• Vermerk für Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger über die Beratung im Deutschen Bundestag. Der Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Karl Carstens, äußert Bedenken.

Dokument Bedenken gegen Widerstandsrecht

Der im Bundeskanzleramt für den Deutschen Bundestag zuständige Referatsleiter Hans-Leo Stolzhäuser berichtet in seinem Vermerk dem Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, Karl Carstens, über den Stand der Beratungen des Deutschen Bundestages über die Notstandsverfassung. Zwischen Rechts- und Innenausschuss ist dabei umstritten, ob das Grundgesetz um ein Widerstandsrechts ergänzt werden soll. Carstens äußert ernsthafte Bedenken.

Seit 1958 bestehen Pläne, das Grundgesetz um eine Notstandsverfassung zu ergänzen. Doch erst die Große Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger besitzt die für diese Grundgesetzänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Die Notstandsverfassung ist in der Öffentlichkeit sehr umstritten. Besonders Studenten, Intellektuelle, Gewerkschaften, aber auch die FDP lehnen sie ab.

Ort und Zeit:
Bonn, 19. April 1968
Objektart:
Dokument
Bildnachweis:
Bundesarchiv; B 136 / 3821
Urheber:
Stolzhäuser, Hans-Leo / Carstens, Karl (Verfasser)

Dieses Objekt ist eingebunden in folgende LeMO-Seiten:

VS – Nur für den Dienstgebrauch

Referat III/A/2

Bonn, den 19. April 1968

Dem Herrn Staatssekretär

Betr. Notstandsverfassung

1. Wie bereits in der Vorlage vom 5.4.1968 über den Stand der Beratungen der Notstandsverfassung ausgeführt worde ist, hat der Rechtsausschuß in seiner Sitzung am 4.4.1968 eine grundsetzliche Regelung des Widerstandsrechts abgelehnt.

2. Dagegen hat der Innenausschuß in einer späteren Sitzung die Aufnahme des Widerstandsrechts in die Verfassung gefordert und folgende Formulierung vorgeschlagen:

„Wird versucht, Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes an der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu hindern oder ist die freiheitlich demokratische Grundordnung beseitigt, hat jeder Deutsche das Recht zum Widerstand gegen die Rechtsbrecher.“

3. Der Rechtsausschuß wird sich mit diesem Vorschlag des Innenausschusses nach der Osterpause erneut befassen. Nach dem Ablauf der Beratungen am 4.4. besteht Grund zu der Annahme, daß der Rechtsausschuß den Vorschlag des Innenausschusses aufgreifen wird und sich möglicherweise doch eine einvernehmliche Lösung erreichen läßt.

4. Vorschlag und Stellungnahme:

Da aber die Entwicklung dieser Angelegenheit nicht sicher übersehen werden kann, könnte daran gedacht werden, diese Angelegenheiten beim nächsten Koalitionsgespräch vorsorglich im Hinblick auf ihren voraussichtlichen weiteren Ablauf zu erörtern.

Bei allen Vorbehalten, die gegen die Aufnahme des Widerstandsrechts in das Grundgesetz anzumelden sind, sollte die Verabschiedung der Notstandsverfassung an dieser Frage nicht scheitern, Ein nochmaliges Scheitern der Notstandsverfassung würde wohl als endgültig anzusehen sein und innenpolitisch möglicherweise zu schweren Rückwirkungen führen.

Stolzhäuser [handschriftlich] (Stolzhäuser)

(HPStS hat Durchschlag erhalten)

[von Staatssekretär Karl Carstens ergänzte handschriftliche Verfügungsleiste, links:]

1) Ablichtung Wv StS

2) [unleserliches Nameskürzel]

3) HParlStS

[unleserliches Unterschriftenkürzel], 22/4

[handschriftliche Anmerkung von Staatssekretär Karl Karstens, links]

Dies wird die Bevölkerung u.U. als Aufforderung ansehen, auf die Studenten dreinzuschlagen. Ist das bedacht? Aber auch sonst ist die Bestimmung sehr problematisch. C [Unterschriftenkürzel Carstens] 21/4

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