Zeitzeugen > Deutsche Einheit

Annemarie Diefenbach: Zalama

Dieser Eintrag wurde von Annemarie Diefenbach (*1956) im August 2002 in Büdingen verfasst.

Abgeschoben in den Kongo

Vor einem Jahr wurde ein guter Bekannter in die DR Kongo (vormals Zaire) abgeschoben. Er lebte hier 10 Jahre unauffällig, hatte fast ebenso lang eine regelmäßige Arbeitsstelle, konnte sich von seinem erarbeiteten Geld eine kleine Mietswohnung leisten und aus der Asylbewerber-Gemeinschaftsunterkunft ausziehen, ebenso konnte er seinen Lebensunterhalt unabhängig bestreiten, spielte mit Leidenschaft im Fußballverein Wolferborn/Michelau und auch daneben mit anderen fußballinteressierten Asylbewerbern gegen solche von außerhalb. Niemals hatte er sich irgendwas zuschulden kommen lassen. Er war immer bestrebt, seine Arbeit gut zu machen, anständig Fußball zu spielen, seine Deutschkenntnisse über die Volkshochschule zu verbessern und sowohl mit Landsleuten und anderen Asylbewerbern und Ausländern als auch mit Deutschen gute Kontakte zu pflegen. Er, ein katholischer Christ, war zuverlässig, z.B. wenn es darum ging, eine deutsch-ausländische Veranstaltung mitzuorganisieren oder daran teilzunehmen, ebenso wie beim Einsammeln der von der Stadt bezahlten Fußballtrikots der Asylbewerber, die ich am Tag nach dem Spiel bei ihm zum Waschen abholte. Dies war einst die Voraussetzung für den Erhalt des Geldes zur Beschaffung der Hemden. Es musste gewährleistet sein, dass keines der Trikots abhanden kam. Kurzum: Zalama war ein angenehmer und integrierter Zeitgenosse.

Nach 10 Jahren in Büdingen von der Polizei abgeholt

Da vor einem guten Jahr sich die Lage im Kongo etwas entspannt hatte, wurde dies zum Anlaß genommen, Kongolesen nicht als Asylbewerber anzuerkennen und abzuschieben, auch solche, die schon sehr lange und integriert hier lebten wie unser Bekannter, der von seinen 30 Lebensjahren 10 davon in Büdingen wohnte.

Er wurde an einem frühen Morgen von der Polizei abgeholt, als er vor seiner Wohnung auf einen Arbeitskollegen wartete, der ihn immer mit dem Auto zur Firma mitnahm. Man hielt ihm eine Pistole an den Kopf, dass er nicht fliehen sollte. Allein diese Art des menschenunwürdigen Abholens ist ein Unding - leider aber der Normalfall, um einer Flucht vorzubeugen.

Seine Fußballkameraden, Arbeitskollegen und sonstigen Freunde und Bekannten, auch natürlich andere Asylsuchende, setzten sich vehement für ihn ein bei allen möglichen Stellen. Beim Bürgermeister, 1. Stadtrat und Stadtverordnetenvorsteher der Stadt Büdingen, dem Ausländeramt des Wetteraukreises, der Abschiebestelle, beim Landrat und hessischen Innenminister persönlich versuchten wir, ein Hierbleiben zu erreichen, ebenfalls durch das Hinzuziehen einer weiteren, auf Asylrecht spezialisierten Anwältin, deren Name und Adresse ich über einen alten Schulfreund erfahren hatte, der Sozialarbeiter in Gießen ist.

Unterschriftensammlung

Wir sammelten Unterschriften für seinen Verbleib, über 600 Stück, mit dem Hinweis auf seine langjährige Integration, und auch, dass in afrikanischen Staaten die momentan entspannte Lage genauso schnell wieder umkippen konnte und erneut ein Bürgerkrieg ausbrechen könne. Diese Unterschriften gingen an den Petitionsausschuss des hessischen Landtags. Durch die hiesige Zeitung und über Pro Asyl und andere Flüchtlingsorganisationen versuchten wir noch zusätzlich, Hilfe und auch die Öffentlichkeit zu erreichen.

Doch die Abschiebestelle war durch nichts an der Änderung der schon beschlossenen Abschiebung interessiert, der ‚Fall X' war erledigt. Noch nicht mal telefonisch sprechen konnte man mit ihm im Friedberger Gefängnis, in das die hiesigen Abzuschiebenden kommen, falls sie nicht sofort ausgeflogen werden. Wie ein Krimineller! Lediglich Post und Besuche durfte er erhalten, alle 2 Wochen für 1 Stunde an einem Mittwochnachmittag. Zu einem Besuch kam es dann nicht mehr, aber ich hatte ihm wenigstens noch ‚sein' Fußballtrikot der Asylbewerbermannschaft ins Gefängnis schicken können.

Mein Bekannter wurde im August letzten Jahres in sein Heimatland DR Kongo abgeschoben. Dort hatte er keine Familie mehr, da seine Eltern und Geschwister im Bürgerkrieg 1992 ums Leben gekommen waren. Er kam bei den Schwiegereltern eines Freundes unter, der als Asylbewerber in Bad Nauheim wohnt. Zuvor wurde er, was übliche schreckliche Praxis ist, ca. 2 Wochen im Gefängnis in der Hauptstadt Kinshasa ‚links' gemacht; diese Prozedur ist leider an der Tagesordnung und die Gefängnisse Afrikas sind mit den unsrigen in keiner Weise vergleichbar. Er wurde über seinen Aufenthalt hier ausgequetscht und auch über andere Asylbewerber aus der DR Kongo. Wie gesagt, ein gängiges Verfahren, psychisch und körperlich jedoch für den Rückkehrer auch ohne Folter qualvoll. Außerdem muß er sich dabei wie ein Verräter an seinen Landsleuten vorgekommen sein. Bei diesen Rückkehrerbefragungen sind schon etliche Menschen gestorben, vorwiegend Kurden in der Türkei, die in den dortigen Gefängnissen nicht selten auch gefoltert werden.

“im Kongo finanziell vor dem Nichts“

Mein Bekannter stand im Kongo finanziell vor dem Nichts, verdingte sich als Taglöhner mal hier, mal da, um zumindest seinen Gasteltern nicht über Gebühr zur Last zu fallen. Die Kontakte hierher wurden spärlicher, da ein Telefon nicht vorhanden war und eine Briefzustellung von und nach Europa beinahe das letzte große Abenteuer ist. Seine Fußballfreunde unterstützten ihn einmal mit einer Geldsammlung, die auch ankam.

Anfang Mai 2003 ist der Bürgerkrieg im Kongo nun wieder aufgeflackert. Wir hoffen, dass es unserem Freund gut geht und in seiner Region keine Unruhen sind. Aber es war genau das eingetreten, wovor gewarnt wurde: die politische Lage hatte sich in kurzer Zeit wieder verändert. Doch in einer vorübergehend ruhigeren Phase wurde ein anständiger, integrierter Mann in sein Heimatland zurückgebracht, ohne Not! Wenn langjährig integrierte Personen abgeschoben werden, obwohl von der Regierung eine Integration gepredigt wird, was hätte er nach 10 Jahre integriertem Aufenthalt in Deutschland denn eigentlich noch tun sollen? Er war der Prototyp eines integrierten Asylbewerbers, ohne deswegen angepasst oder unpolitisch zu sein. Hätte er einst in Baden-Württemberg einen Asylantrag gestellt, wäre er von dort nach 10 Jahren nicht mehr abgeschoben worden - aus humanitären Gründen.

Warum erzähle ich das? Jetzt ist woanders Krieg und Unfrieden, wo unschuldige Menschen betroffen sind und an die man denken sollte. Jetzt ist wieder ein Bürgerkrieg entflammt in der DR Kongo.

Wenn man jemand kennt, hat auf einmal der Krieg auch ein Gesicht und einen Namen. Hier ist es der Name Zalama, der einem neuen Krieg ein Gesicht verleiht, Zalama Nsiona aus der DR Kongo.

P.S.: Inzwischen soll sich Zalama ins Nachbarland Angola durchgeschlagen haben. Das ist die letzte Information, die ich vor etwa 4 Monaten erhalten habe. Vielleicht kann er dort besser leben. Wollen wir hoffen, dass er keine unüberlegten Handlungen vornimmt und nicht sich mit gefährlichen Schleppern einlässt, um wieder nach Europa zu kommen.

Kwassi

Als ob dies nun nicht alles schon genug der Abschiebungen gewesen wäre, bekam ein weiterer integrierter Afrikaner, diesmal von der Elfenbeinküste, den Abschiebebefehl. Er war schon sage und schreibe 13 Jahre hier wohnhaft, arbeitete schon viele Jahre bei einem Müllunternehmer und lag auch niemand auf der Tasche. Er war ein sehr gläubiger Christ und besuchte regelmäßig eine Pfingstgemeinde in Frankfurt. Über Bekannte hatte er eine junge Frau kennengelernt, die er heiratete. Allerdings konnten beide zusammen nicht kommen, denn seine Frau lebte in Paris und war inzwischen schwanger geworden, da Kwassi häufig -halblegal- zu ihr fuhr. Sie waren auch in Paris in einer afrikanischen Gemeinde kirchlich getraut worden.

Da ich nach den schlechten Erfahrungen mit Zalama für den nächsten Abschiebefall besser gerüstet sein wollte, zog ich kurz vor Kwassis Abschiebeaufforderung unseren evangelischen Pfarrer zu Rate, wie es denn mit Kirchenasyl aussähe. Von seiner Warte hatte er nichts dagegen, war aber nicht allein weisungsbefugt, sondern der Kirchenvorstand, der das allerdings wegen der ganzen Umstände und der an wenigen hängenbleibenden Kosten und Mühen ein Kirchenasyl im Gemeindehaus ablehnten. Dies war wohlgemerkt vor der eigentlichen Aufforderung, dass Kwassi das Land verlassen müsse.

Als das Schreiben eintraf, packte Kwassi seine Sachen und flüchtete erst zu Bekannten nach Frankfurt. Er war jetzt illegal. Nur Ulli, ein Bekannter, Irina, meine Freundin, und ich wussten, was er plante. Er fuhr mit dem Zug nach Frankreich, nach Paris, wo ein illegaler Afrikaner, zumal aus einer ehemaligen französischen Kolonie, wenig/er auffiel als hier. Das Anfang März zu erwartende Kind war Kwassis große Chance: es würde die französische Staatsbürgerschaft haben und somit ihm und auch seiner legal in Paris lebenden Frau die Hoffnung auf dauerhaften Aufenthalt geben. Wer wollte einem Kind seine Eltern nehmen, zumal die Mutter mit einem Bleiberecht ausgestattet war?

So hatten wir diesmal mit vereinten Kräften, etwas unorthodox, sogar ohne viel Arbeit, jemand in Sicherheit gebracht. Nach der Nummer mit Zalama war das eine große Erleichterung. Und das Tollste daran war, dass wir die Abschiebebehörde ausgetrickst hatten! Kwassi war in Paris und keiner von denen wusste, dass er dort lebte.

Das Ganze hat fast was von Weihnachten: das Kind gibt Hoffnung für alle.

Empfohlene Zitierweise:
Diefenbach, Annemarie: Zalama, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/annemarie-diefenbach-zalama.html
Zuletzt besucht am: 02.11.2024

lo