Dieser Beitrag stammt von Dr. Christa Mahrad aus Berlin. Er entstand anlässlich der Erinnerung an den Bau des Tränenpalastes vor 50 Jahren. Im Juli 2012 lud die Stiftung Haus der Geschichte Zeitzeugen ein, um ihre persönliche Geschichte im Zusammenhang mit der Grenzübergangstelle zwischen Ost- und West-Berlin zu hören und zu sammeln.
Zollkontrollen am Grenzübergang
Ein anderes Mal benutzte Paula den Grenzübergang Friedrichstraße, bekannt als Tränenpalast. Sie kam von ihrer Schwester Ida [aus Ost-Berlin] zurück. Diese hatte beim Durchforsten des elterlichen Hauses Bilder und Utensilien der Großeltern gefunden und Paula ein altes Porzellanfrühstücksbrett der Großmutter sowie ein altes Foto, auf dem der Großvater abgebildet war, als Erinnerung mitgegeben.
An der Grenze [nach West-Berlin] wurde Paula gefragt, ob sie etwas zu verzollen habe. Paula verneinte und wurde aufgefordert, den Inhalt ihrer Tasche zu zeigen. Sie holte das Frühstücksbrett, das mit dem Spruch: "Trocken Brot macht wohl Wangen rot, doch Schinken, so‘n Pfund, macht sie rund" versehen war, und das Bild des Opas hervor. "Sie wollen ja verbotene Gegenstände ausführen", stellte bedeutungsvoll der Zöllner fest. "Seit wann sind solche Andenken mit einem Ausfuhrverbot belegt?", erkundigte sich Paula. "Bei den von Ihnen mitgeführten Sachen handelt es sich um sozialistisches kulturelles Erbe!", wurde Paula belehrt. "Das ist ein Irrtum, dies sind keine sozialistischen Produkte; das sind private Erinnerungsstücke", entgegnete Paula. "Da sich diese Gegenstände auf dem Territorium der DDR befanden, gehören sie zum sozialistischen Kulturgut, das unser Staat schützt", herrschte der Zöllner sie an und betrachtete das Frühstücksbrett mit dem zwiebelartigen Muster von allen Seiten. Paula merkte, dass der Zöllner nach den Meißner Schwertern suchte, die er jedoch nicht fand. Sie lenkte das Augenmerk des penetranten Kontrolleurs auf das Foto des Großvaters, sie meinte hiermit die Unsinnigkeit des sozialistischen Kulturerbes am ehesten herausstellen zu können, musste jedoch auf der Hut sein, den Zollkontrolleur nicht ihre intellektuelle Überlegenheit spüren zu lassen. Also hörte sie sich demütig dessen Belehrungen über Kulturgut an und nickte brav mit dem Kopf, als der Zöllner sagte, diesmal würde er noch so großmütig sein und sie die Dinge mitnehmen lassen, aber dies sei eine Ausnahme, die nicht wiederholbar sei.
Paula passierte den Zollbereich, schaute das Bild des Großvaters an und sagte: "Opa mit dir hat man nur Ärger, selbst wenn du lediglich von einem Foto in die Welt guckst!" Sie erinnerte sich, wie der Großvater einmal mit ihr die belebte Kreuzung am Pankower Rathaus diagonal überqueren wollte und dabei von einem Verkehrspolizisten zur Rede gestellt wurde.
Zur Person
Christa Mahrad wird 1943 in Berlin-Pankow geboren, wo sie bis 1966 lebt und Germanistik und Slawistik auf Lehramt studiert. 1966 darf sie zur Hochzeit mit ihrem in West-Berlin lebenden iranischen Verlobten in das Kaiserreich Iran ausreisen. Sie reist jedoch nur nach Wien und steigt in ein Flugzeug nach West-Berlin. Dort heiratet sie und bleibt mit ihrem Ehemann in West-Berlin wohnen. Da ihr DDR-Studium nicht anerkannt wird, studiert sie erneut, dieses Mal politische Wissenschaft. 1971 zieht sie nach Hannover und arbeitet bei der Forschungsstelle für Jugendfragen. Ihr Schwerpunktthema ist Jugend der DDR. Später lehrt sie an der Universität Hannover Erziehungswissenschaften und legt auch hier einen Schwerpunkt auf DDR-Themen. Heute wohnt Christa Mahrad wieder in Berlin.
Empfohlene Zitierweise:
Mahrad, Christa: Zollkontrollen am Tränenpalast, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/christa-mahrad-zollkontrollen.html
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