Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Joachim Rumpf: "Wo bleibt der Endsieg?"

Dieser Eintrag wurde von Dr. Joachim Rumpf am 19.08.2013 in Görwihl im Hotzenwald verfasst.

Überzeugt vom Endsieg

Noch aber war Krieg. Und solange er währte, waren meine Eltern fest vom Endsieg Deutschlands überzeugt. Wir saßen abends um den Tisch, stellten den Drahtfunk ein und hörten auf die Durchhalte-Parolen. Ständig wurden Gerüchte über die alles entscheidende "Wunderwaffe" verbreitet, die nun zum Einsatz käme. Und obwohl wir inzwischen im Hinterland der Front lagen und amerikanische Besatzungstruppen die Regierungsgewalt übernommen hatten, glaubten wir daran, dass alles das bald vorüber sein würde. Wir hofften auf eine "Wende". Kursierten doch schlimme Gerüchte über Übergriffe, Plünderungen und Gewalttaten derer, die uns bisher als Sklaven dienten. Überall waren in den vergangenen Jahren Barackenlager von Kriegsgefangenen und Ostarbeiterinnen und Arbeitern eingerichtet worden. Die in grau und schwarz gekleideten Frauen und Männern mit zum Beispiel einem "P" auf dem Rücken, waren Bestandteil des Straßenbildes. Im Haushalt meiner Mutter ging 1943 eine junge Ukrainerin zur Hand und den Garten grub ein russischer Kriegsgefangener um. An den Mann kann ich mich gut erinnern, weil er stets zu Späßen aufgelegt war und so unheimlich viel Kartoffeln essen konnte. Während wir Kinder uns gut mit unseren Hausdienern vertrugen, war es uns zu anderen Zeiten und im Kreis der Schulkameraden ein Spaß gewesen, den Polen und Russen auf der Straße Schimpfworte in ihrer Sprache zuzurufen, deren Sinn wir oft selbst nicht verstanden. Wir empfanden kein Mitleid, wenn die ausgemergelten und befremdlich riechenden Gestalten in den Mülleimern herumwühlten, die bereits in den vierziger Jahren allwöchentlich auf den Bürgersteig gestellt wurden.Nun waren sie befreit, zogen die Lumpen aus und nahmen, so lauteten wenigstens die Gerüchte, den Deutschen ihre Kleider weg. Das Dorf Goßwitz aber lag weit ab. Ich kann mich nicht daran erinnern, je plündernde Fremdarbeiter, amerikanische und später russische Soldaten gesehen zu haben. Stattdessen plünderten die Deutschen! Unter Lebensgefahr, denn auch die Besatzungsmacht hatte das verboten, zogen die Erwachsenen los und holten deutsches Heeresgut. Auf einem der Bahnanlagen, die in der Nähe dem deutschen Militär und den im Berg gelegenen Rüstungsbetrieben gehört hatten, standen Güterwagen mit nützlichen Dingen: Decken, Radioapparate und militärische Ausrüstungsgegenstände. In den Tagen nach der Besetzung zogen die Mutigsten aus den umliegenden Gemeinden los und holten sich aus den Waggons, was sie nur tragen konnten.

Hitlers Tod

Der Krieg ging zu Ende. Aber erst als am Abend des 21. April 1945 der Radiosprecher verkündete, dass der Führer an der "Spitze seiner Soldaten" und bei der "Verteidigung der Reichshauptstadt gefallen" sei, war auch für die Familie Rumpf der Glaube an den Endsieg zu Ende. Die Mutter weinte und musste die beiden weinenden Kinder trösten. Unsere Trauer war so groß, wie es unser Glaube an den Führer gewesen war. Der Tod Adolf Hitlers löste in mir Rachephantasien aus und noch über ein Jahr später gehörte ich zu jenen, die in unserem Gymnasium sein Andenken verteidigten. Dabei - so erscheint es aus heutiger Sicht - hätten wir doch allen Grund gehabt, ihm wegen dieses Krieges zu grollen. Und nun, kaum vier Wochen nach unserem Exodus, war der Führer tot. Die Leere, die dieser Tod zunächst in uns hinterließ, war sehr groß. Jede Orientierung war weg und damit unsere Perspektiven. Ich hatte bis dahin keinen Menschen gekannt, der anders war als wir. Bis zum Kriegsende wusste ich nicht einmal, dass es Männer gab, die nicht Mitglied der NSDAP waren. Alle Männer, mit denen meine Eltern Kontakt hatten, trugen ein Parteiabzeichen.

"Jede Orientierung war weg"

Die eigenen Zukunftsvorstellungen waren eng mit dem Dritten Reich verknüpft gewesen. Natürlich wollte ich Offizier werden. Nach Ballenstedt, auf die Nationalpolitische Bildungsanstalt, war ich nicht gekommen, obwohl ich alle Prüfungen bestanden hatte: meine Mutter intervenierte wegen meiner Anfälligkeit für Erkältungskrankheiten. Und gegen den Elternwillen konnte wohl auch damals die staatliche Gewalt nicht alles durchsetzen. Mein Vater, er arbeitete seit 1935 bei Junkers in einer "Hollerith-Abteilung" (als "Informatiker" sagen wir heute), war im besetzten Frankreich und, 1942, auf Frontflugplätzen in der Sowjet-Union im Einsatz. Dort träumte er von einem landwirtschaftlichen Gut am Dnjepr. Insofern hatte ein offizielles Kriegsziel, die Besiedlung und Germanisierung der landschaftlich fruchtbarsten Gebiete im westlichen Russland und in der Ukraine zumindest bei nationalsozialistisch denkenden Menschen in Deutschland, wie in unserer Familie, bereits konkrete Vorstellungen angenommen. Sogar die Pläne wurden damals gezeichnet und ein Gebiet bei Saporoshje als künftige Heimat ausgeguckt.

Weitere Erinnerungen von Dr. Joachim Rumpf finden sich auf seiner Homepage www.salpeterer.net/Zeitgeschichte.

Empfohlene Zitierweise:
Rumpf, Joachim: "Wo bleibt der Endsieg?", in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/joachim-rumpf-wo-bleibt-der-endsieg.html
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