Auch überzeugte Sozialistinnen und Sozialisten hinterfragen regelmäßig Ziele und Methoden der SED-Führung. Viele hoffen bis zum Herbst 1989 auf die Reformierbarkeit des sozialistischen Systems. Ein Beispiel für Systemkritik aus den eigenen Reihen der SED ist ein Buchmanuskript des Anwalts Rolf Henrich aus Eisenhüttenstadt. Er kritisiert darin grundlegend die Realpolitik in der DDR und entwickelt umfangreiche Vorschläge für Reformen. Ein Exemplar seines Manuskripts vergräbt Henrich in einem Gurkenglas im Wald vor seinem Haus. Im April 1989 erscheint das Buch unter dem Titel „Der vormundschaftliche Staat“ in der Bundesrepublik. Daraufhin erhält Henrich Berufsverbot und wird aus der SED ausgeschlossen.
Für den Unterricht
Beschreiben und erschließen: Die Schülerinnen und Schüler können das Objekt beschreiben und Mutmaßungen über den Umfang des Manuskripts sowie dessen Haltbarkeit unter den beschriebenen Umständen anstellen.
Herausarbeiten und beurteilen: Der LeMO-Beitrag Systemkritik beschreibt, wie die SED mit Einwänden aus den eigenen Reihen umgeht. Die Schülerinnen und Schüler können am Beispiel des Chemikers und Autors Robert Havemann herausarbeiten, was er fordert und welche Konsequenzen er wegen seiner klaren Kritik zu tragen hat. Auf dieser Basis bilden sie sich eine Meinung zum Stellenwert der Meinungsfreiheit in der DDR.
Vergleichen: Der LeMO-Artikel Ausbürgerungen enthält weitere Beispiele für den Umgang der Machthaber mit Kritikerinnen und Kritikern. Viele von ihnen sind Mitglieder der SED. Die Schülerinnen und Schüler können die Schicksale mehrerer Personen recherchieren und miteinander vergleichen.
Die Schülerinnen und Schüler diskutieren an einem selbst gewählten, aktuellen Beispiel: Inwieweit ist Kritik an politischen Organen heute von der Meinungsfreiheit gedeckt und wo endet diese? Welche Grundrechte können die Meinungsfreiheit einschränken?
Für den Museumsbesuch
In der Dauerausstellung des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig können sich die Schülerinnen und Schüler das originale Gurkenglas anschauen und sich über dessen Geschichte informieren. Anhand des Titels, den Rolf Heinrichs Manuskript trägt, können sie außerdem Mutmaßungen darüber anstellen, was der Autor kritisiert.
Die Vitrine enthält Publikationen weiterer innerparteilicher Kritiker der SED. Am Beispiel Robert Havemanns erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Eindruck davon, welche Verbreitung kritische Positionen teilweise finden. Sie können recherchieren, in welche Sprachen das Buch übersetzt wird, und schlussfolgern, warum die SED Havemann als einen besonders gefährlichen Kritiker einstuft.
Auf dem Monitor gegenüber zeigen Ausschnitte aus Nachrichtensendungen, wie die Machthaber in der DDR gegen Kritik, auch aus den eigenen Reihen, vorgehen. Die Schülerinnen und Schüler können sich einen Überblick über mögliche Konsequenzen von Systemkritik verschaffen.
Kritik am „real existierenden Sozialismus“ gab es auch von außerhalb der Partei. Im Ausstellungsraum oberhalb der Rampe können Schülerinnen und Schüler die Geschichte des illegalen Senders „Radio Glasnost“ recherchieren und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Rolf Henrichs Aktivitäten formulieren.