Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Joachim Rumpf: Die Amerikaner kommen

Dieser Eintrag wurde von Dr. Joachim Rumpf am 19.08.2013 in Görwihl im Hotzenwald verfasst.

April 1945

Um die Mittagszeit eines Apriltages 1945 kamen die Amerikaner nach Goßwitz in Thüringen. An diesem sonnigen milden Frühlingstag beobachteten meine Schwester und ich, wie ein junger deutscher Soldat durch den Garten hinter dem Wirtshaus davon sprang und seinen Kameraden Richtung Pößneck nachlief. Dort knallte es auch ein paar Mal. Einzelne Gewehrschüsse begleiteten das Ende des Krieges in diesem Dorf hoch oben auf dem Roten Berg bei Pößneck. Doch dann rief uns die Mutter. Wir sollten herein- und mit in den Keller kommen. Draußen sei es zu gefährlich. Bald saßen wir unten im Luftschutzkeller des Gasthauses und warteten. Mit uns saßen der Wirt und seine Frau und einige andere Hausgäste. Nur schwach hörten wir oben einige Schüsse und dann das metallische Rattern von Panzerfahrzeugen, die in die Dorfstraße einfuhren. Bald darauf standen zwei amerikanische Soldaten mit schussbereiten Maschinenpistolen in der Kellertür und fragten nach Soldaten. Da außer dem beleibten Wirt nur Frauen und Kinder im Kellerraum waren, gingen sie wieder. Niemand von uns wurde untersucht oder befragt. Der Wirt, der sich ausweisen musste, begleitete die beiden wieder nach oben. Wir anderen sollten noch im Keller bleiben, hatten uns die beiden Soldaten bedeutet.

Wird unser Dorf verteidigt?

Bereits in den Tagen zuvor war die Aufregung groß gewesen. Die Front rückte immer näher und die Einwohnerschaft von Goßwitz, Krölpa oder Ranis bewegte keine Frage mehr als die: wird unser Dorf verteidigt? "Verteidigt", das hieß, dass die deutschen Truppen das Gemeindegebiet befestigten, Gräben aushoben, Geschütze in Stellung brachten und zum Schlachtfeld erklärten. Das aber hätte die Zerstörung der Dörfer bedeutet mit der Folge, dass auch die Zivilisten, die - wie zuvor geübt - in den Luftschutzkellern saßen - gefährdet gewesen wären. Außerdem hatten wir alle Angst, dass die Amerikaner sich an den Übriggebliebenen rächen würden. Die Versorgung mit Nachrichten war spärlich in diesen Tagen. Über den Drahtfunk konnten wir zwar bei dem Gastwirt, bei dem wir einquartiert waren, die für die Zivilbevölkerung bestimmten Regionalnachrichten abhören, die uns über Bewegungen der feindlichen Truppen und Flugbewegungen anglo-amerikanischer Bomberverbände informierten. Was aber geschehen würde, wenn die alliierten Truppen bei uns einrückten, darüber gab es nur Gerüchte. Am wildesten waren die über die Schwarzen. Die Neger, so hieß es, sind nicht besser als die Russen. Nun, was die Russen bei ihrem Vorstoß im Osten anrichteten, darüber hatten uns die Nachrichtensendungen ständig auf dem Laufenden gehalten. Galt es doch den Widerstand der Bevölkerung anzustacheln und jeden Einzelnen davon zu überzeugen, dass es auch für Frauen und Kinder besser sei mit der Waffe in der Hand zu sterben, als einem Russen lebend in die Hand zu fallen.

Weitere Erinnerungen von Dr. Joachim Rumpf finden sich auf seiner Homepage www.salpeterer.net/Zeitgeschichte.

Empfohlene Zitierweise:
Rumpf, Joachim: Die Amerikaner kommen, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/joachim-rumpf-die-amerikaner-kommen.html
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