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Horst Schiffmann: Antikommunistischer Jugendwiderstand in Berlin 1945-48

Dieser Beitrag wurde von Horst Schiffmann (*1930) aus Berlin in den Jahren 1945 bis 1948 verfasst.

Das Jahr 1945

Das vorige Halbjahr brachte mir Enttäuschungen, Glück, Abenteuer, Gefahren und vieles mehr. Aber in der Hauptsache, der Mensch bleibt Sieger, ich freue mich, daß der Krieg mich verschont hat, aber lieber hätte ich draußen im Felde meinen Mann gestanden und wenn es gefordert worden wäre, gerne mein noch junges Leben geopfert für Deutschland. So sah es im vorigen Halbjahr in mir aus, und wie sieht es jetzt in mir aus? Deutschland zerbrochen, in den Schmutz gezerrt, durch wen? Durch die deutschen Staatsmänner, die das Volk gewählt hat. Die deutschen Frauen und Mädchen vor ihnen im Schmutz, jetzt feile Ware, und wir, die deutschen Jungens, müssen das mit ansehen.

Nein, schreit es in meiner Seele, so hätte es nicht kommen dürfen. Mein Vaterland Deutschland ist mir keinen Cent mehr wert, aber in mir schrie es Tag und Tag, Nacht um Nacht, den Kopf oben behalten, die Rache kommt halt doch über Deutschland. Wegen was wurde die Jugend verraten? Standen wir nicht auch im Feuer wie jeder andere, aber es war nicht genug, wir müssen ausgerottet werden. Ich achte nicht mehr das deutsche Weib, das deutsche Volk.

So jetzt habe ich mir den Schmerz von der Seele geschrieben, was ich im vorigen Tagebuch versäumt habe. Wenn einer dieses Buch lesen wird, weiß ich nicht, ob er mich versteht, ich hoffe es.

14. August 1945

Am 14. August gingen meine Mutter, Irmgard, Oma, Herr Bart, Fredy Augustin, Mucke und ich nach Rosenthal. Wir wollten Äpfel klauen, Fredy und ich, da erschienen plötzlich zwei Russen, ganz gemeine Burschen, sie untersuchten erst unsere Rucksäcke und, als sie nichts fanden, unsere Taschen, da fanden sie meine acht Zigaretten und nahmen sie mir ab. Meine Oma und Herr Bart zogen schleunigst ab, weil sie Angst hatten. Wie es schon ziemlich dunkel war, ging ich mit Fredy Kartoffeln klauen, wir hatten ungefähr 10 Pfund. In Reinickendorf wollten wir in den Gärten am Schäfersee stibitzen gehen. Wir kletterten über den Zaun und holten uns Tabak und Kohl, in dem Garten war ein Mann mit einer Taschenlampe, wir taten uns schnell verzichten. Heute ging ich im Paul-Gerhard Stift wieder arbeiten, wir bekamen von Farben-Decken 2RM Taschengeld. Heute arbeiteten wir dort das letzte Mal. Wir bekamen heute einen Wisch, wonach wir morgen zur Greifswalderstraße müssen.

20. August 1945

Heute stellte ich mit 3 anderen Jungens - Falko, Schulz und Georg - für den Kindergarten Antonstraße Möbel auf. Wir fuhren mit dem Pferdewagen hin und her. Wir bekamen als Belohnung einen Teller Mehlsuppe.

23. August 1945

Heute ging ich bei Pritzel essen und nachher im Ratskeller. Sonst hat mir immer meine Mutter das Essen mitgebracht, aber zu Hause aß ich noch einen Topf voll, vier Teller. Aber satt wird man nicht mehr. Im Ratskeller taten sie (die Leute) eine Frau rausschmeißen, sie wimmelte von Kopf- und Zeugläusen (Lausejule).

9. September 1945

Heute ist die Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus. Heute ist wieder ein großer Feiertag der roten Clique. Jetzt geht Mucke also auch schon mit einem russischen Vasallen, pfui Teufel, so ein Mädel verachte ich, die mit russischen Knechten bloß wegen dem Essen gehen.

19. August 1947

Heute ist der Geburtstag unserer EWP [Edelweißpiraten], 2jähriges Bestehen, bald geht es für uns los. Am 19. August 1945 gründete B.v.Sch. [Baldur von Schirach] mit A.A. [Arthur Axmann] die EWP Berlin, unterdessen taten hunderte von Kameraden dahin sinken und tausende stehen auf. Unsere Fahnen flattern uns voran.

28. September 1947

Es stinkt nach einem neuen Krieg. Es ist in den Zeitungen jetzt eine Haßorgie der Russen gegen die Westmächte. Er soll sich vorsehen, denn wir von der EWP sind auch noch da. Unser Motto: Nieder mit den Bolschewismus.

9. Oktober 1947

Ich bekomme langsam jetzt die Genugtuung, daß es Krieg gibt. Ich habe nicht für mich Angst, sondern nur für meine deutsche Heimat. Wir werden bei Zeiten beim Amy sein. Heute tat der Russe in der Luft ein Manöver abhalten mit Krachen und Schießen. Wir können jetzt singen unser aller Lied: "Die Jugend steht auf, der Sturm bricht los". Hipp, hipp, Hurra. Wir grüßen dich, du unser Zeichen. Heil Edelweiß, du unser Sinnbild.

23. November 1947

Achtung - Achtung. EWPi denkt daran. Heute vor einem Jahr, dem 23. November 1946, fielen bei einer Sprengung des Waffendepots "Eberswalde" der 19jährige Unterführer Walter Esche und der 28jährige Freiherr Gerd von Waldstein (er war einer der erfolgreichsten Hauptleute) in russische Hand. Sie fielen in der Folterkammer der G.P.U. - Ich wurde heute Unteranführer, der jüngste Führer.

Die Dienstränge der EWPi:

Soldaten Unterführer Hauptleute

Bobbi -ab 15J. Anwärter -17J. Unteranführer ab 20J.

O.Bobbi -15J. O.Anwärter -17J. Scharführer ab 20J.

Edelweißp. -16J. U.Offizier ab 18J. H.Scharführer ab 20J.

Schütze -16J. Leutnant ab 18J. Rottenfähnrich ab 21J.

O.Schütze -16J. Unterführer ab 19J. Oberführer ab 23J.

Hauptführer ab 26J.

13. Dezember 1947

Nachts um ¾2 ist unser Hauptquartier Fr. ausgehoben worden. Es fielen in sowjetische Hand: 32 Unteroffiziere, 17 Unterführer, 4 Hauptleute und 185 Edelweißpiraten, 4 Maschinengewehre, 103 MP, 4000 Karabiner, 3500 Pistolen, 89.000 Handgranaten, 720 Tonnen Dynamit, 80 LKW, 11 PKW, 500 Panzerfäuste, 7 Panzerschreck, 25 Panzerminen.

Das ist das Ende.

14. Dezember 1947

Heute große Verhaftungen. 80 Unteroffiziere, 4 Unterführer, 1 Hauptführer und 2100 Edelweißpiraten verhaftet. Viele Papiere gefunden. Amy kann nicht helfen. Heute Auflösung in allen Richtungen.

15. Dezember 1947

Hans Walter, Leutnant, 18 Jahre, Tiergarten; Dieter Müller, Scharführer, 20 Jahre, Wedding; Heinz v. Waldstein, Hauptführer, 26 Jahre, Mitte; Gerhard Graf v. Wolfsburg, Bannerführer, 21 Jahre, Mitte; Bodo Welp, Leutnant, 17 Jahre, Wedding wurden im GPU Gebäude in Staaken an die Wand gestellt. Bei einem Befreiungsversuch kamen 6 Führer und 32 Mann ums Leben. Der schwärzeste Tag seit dem Bestehen. Alle Führer am 17. zur Vereidung. Motto: Kampf bis zum Tod. Alle für einen und einer für alle.

15. Januar 1948

Heute tat ich ein großes Opfer bringen, ich bin um Gittis Willen aus den EWPi ausgeschieden. Ich werde dich nie wiedersehen, du mein Zeichen. Heil Edelweiß.

Empfohlene Zitierweise:
Schiffmann, Horst: Antikommunistischer Jugendwiderstand in Berlin 1945-48, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/horst-schiffmann-antikommunistischer-jugendwiderstand-in-berlin.html
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