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Kurt Elfering: Enttäuschte Hoffnung auf Freilassung 1947

Dieser Eintrag stammt von Kurt Elfering (*1922). Kurt Elfering berichtet in insgesamt sieben Abschnitten von seinem Transport ins Gefangenenlager, über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Lager bis zu seiner Heimkehr Ende April 1948.

Wegen Dystrophie im Krankenlager

Seit fast zweieinhalb Jahren saß ich im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Borowitschi, als der Dezember 1947 nahte. Wegen Dystrophie war ich zu dieser Zeit im Krankenlager. Der Schnee war reichlich, und die Kälte hielt sich in Grenzen, -10 bis -15 Grad wurden nicht unterschritten. Plötzlich eine unheimliche Aufregung: Es hieß, es sollte ein Heimkehrertransport zusammengestellt werden. Und so war es auch

Die Listen wurden erstellt, die Namen verlesen, und wir Dystrophiekranke waren auch dabei. Die Ereignisse überschlugen sich. Gruppenweise ging es zur Banja (Badehaus) und zur Entlausung, obwohl wir während der ganzen Gefangenschaft keine Läuse mehr hatten. Aber der Gang zur Banja war immer mit einer Entlausung verbunden. Anschließend wurden wir in der Kleiderkammer neu eingekleidet, d.h. ansehnlicher. Nochmals wurden die Namen verlesen. Es stimmte noch. Ich war immer noch dabei!! Die Angst, dass ein Name plötzlich nicht mehrdabei sein könnte, war riesengroß.

“Die große Stunde war da.“

Es war der 6. Dezember, der Nikolaustag. Die große Stunde war da. Wir wurden vom russischen Lagerkommandanten verabschiedet und bekamen von der Küche unsere Marschverpflegung, die im Handumdrehen aufgegessen wurde. Jetzt warteten wir nur noch auf die Lastwagen, die uns zum Bahnhof bringen sollten. Nun hatte es in der letzten Nacht mächtig geschneit, und es schneite immer noch. Es hieß, der Schneepflug müsse erst räumen, damit die Lastwagen kommen könnten. Dieses war wirklich einzusehen, denn alles war total verweht. Der Nachmittag kam und die Dunkelheit auch, denn um halb vier war es schon dunkel. Da kam die Meldung: Heute geht nichts mehr, die Schneepflüge hätten es nicht mehr geschafft. Da wir unsere Verpflegung ja schon aufgegessen hatten, kochte uns die Lagerküche noch eine Abendsuppe. Enttäuscht legten wir uns zur Ruhe und warteten auf den nächsten Tag. So um Mitternacht wieder große Unruhe. Namen wurden verlesen und gruppenweise ging es wieder zur Banja. So ging es bis zum Morgen. Was war bloß los?

Dann wurde es ruhig, und jemand von der Lagerleitung kam und las noch einmal die Liste vor. Nun war alles aus. Zirka 70 Namen waren von der Liste gestrichen. Darunter war auch mein Name. Etwas Schlimmeres kann man sich gar nicht vorstellen. Mit tränenden Augen sahen wir den Tag kommen, während die Anderen zum Tor zogen um die eingetroffenen Lastwagen zu besteigen. Wir Zurückgebliebenen sind in ein tiefes Loch gefallen! Was war geschehen? Hatte man, da ja noch Zeit war, die Krankenblätter noch einmal durchstudiert, um noch mal zu sieben? Ober sind vielleichtzwei Waggons nicht gekommen, sodass man einige von der Liste streichen musste? Es war eine Enttäuschung, die man nicht beschreiben kann!

“Eine Enttäuschung, die man nicht beschreiben kann!“

Jetzt wurden wir erst einmal zur Arbeit im Krankenlager eingeteilt. Ich wurde Wasserträger vom Brunnen zur Küche und zur Banja. Der Brunnen war ein typischer Ziehbrunnen und total von Eisfeldern umgeben. Eine Arbeit, die an alte russische Liedererinnerte. Eines Tages kam der Barackenälteste zu mir und teilte mir mit, dass ich mich morgen in der Lagerschlosserei melden solle. Diese Schlosserei war mit einer Schmiede kombiniert. Nebenan waren die Schreinerei, Kleiderkammer, Schuhmacherei usw. Dieser ganze Komplex war die Instandhaltungszone und lag in der äußersten Ecke des Lagers. Unsere Aufgabe diente der Lagerfunktion. Da die alten Baracken nach und nach abgerissen und durch Lehmziegelhäuserersetzt wurden, hatten wir allerhand zu tun: Türscharniere, Verschlüsse und sonstige Beschläge. Jetzt wurde ich in die Lagerstammkompanie versetzt und kam somit in die Stammbaracke. Das war ein Glückstreffer, denn nun fiel ich nicht mehr unter die Arbeitsgruppenuntersuchungen.

Alltag kehrt wieder ein

So nach und nach hatte ich mich jetzt wieder gefangen. Da wir auch oft im Küchenbereich zu tun hatten, fiel auch etwas für unseren Magen an. Da dieses ein Krankenlager war, herrschte hier ein ganz anderes Klima. Es war alles viel persönlicher. Die Härte des Arbeitslagers war gewichen, und es war auch alles leichter zu ertragen. Es gab sogar evangelische Gottesdienste und katholische Messen, immer abwechselnd in irgendeiner Baracke oder im Clubhaus. Wenn die "Evangelen" im Clubhaus waren, waren die "Katholen" in irgendeiner Baracke. Am nächsten Sonntag war es umgekehrt. Der katholische Pfarrer war zugleich Leiter der Kleiderkammer. Er hieß Karl Stehmann, und wenn es ihm zu kalt wurde in seiner Baracke, kam er zu uns in die Schmiede, wärmte sich und erzählte Dönekes aus dem Münsterland.

Empfohlene Zitierweise:
Elfering, Kurt: Enttäuschte Hoffnung auf Freilassung 1947, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/kurt-elfering-enttaeuschte-hoffnung-auf-freilassung.html
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