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Paul Gonsior: Von Oppeln nach Borkum

Dies ist die Abschrift eines Briefs aus dem Jahr 1947 von Paul Gonsior.

Im Borkumer Flüchtlingslagers verfasste am 15. Januar 1947 Regierungsoberinspektor Paul Gonsior den folgenden Brief:

Absender:

Regierungsoberinspektor Paul Gonsior, 23) Borkum, Flüchtlingslager, Kaserne Mitte, Block 9

Borkum, den 15. Januar 1947

Sehr geehrter Herr Forstmeister!

Von Frau Kasparek, früher Frl. Moder, habe ich heute Ihre Anschrift erhalten. Sie schrieb mir, dass Sie immer nach mir gefragt haben. Ich beeile mich daher, Ihnen kurz ein Lebenszeichen von mir zu geben und etwas über mein Erleben zu berichten. […]

Nachdem wir im Januar 1945 unser Verwaltungsgebäude verlassen haben, blieben Herr Regierungsdirektor Ludwig und ich mit einer kleinen Restverwaltung bis März 1945 in Gumpertsdorf. Bei unserer Flucht aus Gumpertsdorf verlor ich meinen eigenen Kraftwagen mit meinem Flüchtlingsgepäck schon in Neustadt und den Dienstwagen bei Glembkau. Wir kamen teils zu Fuß und teils mit Gelegenheitskraftwagen nach Freiwaldau […]. Von dort begleitete ich Herrn Regierungsdirektor Ludwig nach Pirna zur Ausweichstelle des Regierungspräsidenten von Oppeln, von der ich dem Landrat in Flöha zur Hilfeleistung zugewiesen wurde und damit zu meiner Familie in Frankenberg in Sachsen, Kreis Flöha, kam.

Als jedoch nach der Besetzung des Deutschen Reiches durch die Feindtruppen die deutschen Verwaltungen im Amte blieben, glaubte ich, meine Verwaltung in Oppeln nicht verwaist lassen zu dürfen und begab mich größten Teil des Weges zu Fuß zurück legend, sofort nach Oppeln. Das war der größte Fehler, den ich in meinem Leben begangen habe. Noch am Tage meiner Ankunft in Oppeln wurde ich von der polnischen Polizei im Landratsamt festgenommen und der polnischen Gestapo übergeben. Dort erlebte ich Schreckliches. […]

Schließlich kam ich am 19. Juli 1946 erstmals vor das Sondergericht in Kattowitz. Dort fiel erstmals die Bezeichnung "Vertreter des Landrates". Hierauf sofort die Vertagung. Ich war verzweifelt. Der zweite Termin vor dem Sondergericht K. fand am 10.10.1946 statt. […] Der Staatsanwalt beantragt "Absonderung", das heißt: Ins Lager nach Jaworzno. Verteidiger spricht gut. Meine Schlussworte waren: Den Worten meines Herrn Verteidigers schließe ich mich an und bemerke, dass ich mich unschuldig fühle. Wenn ich mich schuldig gefühlt hätte, wäre ich nicht, den größten Teil des Weges zu Fuß zurücklegend nach Oppeln zurückgekehrt. Ich bitte daher um meine Freilassung und Entlassung. Richter kündigt Verkündung des Urteils in 30 Minuten an. In der Beratungspause erfahre ich von einer Frau Kloss aus Halbendorf, erstmalig seit meiner Untersuchungshaft von 17 Monaten, dass es meiner Frau und meiner Tochter […] verhältnismäßig gut geht, sie gesund sind und in Frankenberg in Sachsen wohnen. Ich war aufs tiefste aufgewühlt, in dieser Schicksalsstunde gerade von meinen Angehörigen, die meine größte Sorge waren, zu erfahren.

Die halbe Stunde Beratung verging. Es vergingen 45 Minuten, es verging eine Stunde, das Gericht kam nicht. Im Zuschauerraum höchste Spannung. Der Verteidiger wiegte bedenklich den Kopf. Endlich, etwa 10 Minuten nach einer vollen Stunde erschallt die Glocke. Alles erhebt sich. Im Zuschauerraum Totenstille, und höchste Spannung. Der Richter verhält etwas, blickt mich noch einmal mit seinen klaren und ehrlichen Augen an und verkündet das "Unschuldig". Ein allgemeines Aufatmen im Zuhörerraum, ich danke mit einem kurzem Kopfnicken dem Verteidiger und trete ab. Die Vergangenheit erschien mir wie ein hässlicher und in dieser Stunde wie ein schöner Traum. In zwei Tagen wurde ich aus dem Gefängnis entlassen. […]

Nach kurzem Besuch bei meinem früheren Regierungsvizepräsidenten, jetzigen Oberkreisdirektor Dr. von Klitzing in Holzminden, und bei einem Kriegskameraden in Hannover wurde ich im Lager Uelzen registriert und nach der hiesigen Insel (Borkum) mit mehreren Hundert Vertriebenen verbracht. Meine Frau verblieb, mit Ilse noch in Frankenberg, weil Ilse vor dem Abitur steht und es mir daher nicht zweckmäßig erscheint jetzt noch zu wechseln, zumal Borkum keine Oberschule hat. Hier wurde ich vom Arbeitsamt als Forstarbeiter eingesetzt, erkrankte jedoch nach 4 Tagen und bin jetzt vom staatlichen Gesundheitsamt als für körperliche Arbeiten nicht einsatzfähig geschrieben. Jetzt läuft ein Antrag auf Arbeitslosenunterstützung für mich. […]

Sehr verehrter Herr Forstmeister! Trotz alledem bin ich nicht hoffnungslos. Ich habe die feste Zuversicht, dass wir den tiefsten Punkt überschritten haben und es langsam wieder aufwärts gehen wird. Darf ich fragen, wie es Ihnen und ihren lieben Angehörigen in dieser schweren Zeit ergangen ist? […]

Mit den besten Wünschen auch an Ihre lieben Angehörigen für das Jahr 1947 bin ich

Ihr ergebener Gonsior

Empfohlene Zitierweise:
Gonsior, Paul: Von Oppeln nach Borkum. Abschrift eines Briefs aus dem Jahr 1947, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/paul-gonsior-von-oppeln-nach-borkum.html
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