• Vermerk für Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger über die abschließende Beratung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages
  • Vermerk für Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger über die abschließende Beratung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages

Dokument Beratungen über die Notstandsverfassung

Der im Bundeskanzleramt für den Deutschen Bundestag zuständige Referatsleiter Hans-Leo Stolzhäuser berichtet in seinem Vermerk dem Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, Karl Carstens, sowie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger über den Stand der Beratungen des Rechtsausschusses des Bundestages über die Notstandsverfassung.

Seit 1958 bestehen Pläne, das Grundgesetz um eine Notstandsverfassung zu ergänzen. Doch erst die Große Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger besitzt die für diese Grundgesetzänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag.

Ort und Zeit:
Bonn, 5. April 1968
Objektart:
Dokument
Bildnachweis:
Bundesarchiv; B 136 / 3821
Urheber:
Stolzhäuser, Hans-Leo (Verfasser)

Dieses Objekt ist eingebunden in folgende LeMO-Seiten:

Referat III A/2

- 21610 - 6110/66 -

Bonn, den 5. April 1968

Herrn Bundeskanzler C 8/4 [handschriftlich von Staatssekretär Karl Carstens]

11/4 K [handschriftlich von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger]

Dem Herrn Staatssekretär

Betr.: Stand der Beratungen über die Notstandsverfassung

Der Rechtsausschuß des Bundestages hat gestern seine Beratungen über die Notstandsverfassung abgeschlossen.

Die gefaßten Beschlüsse entsprechen im wesentlichen den Koalitionsvereinbarungen vom 6. 3.1968, die Ihnen in der Aufzeichnung vom 27.3.1968 mit Erläuterungen vorgelegt wurden.

In folgenden Punkten konnte der Rechtsausschuß keine Einigung erzielen: [gestrichen]

1. Ermächtigung des Gemeinsamen Ausschusses zum Erlaß von Gesetzen.

Die SPD war nicht bereit, von ihrer Forderung abzugehen, daß der Gemeinsame Ausschuß keine Befugnisse erhalten soll, solange der Bundestag funktionsfähig ist. Eine Ermächtigung des Gemeinsamen Ausschusses wurde deshalb abgelehnt.

Dieses Beschluß ist bedenklich. Er bringt die Gefahr mit sich, daß bei einer sich bedrohlich zuspitzenden Lage der Gemeinsame Ausschuß mit der Bundesregierung nicht rechtzeitig in die Befehlsstelle oder an einen anderen Ort verlegt. (sic!)

Diesen Schwierigkeiten könnte möglichwerweise dadurch begegnet werden, daß der Bundestag auseinandergeht, so daß der Gemeinsame Auschuß in Aktion treten kann. Auch ist ein gewisser Ausgleich in der vom Rechtsausschuß beschlossenen Vereinfachung des Gesetzgebungsverfahrens zu sehen.

2. Widerstandsrecht

Die von dem Abgeordneten Even vorgeschlagene Formulierung des Widerstandsrechts wurde im Rechtsauschuß abgelehnt. Sie ging den einen zu weit (CDU), den anderen (SPD) nicht weit genug. Der Innenausschuß wird sich in seiner heutigen Sitzung nochmals mit dieser Frage befassen.

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Die Verankerung des Widerstandsrechts im Grundgesetz war Gegenstand der Koalitionsvereinbarungen. Es ist jedoch kaum zu erwarten, daß es wegen dieses Beschlusses des Rechtsausschusses zu neuen Kontroversen innerhalt der Koalition kommen wird. Die Koalitionsparteien sind an einer möglichst schnellen Verabschiedung der Notstandsverfassung interessiert. Notfalls könnte bei den Beratungen im Plenum des Bundestages dieser Beschluß des Rechtsausschusses noch korrigiert werden.

3. Zivile Dienstverpflichtungen

In der äußerst schwierigen Frage der zivilen [Wort handschriftlich korrigiert] Dienstverpflichtungen [Wort handschriftlich korrigiert] und des Arbeitsplatzwechselverbots kam es im Rechtsausschuß zu einem vernünftigem Kompromiß. Danach sind Dienstverpflichtungen nicht nur im Verteidigungsfall, sondern bereits mit Feststellung des Spannungsfalles zulässig. Auch das Arbeitsplatzwechselverbot wurde auf die Spannungszeit ausgedehnt.

Die bis zuletzt hart umstrittene Dienstverpflichtung von Frauen für das Sanitäts- und Heilwesen wurde ebenfalls angenommen.

Der Rechtsausschuß hat somit den ernsten Bedenken, die von der Bundesregierung hinsichtlich einer unzureichenden Regelung von Art. 12 a vorgebracht wurden, Rechnung getragen.

4. Vorläufige Gesamtbeurteilung

Die Beschlüsse des Rechtsausschusses dürften den Weg freigemacht haben für eine baldige Verabschiedung der Notstandsverfassung im Parlament. Die vom Rechtsausschuß jetzt verabschiedete Notstandsverfassung stellt alles in allem einen vertretbaren Kompromiß dar, der in Einzelpunkten sogar Verbesserungen gegenüber dem Regierungsentwurf aufweist.

Stolzhäuser [handschriftlich] (Stolzhäuser)

(Herr PSt hat Durchschrift erhalten)

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