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Johann Müller: Kriegsende in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und Überfahrt nach Großbritannien

Dieser Beitrag wurde von Johann Müller (*1923) 2001 in Burghaslach verfasst.

[Johann Müller, der im August 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet, befindet sich zu Beginn des Berichtsin Ogden (Utah, USA). Dort lebt er in einem Kriegsgefangenenlager und leistet Arbeitsdienst in einem Depot der US Army.]

07.05.1945

In Ogden [USA] läuteten alle Glocken! Es schien so, als wäre der Krieg zu Ende. Die erste Post kam von Zuhause.

08.05.1945

Plötzlich war Postsperre und Kantinenkürzung.

09.05.1945

Heute war eine halbe Stunde Arbeitspause angeordnet, wegen bedingungsloser Kapitulation. Als Schikane mussten wir im Lager mit den Händen Gras ausrupfen. Verpflegung wurde vorübergehend miserabel. […]

05.06.1945

Lesestunde wegen Info über Konzentrationslager. Wir mussten ein illustriertes Heft durchlesen und die Bilder anschauen und das unter Bewachung. Da waren die Gefangenen nicht alle einer Meinung. Manche konnten es einfach nicht glauben, was da für Bilder gezeigt wurden. In Norfolk abgenommene Privatsachen bekamen wir zum Teil wieder zurück. Hier im Depot gab es alles, was in der Army so gebraucht wurde für Männer und für Frauen, sogar Schmuck für die Frauen, z. B. Silberkettchen usw. Ich war bei verschiedenen Arbeiten eingeteilt, wie z. B. am Holzplatz übrige Kisten usw. verbrennen, bei Nachtschicht Kleider sortieren, Kisten nageln (maschinell), Fahrzeuge be- und entladen, Paletten nageln per Hand usw. Hobbys hatte ich hier: schnitzen […], Portraits zeichnen, lesen; z. B. von Gottfried Keller „Der Weg zum Gral“ (Richard Wagner), „Schillers Leben“, Biographien von Mozart und Goethe, Deutsche Geschichte und vieles mehr. Kino wurde öfters geboten und Konzertabende von Musikern aus dem Lager gestaltet.

01.07. bis 06.08.1945

In der Zeit war ich immer wieder krank und hatte eine tiefliegende Mandelentzündung, der Hals war total zugeschwollen. Ich hatte immer wieder Fieber und war zeitweise im Lazarett. Aus heutiger Sicht war es eine unbehandelte Schilddrüsenentzündung.

18.07.1945

Eine Untersuchung wegen der Kriegsverletzungen hatte man durchgeführt. Resultat: Man sagte mir, „Es wird gut sein, wenn die Glieder noch etwas gestärkt werden“ (das war die Reaktion auf mein jugendliches Aussehen). […]

23.10.1945

In der „Life“ fand ich Abbildungen von Scheinfeld/Schwarzenberg (aus der Heimat). […]

09.12.1945

Schallplattenkonzert in der Kantine, und zwar die zweite und fünfte Symphonie von Beethoven und Klaviersonate usw. Für mich sehr beeindruckend, bei der ersten Bekanntschaft. […]

19.12.1945

Abfahrt Richtung Kalifornien. Stationen: durch die Stadt Ogden zum Bahnhof, sechs Meilen langes Gleis durch den Salzsee, Staat Nevada.

20.12.1945

Kamen in Stockton, Staat Kalifornien an und es ging weiter zu einem Seitenlager von Stockton. Eine Meldung aus Washington traf ein, dass alle Kriegsgefangenen bis April nach Hause unterwegs sein sollen. Lektüre „Eichendorff“.

24.12.1945

Keine Weihnachtsstimmung kam auf, kein Christbaum, keine Weihnachtslieder, nur eintöniges Gefangenenleben. Die meisten der Gefangenen waren in Gedanken zuhause und dachten, wie schön es sein könnte.

25.12.1945.

Kirchgang war möglich (amerikanischer Militärpfarrer). Lektüre: Haydn, Luther, Storm, Hölderlin. […]

01.01.1946

Morgens war wieder Gottesdienst. […]

16.01.1946

Konnten ein Paket mit Büchern nach Hause schicken.

01.02.1946

Hatte die erste Begegnung mit Emil K. aus Dettingen. Wir machten gegen abends öfter einen Rundgang. Laut Parole sollten wir bald Richtung Heimat fahren; doch das verschob sich immer wieder.

14.02.1946

Nun wurde es wirklich ernst. Unsere Nummern: Bruno 707, ich 906 und Emil 706. Mein Gewicht war 150 englische Pfund.

15.02.1946

Wir kamen in ein Zeltlager.

20.02.1946

Wir marschierten ab mit Musik zum Hafen; Truppentransporter mit 18.000 Tonnen, Größe ca. 167 x 22 x 24 Meter.

21.02.1946

Morgens war Abfahrt durch Kanal, Oakland, zwei Zugbrücken, das Goldene Tor von St. Francisco (7,5 Meilen lang, ca. 70 m hoch). […]

23.02.1946

Links war noch Land in Sicht, fliegende Fische, Wale, Seehunde, Schildkröten, Fischschwärme. […] Das Essen war bestens, sogar mit Eis als Nachspeise! Der Käpten, deutscher Abstammung, war uns sehr gut gesinnt. Bruno K. und Emil K. waren auch noch bei mir.

01.03.1946

Links waren Inseln in Sicht. Wir sahen viele Pelikane und Fischreiher. Nun kamen wir am Panamakanal an. Schleusen, Militärquartiere und Panama-Stadt von Ferne. Innerhalb von 8 Tagen kamen wir vom Winter in den Sommer. Hier war es jetzt so warm, dass man mit kurzer Hose herumlaufen konnte. Es waren weiter Dockanlagen, Zementfabriken, Seen und Häfen zu sehen.

02.03.1946

Verlassen des Kanals, rechts noch Land. Dann kam das Karibische Meer und viele werden schon seekrank.

04.03.1946

Links war eine Insel zu sehen und rechts Puerto Rico.

08.03.1946

Nun kam hoher Seegang, nachts Stärke 5, die Wellen gingen über Bord. Bei mir hatte eine Tablette etwas geholfen; ich lag halt immer flach; es war nasskalte Witterung.

10.03.1946

Der Seegang wurde wieder ruhiger. Dann zwei Inseln in Sicht und zwar Flores und Corvo (Ausläufer der Azoren).

13.03.1946

Wir sahen Seeschwalben, links Irland, kleine Fischerboote, Leuchttürme, St. Georgskanal, Irische See, dann war Minengefahr angesagt und Nebel. Ich hatte die Überfahrt mit Hilfe von Tabletten einigermaßen gut überstanden in meist liegender Position. 21 Tage dauerte die Überfahrt.

Zur Person

Johann Müller wird am 9. August 1923 in Burghaslach geboren. Er besucht die dortige Volksschule und absolviert im Anschluss daran eine Ausbildung zum Buchhalter bei der Bayerischen Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften AG (BayWa). 1942 wird er in die Wehrmacht eingezogen und ist unter anderem an Kämpfen in der Sowjetunion, Griechenland und Italien beteiligt. Ende August 1944 wird er von kanadischen Truppen in Italien gefangengenommen. Mit einem Gefangenentransport kommt er in die USA. Dort lebt er in verschiedenen Kriegsgefangenenlagern und arbeitet in der Baumwollproduktion und einem Armeedepot. 1946 wird er als Kriegsgefangener nach Großbritannien verschifft. Auch hier arbeitet er in verschiedenen Bereichen, beispielsweise in einem Kalibergwerk oder im Straßenbau, ehe er Anfang 1948 nach Burghaslach zurückkehrt. Die Erlebnisse während des Krieges und der Kriegsgefangenschaft hält er in Tagebucheinträgen fest. Nach seiner Rückkehr gründet er eine Familie und arbeitet zunächst wieder für die BayWa und anschließend, bis zu seiner Verrentung 1982 als Disponent. Johann Müller stirbt im März 2022. Die originalen Tagebücher sowie sein Nachlass werden im Fränkischen Freilandmuseum des Bezirks Mittelfranken in Bad Windsheim aufbewahrt.

Empfohlene Zitierweise:
Müller, Johann: Kriegsende in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und Überfahrt nach Großbritannien, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/johann-mueller-kriegsende.html
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