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Willi Witte: Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft

Dieser Beitrag wurde von Willi Witte (*1928) aus Westerland/Sylt im Jahr 2001 verfasst.

Entlassung aus dem Kriegsgefangenenlager Dachau

Wir waren ca. 1000 Mann, die aus dem Kriegsgefangenenlager Dachau Mitte 1946 in Güterwagen mit nur einem amerikanischen Begleitoffizier Richtung Munster - Lager fuhren. Es war eigentlich die schönste Bahnfahrt in meinem Leben. Den Empfang vom Engländer in Munster-Lager werde ich auch so schnell nicht vergessen. Denn der stand da, mit einer Menge schwer bewaffneter Soldaten und mehreren Panzerwagen. Das war wie ein schlechter Traum. Ob der Ami wohl geschmunzelt hat? Wir gewiss nicht?

Wir wurden zuerst in grosse Nissenhütten geführt. Da mussten wir dann antreten und unser Gepäck vor uns auf den Boden legen. Dann kam ein englischer Offizier mit einen Stock unter dem Arm (üblich beim englischen Militär). Er hatte einen deutschen Wehrmachtsoffizier in seiner Begleitung dabei, in einer grün gefärbten Uniform, auch mit einem Stock unter dem Arm…

"German Service Organisation" im britischen Kriegsgefangenenlager

Die beiden schritten unsere Front ab. Der deutsche Offizier nahm uns fast alle unsere schönen Klamotten ab, samt meine Feldflaschen. Das grüne Personal, ehemalige deutsche Wehrmachtsoldaten, nannte man abgekürzt GSO (German Service Organisation). Der Engländer hatte diese GSO Leute als Fahrer, Wachpersonal (unbewaffnet) und Dolmetscher bei sich beschäftigt.

Ob wir wohl wegen unserer Klamotten Wut im Bauch hatten? Auflehnen wäre uns wohl nicht gut bekommen, und wir wollten ja auch so schnell wie möglich nach Hause. Ein ganzer Teil der Gefangenen hatten schon ihre Angehörigen benachrichtigen können, dass sie im Munster-Lager sind und entlassen werden sollten. Viele Familien waren daher angereist und standen ausserhalb des Zaunes und konnten sich mit ihren Männern und Angehörigen auf diese Weise zum Teil nach jahrelanger Trennung wiedersehen.

Aber dann gab es den grossen Knall. Der Engländer liess bekannt machen, dass alle gesunden und arbeitsfähigen Männer nach England zum Arbeiten abtransportiert werden sollen (meistens im Bergwerk). Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Zur Untersuchung wurden im Freien Tische aufgestellt, wo pro Tisch ein deutscher Arzt die Untersuchungen vornahm.

Als die Nachricht noch nicht bekannt war, waren alle gesund. Aber nach Bekanntgabe der "Englandfahrt" humpelte fast das ganze Lager. Viele haben sich mehr oder weniger schwer verstümmelt, um nach Hause kommen zu können.

Überraschung

Bei dieser Untersuchung traf ich zu unser beider Überraschung meinen Vetter Heinrich Nielsen (auch von Sylt) wieder. Er hat mich auf Anhieb nicht gleich wieder erkannt. Denn es standen ja auch alle unter grosser Anspannung. Mein Vetter wurde wegen seiner Fussverletzung entlassen. Ich wurde, weil ich noch keine 18 Jahre alt war, entlassen. Die Freude darüber kann man nicht beschreiben. Was wirkliche Freude ist, kann man nur durch solche Erlebnisse erfahren.

Wir wurden mit reichlich Verpflegung eingedeckt. Dann ging die Reise los. Erstmal ins Durchgangslager Segeberg. Segeberg war auch Durchgangslager für Flüchtlinge. Dieses Elend, was wir da zu sehen bekamen, war unbeschreiblich. Nicht nur, dass diese Menschen ihr Hab und Gut in der verlorenen Heimat lassen mussten, es waren auch viele die von den Russen schwer misshandelt worden waren. Die unglücklichen Kinderaugen vergisst man auch nicht so leicht.

Wir haben gleich unsere ganze Butter usw. an diese armen Menschen verschenkt. Wir dachten natürlich auch, dass wir bald nach Hause kämen und dann ja alles hätten (Irrtum). Wir machten uns, nach dem wir unsere Papiere fertig hatten, auf den Weg Richtung Niebüll. Heute von Sylt nach Paris zu kommen, ist gewiss einfacher als 1946 von Segeberg nach Niebüll.

"Endlich die Tür von Zuhause"

Auf halben Weg vom Bahnhof nach Hause traf ich, als erstes bekanntes Gesicht, unsere Nachbarin L.G. Nach dreizehn Monaten Gefangenschaft und vier Monaten Militärzeit war es natürlich ein überwältigendes Gefühl, unsere Strasse mit der bekannten Umgebung wieder zu sehen. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich nun endlich die Tür von Zuhause hören konnte, an die ich an der Front oft gedacht habe. Das mögen kleine Dinge sein, aber sie können eine grosse Bedeutung haben. Zuhause gab es natürlich das grosse Wiedersehen. Meinen 18. Geburtstag konnte ich zu Hause feiern, obwohl ja alles knapp war.

Nun ging erst mal die ganze Anmelderei los. Ich war ca. 14 Tage zu Hause, da bin ich wieder zur Sylter Inselbahn und habe meine abgebrochene Lehre als Maschinenschlosser weitergemacht. Das war auch ein Erlebnis, die alten, bekannten Gesichter der Gesellen wieder zu sehen. Es war auch wiederum eine komische Situation für mich, denn nun durfte ich in den Pausen nicht rauchen. Die Gesellen wurden alle mit "Sie" angesprochen. Zu Hause musste ich abends pünktlich um 22 Uhr sein. "Aber Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre" sagt man. Die Lehre bei der Inselbahn hat mir trotzdem Spass gemacht. Leider war die verlorene Zeit durch Militär und Gefangenschaft nicht mehr aufzuholen. Die Prüfung bestand ich trotzdem.

Eines Morgens, ich war schon ungefähr ein Jahr wieder zu Hause und hatte länger geschlafen. Meine Mutter machte sauber. Fenster und Türen standen zum Lüften auf, da knallte meine Zimmertür vom Durchzug mit grosser Wucht zu. Ich hatte wohl auch gerade vom Krieg geträumt. Ich hatte so einen Schreck (Schock) bekommen, dass ein Arzt kommen musste.

Zwischen Wut und Verdrängung

Den Geruch verbrannter Menschen und Pferde hatte ich immer noch zeitweise in der Nase. Aber meine Jugend hat mir viel bei der Verdrängung des Erlebten geholfen. Ich wollte auch kaum mit jemanden über meine Erlebnisse sprechen. Meine Wut auf Uniformen war so gross, dass mir sogar die Bahnbeamten mit ihrer Uniform ein Dorn im Auge waren.

Politisch war die Zeit auch interessant. Bei Wahlveranstaltungen aller Coleur war es immer proppenvoll. Meine Freunde und ich, besuchten fast alle Veranstaltungen aller Parteien. Aber mit der Demokratie umzugehen, mussten wir erst noch lernen.

Empfohlene Zitierweise:
Witte, Willi: Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/willi-witte-heimkehr-aus-der-kriegsgefangenschaft.html
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