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Werner Brähler: Die letzten Tage der Kriegsgefangenschaft

Dieser Eintrag wurde von Werner Brähler (*1925) im März 2010 verfasst.

Es waren jetzt vielleicht nur noch ca. 2.000 Kriegsgefangene hier im Lager Kohtla-Järve, alle anderen hatten das Lager bereits verlassen. In den ersten Tagen des Dezembers 1949 sollte wieder ein neuer Heimkehrer-Transport zusammengestellt werden. Bei der Lautsprecher-Durchsage wurde mein Name zuerst genannt. Da das russische Alphabet mit A B W beginnt, niemand mehr mit den Familiennamen A als Anfangsbuchstaben vorhanden war, wurde mein Name als erster des neuen Transporters genannt. Ich hielt das für ein gutes Omen und war optimistisch, dass mir nun nichts Schlechtes passieren könnte. Auch Hubert Weber, mein Landsmann aus Witten, wurde aufgerufen, wie auch viele andere aus unserer langjährigen Gemeinschaft. Nachdem die auf der Transportliste stehenden Namen verlesen waren, folgte ein paar Stunden später eine Korrektur. Werner Fritsch, unser bewährter Conférencier, wurde von der Liste gestrichen! Das war ein Schock für ihn! Die ANTIFA-Funktionäre hatten Rache geübt! - Wir waren alle darüber empört. Was ist das für ein Gefühl, wenn man jahrelang zusammen gewesen ist, und nun einer zurück bleiben muss, und nicht weiß, was jetzt mit ihm geschieht?[...]Der Tag der Entlassung war angebrochen. Wir standen schon einige Zeit am Lagertor und warteten, bis wir namentlich aufgerufen wurden, wozu dann jeder Kriegsgefangene seinen Namen, Vornamen und Vornamen seines Vaters nennen musste. Erst dann durfte er das Lagertor passieren.[...] Nachdem der letzte Mann dieses Transports aufgerufen war, erfolgte ein Marsch durch die Wohngebiete von Kohtla-Järve. Erst dann marschierten wir zur Verladung zum Ostbahnhof. In den Güterwaggons hatte man Pritschen eingezogen und die Beleuchtung pro Wagen war erheblich geringer als bei den Transporten in 1945. Nur ein paar Wachsoldaten begleiteten den Zug. Wir konnten die Türen nach unserem Gusto öffnen, wann immer wir das wollten.[...] Als wir dann von Heiligenstadt mit dem Zug nach Friedland fuhren, dort über eine Landstraße eine kurze Strecke zu Fuß ginge bis zum Grenzübergang, sahen wir, dass die an der Straße stehenden Obstbäume voller russischer Wintermützen waren. Das hatte wohl für jeden neu ankommenden Transport eine Signalwirkung, denn auch viele von uns, die mit diesen Mützen ausgestattet waren, warfen sie ebenfalls auf die neben der Straße stehenden Bäume. Man wollte damit wohl spontan ausdrücken, dass man den Ballast der russischen Gefangenschaft nun endlich abgeworfen hat. Für uns, die wir am 16. Dezember 1949 nach fast fünfjähriger Gefangenschaft im Lager Friedland ankamen, war das ein neuer Geburtstag und Weihnachten zugleich.

Empfohlene Zitierweise:
Brähler, Werner: Die letzten Tage der Kriegsgefangenschaft, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/werner-braehler-die-letzten-tage-der-kriegsgefangenschaft.html
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