Dieser Eintrag wurde von Margarete Schleede (*1926) im Juni 2004 in Hamburg verfasst.
In meinem altem Wintermantel mochte ich so nicht mehr herumlaufen. Ich trennte ihn ganz auseinander und wendete ihn. Das mußte ich an einem Wochenende schaffen, weil ich ihn täglich brauchte. Ich war nicht mehr ansprechbar, denn es dauerte lange, bis ich damit fertig wurde. Die Mahlzeiten waren mir schon lästig. Mama war mir dabei eine große Hilfe. Sie machte mir die Trennfäden alle heraus. Das hätte mich viel Zeit gekostet. Als ich dann am Sonntagabend endlich die Ärmel einnähen konnte, war ich vollkommen fertig. Mir tat alles weh, vom langen sitzen und besonders die Finger, denn ich mußte alles mit der Hand nähen. Am schlimmsten waren die dicken Stellen. Ich träumte dabei immer von einer Nähmaschine, die ich mir irgendwann auch mal anschaffen möchte. Denn schon als 9-jährige wünschte ich mir eine Handnähmaschine, die ich nie bekommen hatte. Es war meine einzige Hoffnung, dass ich sie nun als 20-jährige vielleicht irgendwo mal ergattern könnte.
Aber es waren nur Träume. Meine Näherei war immer noch mein Hobby, auch stricken und häkeln machte ich so gern nach Feierabend. Nur hatten wir leider zu wenig Material dazu. Auch mit der üblichen Tauscherei war nicht viel zu beschaffen, denn jeder wollte selbst was haben, um es zu verwenden. Papa malte manchmal ein Bild und versuchte es dann zu verkaufen, mein Traum von einer Handnähmaschine war nicht zu erfüllen. Papa war so begeistert von meinem gewendeten Mantel, dass er mir schon vor Freude darüber gerne eine Maschine besorgt hätte. Er kannte meine heimlichen Kinderwünsche und hätte mir so gern eine geschenkt. Aber es wurde nichts.
Die Mühe, den Mantel zu wenden, hatte sich gelohnt, denn jeder war begeistert davon. Auch wie mühsam er zustande gekommen war, bewunderten alle. Nur selbst machen wollte es keiner, denn dazu gehörte viel Ausdauer. Besonders, wenn man ihn nach anderthalb Tagen fertig haben mußte, damit man ihn gleich anziehen kann und weil ich ihn so dringend brauchte. Meine Arbeitskollegen konnten es nicht fassen und waren ganz erstaunt, dass man so was machen kann. Ich war stolz darauf, als erste die Idee zu haben, aus einem alten einen neuen zu machen. Das war mir gelungen. Er sah wirklich wieder dunkelblau aus, und nicht mehr so verblichen. Später konnte Papa zwei Bilder für einen alten, zerschlissenen Mantel eintauschen, aus dem ich ein warmes Winterkleid machen konnte. Das war dann mein erstes, neues Kleid.
Empfohlene Zitierweise:
Schleede, Margarete: Der alte Wintermantel 1946, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/margarete-schleede-der-alte-wintermantel.html
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