Dieser Beitrag wurde von Stefan Schmidt (*1981) aus Schöppenstedt eingereicht. Er gibt die die Erinnerungen seines Vaters Hans-Joachim Schmidt (*1944) an den Mauerfall wieder.
Pfingstferien 1989
In den Pfingstferien 1989 waren meine Familie und ich bei Verwandten in Dresden.
Zu diesem Zeitpunkt mußten noch alle Regularien der DDR Regierung eingehalten werden. Doch schon im Juni desselben Jahres, hörte man andere Meinungen. Wir bekamen nämlich Besuch aus Ostberlin. Es handelte sich um eine 49-jährige Ärztin. In Gesprächen bekamen wir mit, daß auf der anderen Seite der Mauer sich demnächst irgendetwas verändern würde. Ob sich dieses als positiv oder negativ erweisen würde, war zu diesem Zeitpunkt genauso unklar, wie um was es sich handeln würde. Unser Besuch meinte nur, man spürte, daß etwas in der Luft lag.
Als Ungarn im August 1989 seine Westgrenze öffnete, versuchten viele DDR-Urlauber über die Tschechoslowakei und Ungarn in den Westen zu gelangen. Im Herbst besetzten DDR-Bürger die Botschaft der BRD in Prag. Sie forderten Botschaftsasyl. Nach Verhandlungen der beiden Regierungen wurden die Flüchtlinge über DDR-Gebiet in den Westen gebracht. Dies war eine Bedingung der DDR-Regierung, um die Flucht als "Ausweisung" zu deklarieren.
Ergreifende Stimmung bei der Zugankunft
Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich mit meiner Familie gerade in der Nähe von Helmstedt, als wir durch eine Sondermeldung im Radio von der Ankunft des Zuges hörten. Wir fuhren zum Bahnhof und reihten uns in die Menge der Zuschauer ein, schließlich wollte ich dieses Stück deutscher Zeitgeschichte nicht verpassen. Die Stimmung, als der Zug ankam, kann man als sehr ergreifend beschreiben. Die Menschen, die aus dem Zug stiegen, weinten vor Glück und Erschöpfung. Als sie sich durch die Zuschauermenge den Weg zu Ihren Bussen bahnten, wurden den Kindern kleine Spielzeuge und den Erwachsenen Blumen und Geld zugesteckt.
Mitte Oktober fuhr ich mit meiner Familie zu einer "Luftballonsbekanntschaft" in Haldensleben. Auch bei diesem Besuch wurde im Verlauf der Gespräche klar, daß ein immer größerer öffentlicher Druck nach Veränderung vorhanden war. Ein gutes Beispiel waren die Montagsdemonstrationen an der Nikolaikirche in Leipzig. Teilweise gab es sogar spontane Kundgebungen. Immer wieder viel der bekannte Schlachtruf: "Wir sind das Volk."
Die DDR-Regierung versuchte durch Propaganda die "Querdenker" wieder auf den richtigen Pfad zu bringen.
DO 09.11.89
In Ostberlin wurde eine Regierungserklärung verlesen, die Ausreisewilligen die Ausreise genehmigte. In den Abendstunden dieses Tages sind DDR-Bürger ungehindert von Ostberlin nach Westberlin marschiert.
FR 10.11.89
Ich bin morgens wie gewohnt zu meinem Arbeitsplatz in Schöningen bei Helmstedt gefahren. Dort teilte man mir mit, daß ich den Tag in Helmstedt arbeiten werde, um Telefonleitungen für Presse, Rundfunk und Fernsehen freizuhalten.
Am Autobahnkontrollpunkt in Helmstedt wurden DDR-Bürger, die gerade die Grenze passiert hatten, interviewt. Es gab diesen Tag einen riesigen Medienrummel an der Grenze.
In meiner Mittagspause ging ich durch die Innenstadt; überall traf ich auf Trabbis. Selbst auf einem Großparkplatz konnte man kaum ein anderes Auto erkennen. Während meines Spazierganges unterhielt ich mich und lachte mit Leuten, die ich überhaupt nicht kannte. Und ich war nicht der einzige, dem es so ging. Es war eine wunderbare Stimmung.
Abends in den Nachrichten sah man Bilder von kilometerlangen Autoschlangen vor der Grenze.
SA 11.11.89
An diesem Tag bekamen meine Familie und ich Besuch von unseren Bekannten aus Haldensleben. Diese kamen trotz Winterwetter mit dem Motorrad, da sie kein Auto besaßen. Wir baten sie doch über Nacht bei uns zu bleiben. Sie stimmten zu, und wir führten noch bis spät in die Nacht Gespräche über das, was geschehen war und geschehen wird.
SO 12.11.89
Nachdem wir gemeinsam gefrühstückt hatten, gingen wir zum Rathaus, welches auf Grund der besonderen Lage sogar sonntags offen hatte. Dort holten sie ihr Begrüßungsgeld ab. Auf dem Markplatz erfuhren wir von anderen Begeisterten, daß auch der Grenzübergang Mattierzoll momentan auf seine Öffnung vorbereitet wird. So fuhren wir nach Matierzoll, mußten aber unser Auto schon weit vor Matierzoll abstellen, weil es keine Parkplätze mehr gab. Wir schlossen uns zu Fuß der "Völkerwanderung" an, welche von West nach Ost marschierte. Uns entgegen kam ein nicht endender Strom von Trabbis.
Die Stimmung war atemberaubend. Unbekannte lagen sich in den Armen, die Trabbifahrer machten Hupkonzerte und alle schüttelten sich die Hände. Ich selbst ging zu einem Volkspolizisten und dankte ihm für dieses wunderbare Ereignis. Der Zug von West nach Ost endete für die Meisten in Sachsen-Anhalt im Ort Hessen. Auf dem Marktplatz dieses Ortes traf man viele bekannte Gesichter aus Schöppenstedt wieder. Das Mittagessen nahmen wir in einer Gaststube zu uns, die so sehr überfüllt war, dass man Glück hatte überhaupt einen Platz zu bekommen.
Auch als wir nach dem Mittagessen den Rückweg antraten, war kein Ende der Zuströme, von beiden Seiten, in Sicht. Am Abend brachten wir unsere Bekannten noch Richtung Helmstedt, trennten uns dann aber bereits 5 km vor Helmstedt, da sich der Grenzverkehr bis dort aufstaute.
MO 13.11.89
Dieser Tag war der 40-jährige Geburtstag meiner Frau, doch es gab den ganzen Tag nur ein Gesprächsthema: Die Grenzöffnung.
Empfohlene Zitierweise:
Schmidt, Stefan: Zusammentreffen mit Freunden, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/stefan-schmidt-zusammentreffen-mit-freunden.html
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