1939 zur Wehrmacht eingezogen. 1945 gerät er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1949 entlassen wird. Danach reist er zu seiner inzwischen nach Berlin geflüchteten Mutter. 1950 schreibt er seine "Erlebnisse in russischer Kriegsgefangenschaft" in Berlin nieder. Er bleibt dort bis zu seinem Tod im Jahr 2012.
Empfohlene Zitierweise:
Dix, Helmut: "8. Mai 1945" in Kurland, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de
/lemo/zeitzeugen/helmut-dix-8-mai-1945-in-kurland.html
Zuletzt besucht am: 06.11.2024