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Kurt Elfering: Die Eimermacher von Borowitschi

Dieser Eintrag stammt von Kurt Elfering (*1922). Kurt Elfering berichtet in mehreren Abschnitten von seinem Transport ins Gefangenenlager, über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager bis zu seiner Heimkehr Ende April 1948.

Was einem so einfällt, wenn der Hunger das Leben diktiert.

Was einem so einfällt, wenn der Hunger das Leben diktiert. In russischer Kriegsgefangenschaft in Borowitschi arbeitete ich im Kombinat "Rote Keramik" in der Mechanischen Werkstatt. Jeden Morgen 6 km hin, vom Lager zum Kombinat, und am Abend wieder6 km zurück. Wenn wir im Betrieb ankamen, waren wir schon das erste Mal kaputt. Die Hauptpunkte des Tages waren immer die Suppenausgaben. Da wir ja ewig Hunger hatten, arbeiteten unsere Hirne zu 90% immer in die Hungerbekämpfungsrichtung. Da ich als Blechschlosser eine große Heißluft-Trockenanlage zu bauen hatte, die für die Trocknung der gepressten Tonziegelbenötigt wurde, hatte ich viel mit Blechen zu tun, die auch von guter Qualität waren. Somit eigneten sie sich auch hervorragend für bestimmte Schwarzarbeiten.

Dann und wann habe ich auch mal kleine Sachen für die Russen gebaut. Kochtöpfe warensehr gefragt. Nun waren wir drei Mann, die schon so etwas wie ein Team waren. Ein Schmiedemeister namens Willi aus Hamm, seinZ uschläger, auch ein Willi aus Duisburg und ich, der Blechschlosser. Da Willi l, der Schmied, sich auch mit Blechen gut auskannte, und ich auch schmieden konnte, halfen wir uns gegenseitig aus, so wie es die Lage erforderte.

Willis Idee einer Eimerfabrikation

Irgendwie kam Willi II, der Zuschläger, auf die Idee, dass eine Eimerfabrikation wohl die richtige Masche sei. Er hatte in der Lagerküche einen Bekannten, der Jupp hieß. Diesen wollte er mal "anzapfen", ob sie dort nicht einen Eimerbedarf hätten. Diese Anzapferei verlief positiv. Wir sollten ruhig mal einen Eimer anliefern. Jetzt gründeten wir drei eine Firma: Die Eimermacher GmbH. Willi l und ich waren die Fabrikationsabteilung, und Willi II war der Vertriebsleiter. Nun wurde erst einmal ein8-l-Eimer gebaut, natürlich alles geheim und in Schwarzarbeit.

Jetzt gab es ein großes Problem: die Werkskontrolle. In Fünferreihen ging es etwa 200 bis 300 m durch das Werksgelände zum großen Werkstor. Hier gab es die Sichtkontrolle und die Zählung der einzelnen Brigaden. Diese Sichtkontrollen mussten ausgetrickst werden, und das ging dann so: Willi II hatte jedes Mal am Eimertransporttag seinen langen Militärmantel an. An einer langen Schlaufe, die über die Schulter lief, baumelte unten der Eimer zwischen den Beinen im inneren Mantelbereich, sodass er bei der Sichtkontrolle nicht zu sehen war. Dieser erste 8-l-Eimer wurde dann zur Lagerküche gebracht und dort vom Jupp begutachtet. Unser Kunde wollte aber ab jetzt 10-l-Eimer haben. Willi II hatte dem Jupp aber auch zu verstehen gegeben, dass unsere Firma aus drei Leuten besteht und auch nur so leistungsfähig sei.

Weitere Verhandlungen ergaben, dass wir pro Woche einen Eimer anlieferten, wobei Terminschwankungen eingeräumt wurden. Das Wichtigste, was nun folgte, war die Beschaffung eines 3-l-Kaschtopfes.Dieser war auch schnell besorgt. Eine amerikanische Milchpulverdose bekam einen Henkel, und schon war der Nachschlagtopf fertig. So ein Topf konnte nie groß genug sein. Nun war alles geregelt. Es konnte losgehen. Willi l und ich produzierten, und Willi II machte die Auslieferung und die Lohneintreibung. Es dauerte noch eine Weile, bis sich das Schlagwort" EIMERMACHER" am Suppenschalter der Lagerküche herumgesprochen hatte.

Die Produktion wurde gestartet, der Meister schaute weg

Die Produktion wurde gestartet. Wir mussten auch immer aufpassen, dass uns der Meister nicht dabei erwischte. Ich glaube, er hat auch manchmal bewusst weggesehen. Ich hatte ja auch schon desöfteren für ihn einige Sachen "pfuschen" müssen, einmal eine Kinderbadewanne, ein andermal eine Gießkanne usw. Eimer und Töpfe aber waren die Spitzenreiter. Ich hatte aber auch manchmal das Gefühl, dass die russische Obrigkeit uch nichts sehen wollte. Aber trotzdem: man konnte nie wissen.

Unser Eimerspiel lief folgendermaßen ab: Gegen Ende der Suppenausgabe am Abend wurde der Eimer immer übergeben und der 3-Liter-Nachschlagtopf hingehalten. Willi II hatte immer die richtigen Geschäftsverbindungen. Dann teilten wir uns den Topf und hatten noch eine schöne zusätzliche Magenfüllung. Da wir meinten, dass EINE Abspeisung wohl nicht genug sei, ging Willi II auch schon mal am Morgen, bevor wir ausrückten, zum Suppenschalter und rief: "EIMERMACHER!" Da der Firmenname mittlerweile schon bekannt war, schnappte sich der Mann an der Suppenkelle den Topf und füllte ihn.

Lohneintreibung mit der Suppenkelle

So haben wir die Lohneintreibung so oft wie möglich durchgeführt. Unser Willi II hatte zwar mit der Produktion nichts zu tun, aber auch seine Last zu tragen. Denn auch an den heißesten Sonnentagen musste er bei der Auslieferung seinen dicken Tarnmantel tragen. Es fiel den Russen gar nicht auf, dass einer von ca. 700 Leuten wohl unter Dauerkälte litt. So haben wir insgesamt ungefähr 40Eimer geliefert, als die Lagerküche wahrscheinlich unter der Last der Eimer zusammenbrach. Die Küche stellte den Kauf ein, und wir mussten unsere Eimer-GmbH auflösen.

Es war kurz vor Weihnachten 1946, als der Meister zu uns kam und uns mitteilte, er habe bald Geburtstag, und er brauche Geld. Das hieß, er brauchte Eimer, die er zu Rubel machen wollte. Jetzt war es heraus, denn Eimer brachten damals echtes Geld. Wir sollten an einem Tag nur für ihn Eimer machen. Wir machten Akkord und schafften auch allerlei. Am Nachmittag hatten wir sieben Eimer fertig und brachten sie in das Meisterbüro. Wir hatten noch 1 1/2 Stunden Zeit bis zum Feierabend. Er gab uns Tabak und das notwendige Zeitungspapier, und wir durften bis zum Schlusssitzen bleiben und rauchen.

Mein Geburtstagsgeld zusammengepfuscht

Als mein Geburtstag im Februar nahte, brauchte ich auch Geld. Mutig klagte ich meinem Meister meine missliche Lage und fragte, ob ich nicht auch einen Arbeitstag für mich einlegen dürfte. Er lächelte und sagte zu. Ich sollte ihm nur Bescheid sagen, wenn der Tag dran wäre, aber ich sollte mich vor dem Natschalnik in Acht nehmen. So habe ich mir auch mein Geburtstagsgeld zusammengepfuscht.

Eine eigenartige Begebenheit muss ich aber unbedingt noch berichten. Unser Meister hatte irgendetwas gegen unsere Offiziere, und ein Leutnant war auch in unserer Brigade. Er machte dieses und jenes und wollte auch einen Eimer machen. Er war schon fast fertig, da wurde er vom Meister überrascht. Dieser nahm den Eimer und stülpte ihn dem Leutnant über den Kopf. Dann nahm er den Eimer mit in seine Meisterbude. Unser Leutnant war fix und fertig und haderte mit der ganzen Welt. Am nächsten Taggeschah dann etwas sehr Wundersames. Wir hatten soeben die Arbeit aufgenommen, da erschien der Meister mit dem Eimer, und der Leutnant bekam ihn wieder, mit der Bemerkung, er könne sein Werk vollenden. Wir haben dann geholfen, und der Leutnant konnte seinen Eimer in Rubel umsetzen. So etwas gab es auch. Unser Meister muss wohl einen guten Kontakt zur Obrigkeit gehabthaben. Denn für die Herrschaften des Kombinates musste ichallerlei Backröhren bauen, die auch immer sehr dringlich waren. Irgendwie waren sie wohl alle dabei, Häuser zu bauen. Dafür wurde sogar 2-mm-Blech angeliefert. Mit Schrotmeißel und Vorschlaghammer wurden die Biegelinien vorgekerbt und dann war im Handumdrehen der Kasten gebogen. Hinten wurde die Rückwand eingenietet und vorne der Türrahmen mit einer Doppeltür. Den Überwurfverschluss und zwei Backbleche mit den Auflagewinkeln machte ich dann auch noch. Und fertig war das begehrte Wunderwerk. Zwischendurch habe ich dann auch noch eine Dunstabluftanlage für die Werksküche gebaut und auch montiert. Die Arbeit an dieser Anlage war so unhandlich, dass ich hierfür einen zweiten Schlosser dazu bekam.

Backröhren gegen 30 Eier

Die Zeit ging weiter. Eines Tages kam ein Lastwagenfahrer zu mir in die Werkstatt und wollte auch eine Backröhre haben. Als ich ihm erklärte, dass ich im Augenblick kein Blech habe, und er ein wenig warten müsse, versprach er mir Himmel und Erde, wenn ich bloß anfangen würde. Mit Backröhrenhatte es jeder eilig. Als er nach einigen Tagen wieder vorbeikam, um sich zu informieren, sah er, wie sein Prachtstück entstand, und die Welt war wieder so, wie sie sein sollte. Einmal kam er in die Werkstatt gestürzt, als der Meister neben mir stand. Wie ein Spuk war er wieder verschwunden. Etwas später kam er noch einmal wieder, und die Luft war rein. Er fragte, wann die Backröhre denn wohl fertig würde, ich bekäme 30 Eier für dieses Exemplar. So gut war ich noch nie bezahlt worden. Ich sagte, wenn alles gut ginge, in zwei Tagen. Zufriedenentschwand er der Werkstatt. Als er in zwei Tagen wieder erschien, verschwand er sofort wieder und kam mit 30 Eiern zurück. Ich hatte meine Eier und er seine Backröhre. Er verschwand und ward nicht mehr gesehen.

Da ich die Eier ja nicht mit ins Lager schleppen und sie ja auch nicht so lange aufgehoben werden konnten, eröffnete ich einen Eierladen. Zwanzig wurden verkauft oder gegen Tabak oder Broteingetauscht, die restlichen zehn behielt ich und schlug sie mir so nach und nach in die gar so dünne Suppe.

Empfohlene Zitierweise:
Elfering, Kurt: Die Eimermacher GmbH und Co. von Borowitschi, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/kurt-elfering-die-eimermacher-von-borowitschi.html
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