Dieser Beitrag wurde von Horst Lippmann (*1933) aus Hamburg im Jahr 2001 verfasst.
Herbst 1945
Der Krieg lag wenige Monate hinter uns. Es war Herbst 1945. Die Hauptbeschäftigung der Hamburger bestand aus Schutt beseitigen, Steine klopfen für das Bauen neuer Häuschen und Lebensmittel organisieren.
Eines Tages sprach eine Nachbarin meinen Vater an. Sie hatte gehört, daß im Hafen einige Speicher von Bomben getroffen waren, in denen Korn gelagert hatte. Ein Teil davon würde noch im Wasser liegen. Einige aus unserer Nachbarschaft, die ein Fahrrad besaßen, trafen sich, bestückt mit Sieben zum Fischen. Außerdem nahmen wir zum Korn transportieren noch einige Taschen, Säckchen und Beutel mit. Wir fuhren über Horn, Billstedt, Rothenburgsort Richtung Elbbrücke zur Veddel. Die Straßen waren natürlich schon etwas vom Schutt freigeräumt, aber eigentlich fuhren wir fast nur durch Trümmergelände und Schuttberge. In diesen Stadtteilen war fast kein Haus unbeschädigt stehen geblieben.
An den Elbbrücken
Wir erreichten die Elbbrücken und stellten schnell fest, daß die Ebbe kam. Von den Elbbrücken aus sahen wir uns an, wie wir am günstigsten an die Speicher gelangen konnten. Ein großes Hindernis, was wir noch überqueren mußten, war eine zerstörte Brücke, die ganz provisorisch mit einem Balken und schmalen Brettern repariert worden war. Eigentlich nur für Fußgänger vorgesehen, weswegen wir langsam gehen und mit unseren Fahrrädern balancieren mußten. Ein Nachbar hatte im Krieg als Soldat einen Arm verloren. Auch er hatte es mit größten Schwierigkeiten aber trotzdem wunderbar geschafft. Wir mußten jetzt nur noch eine Weile warten, bis ganz tiefe Ebbe war. Nach und nach kamen die Körner zum Vorschein. Sie lagen auf dem Grund oder schwammen zum Teil auf der Wasseroberfläche. Eine Bombe hatte eine Mauer von einem Speicher weggerissen. Durch das Loch gelang es uns, auch zusätzlich unter dem Speicher eine große Menge Körner mit unseren Sieben herauszufischen. Am Ufer lagen große Trümmerberge, auf denen wir bis zur Wasserkante gehen konnten. Allerdings durften wir da nur sehr vorsichtig hintreten, weil zwischen den Mauersteinen viele Glasscherben lagen. Unsere Fahrräder hatten wir schon einige Meter entfernt von uns abgestellt.
Korn fischen und sieben
Jeder von uns hatte ein kleines Plätzchen gefunden. In der Hocke sitzend oder gebückt schrabten wir mit unserem Sieb auf dem Grund hin und her. Ganz feiner Sand oder Schlamm rutschte gleich durch die Sieblöcher. Größere Steinchen sammelten wir von Hand aus. Das schwimmende Korn war natürlich bedeutend einfacher durch Hin- und Herschwenken des Siebes einzusammeln, und es wurde dadurch auch gleich etwas vorgereinigt. Immer wenn eine kleine Welle kam, spülte sie einige Körner vom Untergrund weg, die wir uns dann schnell wegfischten. Jeder kratzte, schrabte oder schwang sein Sieb durch das Wasser und war zufrieden, wenn es sich mehr oder weniger gefüllt hatte. Eine lange Zeit waren wir schon dabei, die vielen Meter der Uferkante sauber zu fischen. Mit unserer Arbeit konnten wir voll zufrieden sein. Ein Nachbar und ich gingen noch ein Stückchen weiter um nachzusehen, ob noch irgendwo Korn schwimmt.
Tauschgeschäft
Da sahen wir in einem sehr wenig beschädigten Speicher ein offenes Tor, oder es war bei einem Angriff vom Luftdruck herausgeschleudert worden. Das konnte man nicht genau erkennen. Ein Speicherarbeiter war gerade dabei, mit einem großen Besen eine Menge Körner am Fußboden zusammen zu fegen. Unser Nachbar fragte ihn, ob wir etwas von dem Korn bekommen könnten. Er bot ihm dafür einige Zigaretten an. Der Arbeiter war glücklich über die Zigaretten und gab uns alles, was er zusammengefegt hatte, in einem Sack. Auch wir freuten uns über den Tausch, verabschiedeten uns von dem Mann und gingen zu unseren Fahrrädern. Dort wurde das Korngeschenk gerecht unter uns allen aufgeteilt. Jeder packte seine gesammelte Habe auf sein Fahrrad, band es mit einem Gurt noch etwas fest, und dann machten wir uns wieder gemeinsam auf den Heimweg.
Korn mit Beigeschmack
So wie alle anderen von unserer Körnersammelgruppe wurden auch mein Vater und ich sehnsüchtig von unserer Familie erwartet. Oma, meine Mutter und meine Tante wuschen das Korn erst einmal in gutem Leitungswasser, weil es doch stark nach Brackwasser roch. Dann wurde es auf Bettlacken im Garten in der Sonne getrocknet. Mein Opa schob Wache, weil die Vögel nichts weg picken sollten. Nach dem Trocknen wurde ein Teil des Korns in der Kaffeemühle gemahlen. Aus dem Mehl backte meine Mutter Brot oder kochte einfach eine dicke Suppe. Es schmeckte immer noch sehr muffelig, aber die Hauptsache war, daß wir mal wieder satt wurden.
Einen Teil der Körner haben wir dann auch an unsere Hühner verfüttert. Ich glaube, denen hat der starke Beigeschmack nichts ausgemacht. Als Dank dafür legten sie uns wieder öfter ein schönes Ei.
Empfohlene Zitierweise:
Lippmann, Horst: Kornfischer in Hamburg, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/horst-lippmann-kornfischer-in-hamburg.html
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