Dieser Eintrag wurde von Renate Seifert (*1938) im August 2008 in Wiesbaden verfasst.
Familie aus Ostpreußen
Meine ganze Familie stammt aus Ostpreußen. Die Eltern meiner Mutter wohnten zuletzt in Markthausen, dem ehemaligen Popelken Krs. Labiau, das 1938 auf Veranlassung der Hitler-Regierung wie so viele andere Orte in Ostpreußen umbenannt worden war. Die Eltern meines Vaters lebten in Königsberg i. Pr. am Haberberg. Mein Vater hatte zwei verheiratete Schwestern, von denen eine zwei Töchter, die andere eine Tochter hatte, Dora, meine elf Jahre ältere Cousine.
Nach unserer Flucht aus Königsberg 1945 hatte ich lange nichts von Dora gehört.
Jetzt fällt mir wieder der Besuch ein, den meine Mutter und ich 1957 bei der Familie der Schwester meines Vaters in Rangsdorf bei Berlin machten. Alle Familienmitglieder waren im Krieg am Leben geblieben: Onkel Karl, Tante Liese, ihre beiden Töchter.
Nur Dora hatte ihre Eltern nicht gefunden, sie waren im Krieg vermisst. Tante Lotte, die zweite Schwester meines Vaters, und Onkel Paul hatten mit Dora in Königsberg vereinbart, sie wollten sich alle nach Berlin zu den Tanten durchschlagen, wenn sie einander in den Kriegswirren verloren haben sollten. Nur Dora hatte es geschafft und hatte ihre Tanten gefunden.
"Sie wollte sich das Leben nehmen."
Wir erwarteten Dora nachmittags im Garten zum Kaffee, um uns, meine Mutter und mich, zu sehen. Tante Liese erzählte meiner Mutter hinter vorgehaltener Hand - denn ich mit meinen 19 Jahren sollte es wohl gar nicht hören -, Dora sei von den Russen vergewaltigt worden und eine der Tanten auch. Meine Mutter fragte, ob das sicher sei, meine Tante Liese zuckte mit den Schultern. "Ja und wie verhält Dora sich jetzt?" "Sie wollte sich das Leben nehmen." und "Sie spricht nicht darüber." "Und die Tante?" "Mit ihr ist nicht mehr viel anzufangen, sie liegt die meiste Zeit im Bett." Die Betroffenheit meiner Mutter war spürbar. Und dann kam Dora. Wir sahen uns nach dem Krieg zum ersten Mal wieder. Es wurde über alles Mögliche gesprochen, nur nicht darüber, was ihr in Berlin zugestoßen sein sollte.
Zu ihrem 60. Geburtstag 1987 hatte mich Dora nach Ostberlin eingeladen. Wir gingen an einem Haus vorüber, möglicherweise war es in der Berliner Straße in Pankow, und sie erinnerte sich daran, dass hier einmal die Gaststätte "Fröhlicher Zecher" gewesen sei und sie in der Mansarde unter dem Dach gewohnt habe. Sie erzählte mir auch, einen roten Mantel besessen zu haben. Ich wunderte mich darüber, dass ihr diese Tatsache so wichtig schien, um sie mir nach so langer Zeit zu erzählen. Es schien Wehmut mitzuschwingen, als sie davon sprach. Leider sah das Haus wie kaum bewohnt aus, die Schilder gab es nicht mehr, der Rollladen an der Tür der Gaststätte war geschlossen, und es war so grau, wie fast alles zu DDR-Zeiten.
Einladung zu Doras 60. Geburtstag
Dora und ich hatten uns seit dem Besuch 1957 in Rangsdorf nie mehr gesehen, bis sie mich zu ihrem 60. Geburtstag einlud. Beide hatten wir einen Beruf, der unsere Zeit sehr in Anspruch nahm, so dass wir einander nicht einmal Briefe schrieben. Möglicherweise war es Dora auch verboten, Kontakte mit Personen aus dem Westen zu unterhalten. Mit meiner anderen Cousine hatten wir, meine Mutter und ich, mehr Kontakt, weil sie allein lebte und eher einmal von sich aus schrieb. Später telefonierten Dora und ich aber öfters miteinander.
Dora starb 1995; als ich sie an dem Tag wie jeden Sonntag anrufen wollte, kam sie schon nicht mehr ans Telefon. Doch zehn Jahre nach ihrem Tod begegnet sie mir in zwei Büchern wieder.
Dora in Büchern wiederbegegnet
Ganz zufällig hatte ich mich eines späten Abends vor dem Fernseher in eine Literatursendung hineingezappt. Auf dem Bildschirm erschien Hans Magnus Enzensberger in einem Interview. Er sprach davon, dass er den Namen von "Anonyma" um keinen Preis nennen würde, und er enttäuscht sei von der Art, wie der Verlag und die Medien mit seiner "Anderen Bibliothek" umgingen. Meine Neugier auf diese Anonyma war geweckt, aber wie es leider allzu oft passiert, ich kam nicht dazu, mich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen, weil mir andere Dinge wichtiger waren. Die Sendung mit Enzensberger aber war in meinem Gedächtnis abgespeichert.
Nach Monaten, im April 2005, sehe ich in einer Buchhandlung ein Taschenbuch bei den Neuerscheinungen: "Anonyma. Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945", die Zeit, in der die Russen im Zweiten Weltkrieg den letzten Kampf um Berlin aufgenommen hatten und dort einmarschierten. Interessiert wie ich bin, kaufe ich es, fange vor Neugier an zu lesen und kann nicht mehr aufhören.
Auf den ersten Seiten beschreibt Anonyma die Menschen ihrer Umgebung, unter anderen meine Cousine. Es kann nicht anders sein, sie ist es. Die beschriebenen Umstände passen so genau auf Dora, wie es treffender nicht sein könnte. Ich lese und lese, mir stockt der Atem, ich bekomme eine Gänsehaut. "Anonyma" schreibt am Freitag, 20. April 1945, 16 Uhr über das "Kellervolk" von drei ältlichen Schwestern, die Schneiderinnen waren, und einem Flüchtlingsmädel aus Königsberg / Ostpreußen.
Das Flüchtlingsmädel aus Königsberg – meine Cousine?
Das Flüchtlingsmädel aus Königsberg könnte ja Dora sein, meine Cousine - so schoss es mir durch den Kopf. Sie war zu der Zeit 18 Jahre alt. Die drei ältlichen Schwestern wären ihre Tanten. "Anonyma" konnte in dem Moment wahrscheinlich gar nicht wissen, dass die Schneiderinnen die echten Tanten des Flüchtlingsmädels waren. Für mich ist Dora ohne ihre Tanten nicht denkbar. Sie waren schon vor dem Krieg von Königsberg nach Berlin gezogen, weil sie sich für ihre Schneiderei in Berlin eine größere Kundschaft versprachen. Dora hatte sich auf der Flucht aus Ostpreußen zu ihnen durchgeschlagen.
In weiteren Buchabschnitten fand ich meine Vermutung bestätigt: Die bei unserem Verwandtenbesuch 1957 in Rangsdorf angesprochene Vergewaltigung des "Flüchtlingsmädel aus Königsberg" (27. April 1945) wird ebenso geschildert wie jene der Tante (4. Mai 1945).
Wieso schrieb "Anonyma" in ihren Aufzeichnungen von Tanten? Hat sie gehört, dass meine Cousine die Schneiderinnen "Tante Lena" oder "Tante Trude" oder "Tante Else" nannte?
Die anderen Personen in ihren Aufzeichnungen bezeichnet "Anonyma" mit Namen oder Status, nur die Schneiderinnen nennt sie "Tanten" - sonderbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so viele Schneiderinnen in Berlin gab, bei denen es sich um drei Schwestern handelt, die zusammen wohnen und gemeinsam eine Schneiderei betreiben. Also müssen es - so meine ich - doch die Tanten von Dora sein.
Beginn meiner Recherche
Nachdem ich die Tagebuchaufzeichnungen der "Anonyma" gelesen hatte, wollte ich natürlich genau wissen, ob dort tatsächlich meine Cousine gemeint war. Ich begann nachzuforschen. Zuerst versuchte ich, die Namen ihrer Tanten herauszufinden. Ich erinnerte mich nur noch an Tante Trude und Tante Lena, den Namen der dritten hatte ich nach so vielen Jahren vergessen - es könnte sein, dass sie Else hieß. Sie war relativ schnell nach der Vergewaltigung verstorben, und danach wurde ihr Name nicht mehr erwähnt. Meine Mutter und mich hatte es nach der Flucht aus Königsberg nach Westdeutschland bzw. Württemberg verschlagen.
Auch nach der Wiedervereinigung hat Dora über ihre Erlebnisse geschwiegen. Von den hier geschilderten Personen ist Doras vergewaltigte Tante Else zuerst gestorben, jedoch erst nach unserem Besuch in Berlin 1957 - möglicherweise Ende der fünfziger Jahre, denn auf einem Foto von 1959 ist Dora nur noch mit zwei Tanten zu sehen. Die beiden anderen Tanten starben kurz nacheinander 1971. Dora starb 1995, "Anonyma" ist seit 2001 nicht mehr am Leben. Sie wurde von Jens Bisky in seinem Artikel "Wenn Jungen Weltgeschichte spielen, haben Mädchen stumme Rollen" in der Süddeutschen Zeitung vom 24. September 2003 enttarnt.
Mittlerweile habe ich immerhin Geburts- und Sterbedaten von zwei Tanten und einige von deren Adressen in Berlin herausgefunden. Möglicherweise sogar die, in der sich das Geschehen abgespielt hat.
“Aufzeichnungen eines Rotarmisten“ von Wladimir Gelfand
Seit Weihnachten 2005 hatte ich das neu erschienene Buch Wladimir Gelfand "Deutschland Tagebuch 1945 - 1946. Aufzeichnungen eines Rotarmisten" bei mir herumliegen. Ich kaufte es zusammen mit einigen anderen Büchern über den Zweiten Weltkrieg und über Königsberg. Dieses Buch eines russischen Soldaten interessierte mich, weil ich ein Gegenstück zu den Tagebuchaufzeichnungen von "Anonyma" lesen und weil ich diese Zeit auch aus Sicht eines Russen kennenlernen wollte. Ich las es Mitte April 2006.
Jetzt im Ruhestand habe ich endlich Zeit, mich mit meiner Vergangenheit zu beschäftigen und lese ein Buch nach dem anderen über meine Heimatstadt Königsberg, über den Krieg, über Schicksale von Menschen aus dem Osten, über Kriegskinder.
Wie immer suche ich zuerst die Seiten mit den Bildern, dann Vorwort oder Nachwort und die Literaturliste auf, um mir zum besseren Verständnis ein Bild über den Inhalt zu verschaffen. Bei den Faksimile-Fotos in der Mitte des Buches von Gelfand ist unter dem Titel "Einladung zum Rendezvous" ein Brief an Leutnant Gerhard abgedruckt. Auf der zweiten Seite sticht mir das Wort "Wiedersehen" ins Auge. Es sieht aus, als hätte es meine Cousine Dora geschrieben. Ich bin wie elektrisiert.
“ als wollte sie, dass ich mich postum mit ihr beschäftige“
Es kann doch nicht sein, dass mir meine Cousine nach ihrem Tod nun auch noch in einem weiteren Buch wiederbegegnet. Vor den letzten Jahren ihres Lebens habe ich sie kaum gekannt, in den letzten acht Jahren bis zu Ihrem Tod kaum kennengelernt. Es sieht so aus, als wollte sie, dass ich mich postum mit ihr beschäftige.
Gelfand schreibt am 28. März 1946 am Bahnhof Nauen über eine Deutsche mit dem Namen Nora, die kurz zuvor 21 Jahre geworden ist und in Berlin in der Schönhauser Allee wohnt. Und alles wäre gekommen, wie es kommen musste, so Gelfand, wäre da nicht ein intimes Detail unerwartet aufgetaucht: Im letzten Moment fing es plötzlich an zu stinken. Das stieß ihn ab, und seine ganze Erregung war dahin.
Meine Cousine Dora hat mir diese Geschichte erzählt. Sie wollte nicht so schnell mit dem Soldaten intim werden und hat sich auf diese Art und Weise zur Wehr gesetzt. Sie meinte, ein anständiges Mädchen gibt sich nicht so schnell einem Mann hin. Ob ich wohl auf diese Idee gekommen wäre? Später wollte ich sie noch nach Einzelheiten fragen, dachte dann aber nicht mehr daran. In diesem Zusammenhang erzählte sie mir auch von dem Brief, den sie dem Soldaten danach schrieb und rezitierte dabei das Gedicht. Sie fand ihn nett, und ihr Verhalten tat ihr nachträglich leid. Sie hatte den Brief mit "Helga" unterschrieben und sich auch etwas älter gemacht, denn sie war zu dem Zeitpunkt erst 19 Jahre alt, und damals wurde man erst mit 21 Jahren mündig. Als Dora mir davon erzählte, dachte ich - nicht ahnend, jemals den Brief zu Gesicht zu bekommen und ihre Schrift wieder zu erkennen -, dass ihr dieser Brief wegen des falschen Namens und der falschen Altersangabe ja gar nicht zugeschrieben werden könnte.
Wladimir Gelfand, Doras große Liebe
Es entwickelte sich dann ihrerseits eine Liebesbeziehung zu Wladimir Gelfand, die er wohl eher als Zwecksbündnis betrachtete, wie ich jetzt, nachdem ich seine Aufzeichnungen gelesen habe, weiß. Zu ihrem Ende sagte mir Dora bedauernd, er hätte nach Rußland zurückkehren müssen. Dies hat sie mir 1987 oder Anfang der 1990er Jahre nach über 40 Jahren erzählt. Wladimir Gelfand muss wohl eine große Liebe von ihr gewesen sein, da sie mir diese Geschichte noch nach so vielen Jahren erzählte.
Elke Scherstjanoi, die die Auswahl der Texte bei der Edition von Gelfands Tagebuch vornahm und den Text kommentierte, hat freundlicherweise eine Begegnung zwischen Wladimir Gelfands Sohn und mir vermittelt. Er hat mir den Brief meiner Cousine kopiert. Auf seinem PC hatte er den russischen Text aufgemacht und ich sah dort den Namen "Dora" auf russisch geschrieben. Da ich gerade zu der Zeit angefangen hatte, etwas Russisch zu lernen, erkannte ich an den russischen Buchstaben Doras Namen sofort. Wie ich schon zuvor festgestellt hatte, war Dora für Wladimir Gelfand wohl nicht das gewesen, was sie sich sicher gewünscht hätte. So ist auch zu erklären, dass in den Fotoalben, die mir sein Sohn zeigte, kein Foto von meiner Cousine zu finden war.
Das „Los der Flüchtlingskinder“
Es ist das Los der Flüchtlingskinder, nach ihren Vorfahren suchen und feststellen zu müssen, dass schon viel zu viele Beteiligte verstorben sind, dass sie zu deren Lebzeiten viel zu wenig gefragt haben. Mir wird erst jetzt, da ich alt bin, bewusst, wie gern ich mehr über meine Eltern, Großeltern und Verwandten wüsste und dass sich das Verifizieren von Erinnerungen äußerst schwierig gestaltet. Leider habe ich aus Rücksicht auf mein Gegenüber viel zu wenig gefragt, oft wollte ich nicht zu sehr in das Seelenleben der jeweiligen Person eindringen, denn es wurde über das Schreckliche der Flucht und danach nicht gesprochen. Jetzt muss ich feststellen, dass viele Informationen einfach nicht mehr zu erhalten sind.
Die Kirchenbücher aus den Ostgebieten, die meine Verwandten betreffen, sind nicht mehr auffindbar. Die Suche nach der Vergangenheit von Dora, meiner Cousine, ist fast aussichtslos, zumal sie in der ehemaligen DDR lebte, während ich in der Bundesrepublik aufwuchs. Ihr war sicher auch der Schriftwechsel mit den Verwandten aus dem Westen verboten. Als ich Anfang 2005 schriftlich das Bundesarchiv in Berlin kontaktierte, um Einsichtnahme in ihre DDR-Akte nehmen zu können, gab es keine, und mein Brief mit der ersten Anfrage war verschwunden, obwohl mir von einer Mitarbeiterin der Eingang bestätigt wurde.
Parallelen zwischen Dora und mir
Dora und ich sehen uns ähnlich. Beide haben wir blonde Haare und dunkle Augen. Sie ist sehr klein, ich bin groß. Ihre Mutter und mein Vater waren Geschwister. Ich habe die Statur unserer Großmutter, der Mutter meines Vaters, geerbt, sie war groß und hager. Unser Großvater wirkte eher klein. Doras Mutter, meine Tante Lotte, war auch eher klein und hat diese Statur ihrer Tochter vererbt. Als 16jähriges Mädchen musste Dora 1943 in Königsberg zum Arbeitsdienst. Sie sollte in dieser Funktion einer Familie mit mehreren Kindern helfen und brachte mir zu Weihnachten 1944 ihren Kaufladen. Damals war ich sechs Jahre alt, sie siebzehn. Bei diesem Besuch habe ich meine Cousine Dora zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Sie sprach mit mir. Ich mochte sie auf Anhieb. Ihre Herzlichkeit und Wärme nahmen mich sofort für sie ein, und sie gefiel mir äußerlich. Ich war traurig, sie so schnell wieder gehen zu sehen, weil sie Abschied nehmen musste. Der Kaufladen war wunderschön, aus Holz gearbeitet und lindgrün gestrichen, mit kleinen Schublädchen, einer Waage und einer Kasse. Nur hatte ich nicht mehr viel von diesem wunderbaren Geschenk. Im Januar 1945 mussten wir aus Königsberg vor den Russen flüchten und alles zuhause zurücklassen.
Die Ereignisse im Winter 1944 / 1945 überschlugen sich. Dora hatte keine Möglichkeit, die Familie, bei der sie im Arbeitsdienst war, zu verlassen und zu ihren Eltern nach Königsberg zurückzukehren. Eine Zeit lang blieb sie noch bei der Arbeitsdienst-Familie und ging mit ihr wohl auch noch auf die Flucht aus Ostpreußen, machte sich dann aber selbständig. Auf der Flucht, als Dora mit vielen anderen Menschen in einen Viehwagen der Bahn drängte, hatte man ihr beim eiligen Zuschieben der Waggontür den Finger eingeklemmt. Ihre Fingerkuppe war verletzt, und sie musste nun auch noch die Wunde und die Schmerzen ertragen. Dem Finger fehlte die Kuppe, und der Nagel war verstümmelt, ein immer währendes Andenken an ihre Flucht aus Ostpreußen. Mit ihren 17 Jahren ganz allein auf sich gestellt, hat sie in dieser Zeit sicher so manche Überlebensstrategie entwickelt. Dieses Mädchen, das etwas mehr als ein Jahr zuvor mit 18 Jahren von Russen vergewaltigt worden war und sich das Leben nehmen wollte, verliebt sich in einen Russen. Leider kann ich Dora danach nicht mehr fragen. Sie ist mir ein Rätsel geblieben.
Meine Recherchen gehen weiter
Doras Geschichte lässt mich nicht mehr los. Als Wahrheitsfanatikerin will ich unbedingt wissen, ob es sich in dem Buch der "Anonyma" wirklich um meine Cousine handelt. Bei Gelfand bin ich mir absolut sicher, ein Graphologe könnte die Übereinstimmung der Schrift im abgedruckten Brief und ihren letzten Briefen an mich sicher bestätigen.
Zur Person
Renate Seifert wird 1938 in Königsberg in Ostpreußen geboren. Nach der Flucht nach Schleswig-Holstein 1945 besucht sie die Volksschule in Lunden, ehe sie nach Tuttlingen umsiedelt. Dort absolviert sie 1955 die mittlere Reife und macht eine Lehre bei der Sparkasse. 1962 legt sie die Kaufmannsgehilfenprüfung ab und heiratet im selben Jahr. 1963 und 1965 kommen ihre Kinder auf die Welt, 1967 lässt sie sich scheiden und arbeitet ab 1968 als Bankangestellte. 1973 wechselt sie zu einer anderen Bank nach Lahr (Schwarzwald) und wird dort 1979 Abteilungsleiterin. Von 1990 bis 1993 wird sie in die neuen Bundesländer in Gera (Thüringen) abgeordnet, bleibt aber weiterhin in Lahr im Schwarzwald wohnhaft, ehe sie nach Konstanz an den Bodensee zieht. 1998 geht sie mit 60 Jahren in Pension und beginnt ein Studium an der Fernuni. Im selben Jahr absolviert sie das Fachabitur im Bankfach. 2001 beginnt sie ein Studium der Soziologie, Literatur und Psychologie an der Fernuni Hagen und an der Universität Konstanz. 2006 zieht sie nach Lübeck, 2008 legt sie die Magister-Zwischenprüfung ab. 2009 folgt ein Umzug nach Wiesbaden. Renate Seifert widmet sich dem Schreiben und erforscht das Schicksal ihrer Cousine Dora. Renate Seifert freut sich über E-Mails von Personen, die ihr bei der weiteren Recherche helfen können: Ren5313.Seiwag@t-online.de
Empfohlene Zitierweise:
Seifert, Renate: Erinnerungen an Cousine Dora aus Königsberg, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/renate-seifert-erinnerungen-an-dora.html
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