Dieser Beitrag wurde von Olaf Nolden im April 2001 verfasst.
Spätsommer 1989
In den Tagen seit der Prager Botschaftsbesetzung begann für mich im Spätsommer 1989 ein völlig neuer Tagesablauf. Ich wohnte damals in Scharbeutz an der Ostsee, von wo aus man einen freien Blick an die Küste der DDR hatte, die bezeichnenderweise nachts im tiefen Dunkel lag.
Fernsehnachrichten
Seit jenen Tagen machte ich ab 19:00 Uhr den Fernseher an, schaute die "heute"-Nachrichten, danach die "Aktuelle Kamera" im DDR-Fernsehen, um direkt danach auf die Tagesschau umzuschalten. Eine der bewegendsten Momente war die kurze Rede vom damaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft. Nach endlosen Tagen des Wartens, was mit den Botschaftsflüchtlingen passieren würde, kam von ihm am späten Abend die Erlösung. "Ich bin heute Abend zu Ihnen gekommen", sagte er langsam, während unten in den Menschenmassen Stimmen zur Ruhe mahnten, "um Ihnen mitzuteilen, daß heute Ihre ...". Der Rest des Satzes ging in einen unglaublichen Jubel unter. Die Erinnerung daran läßt mir immer noch ein Gänsehaut wachsen.
9. November 1989
Dann der 9. November 1989. Im DDR-Fernsehen wurden neuerdings Pressekonferenzen der neuen Staatsführung abgehalten. Was Günter Schabowski während der Live-Übertragung verlautbarte, war im Grunde langweiliger Kram. Aber zum Ende hin fummelte er in seiner Jackett-Tasche und zog einen Zettel heraus. Er erzählte - und ich konnte es kaum glauben - daß nunmehr die Ausreise von der DDR zur BRD uneingeschränkt möglich wäre.
Ich verfolgte gebannt die weiteren Nachrichten und es wurde immer deutlicher: Die Mauer ist gefallen. Es wurden Bilder aus Berlin gezeigt, wie Menschenmassen von Ost nach West drängten, immer wieder "Waaaaaahnsinn" rufend. Mich hielt es nicht mehr vor dem Fernseher, ich mußte zur Grenze.
Auf zur Grenze
Also fuhr ich die wenigen Kilometer bis Lübeck-Schlutup und schaute, am Grenzpfosten angekommen, in die Dunkelheit. Offensichtlich hatte es sich bis hierhin noch nicht herumgesprochen, daß heute Abend Geschichte geschrieben würde. Ich wußte, daß irgendwo da drüben, mitten im Sperrgebiet, Verwandte von mir wohnten, und hatte die Leise Hoffnung, sie heute Abend zu treffen.
Aber daraus wurde leider nichts. Ich fuhr wieder zurück, kam aber am nächsten Morgen wieder. An der Grenze standen 2 leere Sektflaschen, sonst war niemand zu sehen zu dieser frühen Uhrzeit (08:00 Uhr). Langsam kamen aber Anwohner aus Schlutup hoch zur Grenzlinie. Es verbreitete sich das Gerücht, daß außerhalb der Sperrzone die Trabbis stünden. Es hieß, daß ab 11:00 Uhr kein Visum mehr benötigt werden würde.
"Ein Trabbi nach dem anderen …"
Und dann war es soweit: Sie kamen. Ein Trabbi nach dem anderen ratterte über die schmale Grenzstraße, begrüßt von mittlerweile Hunderten von Menschen, die applaudierten, auf die Autodächer schlugen, jubelten. In den Autos sah man die gesamte Bandbreite menschlicher Mimik, aber vor allem eines: Freude!
Ein unvergeßlicher Moment für mich.
Meine Verwandten konnte ich am Vorabend des Weihnachtsfestes das erste Mal besuchen. Ab da war die Grenze in beide Richtungen geöffnet.
Empfohlene Zitierweise:
Nolden, Olaf: Erinnerungen an den Mauerfall, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/olaf-nolden-erinnerungen-an-den-mauerfall.html
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