Aufzeichnungen aus dem Tagebuch von Karl Deutmann aus Adlershof bei Berlin. (DHM-Bestand)
24. Juni 1945
An einer Straßenecke war ein wilder Schwarzhandel im Gange. Hier gab es alles zu kaufen oder zu tauschen. Für eine Armbanduhr je nach Qualität gaben russische Soldaten und Offiziere einige Pfund Butter, Fleisch, Tabak oder Geld an die Deutschen. Es gab Anzüge, Schuhe, Wäsche, Strümpfe, Oberhemden Ringe, Taschenuhren und anderes mehr. Eine Zigarette kostete von 8 Mark bis 15 Mark aufwärts. Ein kleines Päckchen Tabak 150 Mark. Man konnte aber auch umgekehrt eine neue Kleiderbürste für eine Zigarette bekommen.
Ein russischer Offizier saß in einem Auto, hielt ein Messer in der Hand, und vor ihm stand ein Behälter mit Butter. Eine Dolmetscherin saß ihm gegenüber, reichte ihm die Uhren zur Prüfung zu und vermittelte dem Deutschen die Kilo- oder Pfundzahl an Butter oder Speck oder Büchsenfleisch. Für Goldsachen gab es Fettigkeiten; Schuhe usw. wurden in bar bezahlt. Es gab aber keinen Betrug. Was ausgemacht war, wurde eingehalten.
Ein G.P.U.-Offizier, der plötzlich mit einem Auto erschien, machte der Sache ein Ende. Um die Deutschen untereinander kümmerte er sich aber nicht. Als er später abgefahren war, ging die Sache fröhlich weiter.
5. August 1945
Von Brotscheiben, in Öl gebacken, gelebt. Die Flasche Öl haben wir auf dem Tauschwege erworben. Am Nachmittag sind wir nach Berlin gefahren, um bei Bekannten unser Glück zu versuchen, auf dem Tauschwege etwas Lebensmittel zu bekommen. Es war umsonst. [...]
Später ließen wir uns am Nordhafen mit einer Fähre übersetzen, wanderten durch den Tiergarten bei Krall vorbei und besuchten die "Schwarze Börse" am Brandenburger Tor. Hier wird von amerikanischen und russischen Soldaten alles gekauft und verkauft, was es an Uhren, Kleidungsstücken, Ringen, Juwelen, Stiefeln, Ferngläsern, Photoapparaten, Rasiermessern, Pelzmänteln, Strümpfen und seidener Damenwäsche noch gibt.
Die Amerikaner und Engländer kaufen nur Uhren und Schmuck. Die Russen kaufen aber auch Kleidung für ihre Frauen und geben außer dem Kaufpreis noch Lebensmittel wie Butter, Wurst, Speck, Zucker und Brot. Die Amerikaner verkaufen den Russen ihre Armeeuhren (Armbanduhren), die sehr stabil sind, nachdem sie goldene deutsche gekauft haben. Die Deutschen aber kaufen von den Amerikanern wieder Toilettenseife, Zigarren, Zigaretten, Tabak und Schokolade. Aber zu schwindelnd hohen Preisen und nur für alliiertes Geld.
Es ist ein Rausch über die Menschen gekommen, zu tauschen, zu handeln, etwas lang entbehrt Schönes wieder einmal zu genießen; es zu besitzen um jeden Preis. Man trennt sich von Kostbarkeiten, um einmal wieder Speck zu essen, eine gute Zigarette zu rauchen, sich einmal wieder mit guter Seife zu waschen, ein Stückchen Schokolade zu essen. Aber bei den unerhörten Preisen ist dieser kleine Genuß in kurzer Zeit ein senkrechter Sprung in die Klauen der Armut.
Wir fuhren zur "Schwarzen Börse" am Brandenburger Tor. Eben angekommen und dem wilden Haufen zugesehen, ertönten die schrillen Pfeifen der deutschen Polizeibeamten. Hunderte von Menschen wandten sich zur Flucht, von allen Seiten umstellt. Amerikaner und Russen ließen sich nicht stören. Tausende deutscher Zivilpersonen, Männer, Frauen und Kinder, setzten sich in Bewegung und machten verzweifelte Bewegungen, aus dem Kessel herauszukommen. Obwohl wir weder gehandelt, noch etwas gekauft hatten, hätten wir mit allerlei Unannehmlichkeiten rechnen müssen. Nun hieß es, den klaren Kopf behalten. Wir folgten ruhig einer Anzahl Flüchtlingen in das Palais des Fürsten Blücher, um den Pariser-Platz zu erreichen. Der Ausgang war aber von der Polizei versperrt. Wir sprangen aber durch eine zerschossene Mauer in das Haus von Goebbels, um durch den Garten zu flüchten in der Hoffnung, einen Ausweg durch das zerschossene Propaganda-Ministerium auf die Straße zu finden. Aber auch hier war ein Entrinnen unmöglich. [...]
Später sind wir dann an der Seite zum Tiergarten hin vorsichtig Ausschau haltend durch ein Einschussloch in der Mauer gestiegen und befanden uns auf der Straße. Die Polizei hatte an dieser Stelle bereits unsere Zone passiert und war weitergegangen zum Brandenburger Tor. Der Kessel um die Händler, Käufer und Tauscher war geschlossen. Wir waren gerettet. Auf der Straße verkaufte ein Amerikaner schon wieder feste Seife und wir waren wenigstens einmal im Leben uneingeladen bei Goebbels im Garten. Vom "schwarzen Markt" aber haben wir nun genug, meine Frau und ich.
Empfohlene Zitierweise:
Deutmann, Karl: Schwarzmarkt in Berlin, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/karl-deutmann-schwarzmarkt-in-berlin.html
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