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Barbara M.: Erinnerungen an Kindheit und Schulzeit in der DDR

Dieser Beitrag wurde von Barbara M. (*1955) 2019 in Heilbronn verfasst.

Nach Kriegsende wurde mein Vater Hans-Günther aus englischer Gefangenschaft nach Hannover entlassen und reiste weiter in seine Heimatstadt Leipzig. Glücklicherweise fand er seine Eltern und sein Elternhaus unversehrt vor. Folglich blieb er in Leipzig, das zunächst zur amerikanischen Besatzungszone gehörte. Nach Abzug der Amerikaner, Einzug der russischen Besatzer und Grün-dung der DDR meinte er resigniert: „Nach brauner Diktatur lebe ich in roter Diktatur. Noch nie war ich so frei wie in englischer Gefangenschaft.“ […]

Unbeschwerte Kindheit

Zehn Jahre nach Kriegsende, am 19. Juli 1955 erblickten wir eineiigen Zwillinge Barbara und Ursula als Frühchen, im Abstand von elf Minuten in der Leipziger Frauenklinik das Licht der Welt. Am Völkerschlachtdenkmal, im eigenen Zweifamilienhaus erlebten wir eine unbeschwerte, schöne Kindheit. Gern besuchten wir den kleinen Privatkindergarten Frau Tuschmann und lernten Dankbarkeit: „Man muss zufrieden sein.“

Als sechsjährige Zwillinge erlebten wir den Mauerbau am Sonntag, 13. August 1961 im Urlaub an der Ostsee und erinnern uns an unsere verzweifelt weinenden Eltern. Mit Nachbars Kindern spielten wir in unserem großen Garten und badeten im Planschbecken. Mit vier Jahren erlernten wir das Schwimmen, später Klavierspielen, trainierten erfolgreich Geräteturnen, Wasserspringen und Judo. Zur Freude unserer Eltern spielten wir vierhändig bei Sonntags-Schülerkonzerten im Gohliser Schlösschen.

„Seid bereit – immer bereit“: Sozialistische Erziehung

Nach 73-tägiger Ruhr-Erkrankung begann 1962 verspätet unsere Schulzeit. Wie unsere Mitschüler wurden wir im Alter von neun Jahren Jungpioniere mit blauen Halstüchern, dann Thälmann-Pioniere mit blau-roten Halstüchern und FDJler mit blauen Blusen. Unser Vater lehnte die Schule mit Fahnenapell und Pioniergruß „Seid bereit – immer bereit!“ ab und ermahnte uns, was wir in der Schule nicht sagen dürften.

Jugendweihe und Konfirmation

Bis zur Jugendweihe 1970 kümmerten wir uns wenig um das Land, in dem wir aufwuchsen. Be-denken unseres kritischen Vaters glich unsere lebensfrohe Mutti humorvoll aus. Mit guten Leistungen wurden wir nach der 8. Klasse 1970 zur Erweiterten Oberschule Thomas (Gymnasium) [Thomasschule] delegiert. Da es in DDR-Gymnasien keinen Religionsunterricht gab, bot der Leipziger Pfarrer Otto Drephal für Thomasschüler einen außerschulischen, optionalen Religionsunterricht in der Burgstraße, nahe der Thomaskirche an. Drephals Religionsschüler wurden von der Schulleitung kritisch betrachtet. Unsere Konfirmation 1971 in der Leipziger Thomaskirche feierten wir im Jahr nach der staatlich verordneten Jugendweihe.

Zulassung zum Abitur

Unser junger, parteiloser Klassenlehrer Gerhard weckte kulturelle Interessen mit Schüler-Theateranrecht [Abonnement] und Schüler-Schauspieler-Gesprächen am Leipziger Theater. Von der Schulleitung wurden Schüler mit Notendurchschnitt unter 1,8 aufgefordert, das Gymnasium mit der mittleren Reife zu verlassen. Nach 17 gemeinsamen Jahren wurden wir Zwillinge 1972 getrennt. Meine Zwillingsschwester Ursula verließ die Schule und ich wurde zum Abitur zugelassen. Unser Vati lehnte unterschiedliche Schulwege von uns eineiigen Zwillingen mit gleicher Begabung vergeblich ab, unsere Mutti war nachgiebiger und einverstanden.

Zur Person

Barbara M. wird 1955 in Leipzig geboren. Dort legt sie 1974 an der Erweiterten Oberschule Thomas (Thomasschule) ihr Abitur ab. Da ihr das Wunschstudienfach Medizin verwehrt wird, studiert sie zwischen 1974 und 1978 Verfahrenstechnik an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg und schließt das Studium als Diplom-Ingenieurin ab. Anschließend arbeitet sie im VEB Elektrotechnik Dresden sowie im VEB Getreidewirtschaft Dresden. Sie heiratet und bekommt zwei Kinder. Im Mai 1990 zieht sie mit ihrer Familie von Dresden nach Hannover und im Jahr darauf nach Heilbronn. Nach ihrer Elternzeit absolviert sie 1994/95 eine Umschulung zur Industriefachwirtin und arbeitet in diesem Beruf für verschiedene Firmen im Heilbronner Umland. 2018 geht sie in Rente und ist seitdem in verschiedenen Ehrenämtern aktiv. Barbara M. lebt mit ihrem zweiten Mann weiterhin in Heilbronn.

Empfohlene Zitierweise:
M., Barbara: Erinnerungen an Kindheit und Schulzeit in der DDR, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/barbara-m-erinnerungen-an-kindheit-und-schulzeit-in-der-ddr.html
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