Dieser Beitrag wurde von Christel Dux (*1948) aus Berlin im Jahr 2000 verfasst.
Tante Gerdas Garten
Tante Gerda und Onkel Alex hatten als Westberliner einen Garten in Treptow, nicht weit von der Wiener Brücke. Der Garten wurde vom Magistrat von Groß-Berlin, wie es damals hieß, aufgekauft, es sollten dort Häuser gebaut werden. Heute steht dort der Bahnhof "Plänterwald", aber ich bin heute noch überzeugt, daß der Garten von Tante Gerda noch da ist, ein paar Gärten stehen noch immer dort. In diesem Garten gab es oft Sommerfeste. Draußen wurde Bowle getrunken, war man in Stimmung, wurde gesungen, und bis nach Hause war es für alle Beteiligten nicht allzu weit. Tante Gerda und Onkel Alex schaukelten zu Fuß nach Hause, wir dagegen mußten mit der Straßenbahn fahren, die uns aber bis zur Haustür brachte.
Kontrollen an der Wiener Brücke
Die Kontrollen an der Wiener Brücke gingen, aber die S-Bahn Kontrollen und die Kontrollen an den anderen Sektorengrenzen waren immer sehr unangenehm. Nie wußte man, wen man vor sich hatte, war es ein "Hartherziger" oder ein nicht so harter Grenzer? Es gab Grenzer, die regelmäßig Leute aus dem Zug holten, sei es auch nur aus Schikane. Und wehe, jemand hatte eine Zeitung dabei, derjenige wurde sofort angezeigt, und es kam fast immer zum Prozeß.
Zeigte man seinen Ausweis, studierte der Grenzer den Namen, sah sich das Bild an, fragte regelmäßig, wer ich bin. Regelmäßige Antwort: "Meine Tochter". Wenn die Kontrollen beendet waren, hörte man draußen den Bahnhofswärter sagen: "Letzte Station in der Deutschen Demokratischen Republik, Vorsicht an der Bahnsteigkante. Bitte zurückbleiben - Zug fährt ab."
"Verbotene Zeitschriften"
Papa nahm sich immer gern die bei Strafe verbotenen Zeitschriften mit, besonders gern hatte er den "Stern", den Onkel Alex immer las. So steckte er sich immer ein oder zwei Hefte kurz vor der Grenze in den Hosenbund, bevor wir an der Oberbaumbrücke kontrolliert wurden. Nach einer Feier wurde er mutig und steckte sich schon bei Tante Gerda mehrere Hefte in den Hosenbund. Wir fuhren mit der Hochbahn zur Warschauer Straße und gingen zur Oberbaumrücke, es war schon Nachtzeit. Da stand nur ein junger Grenzer auf der Oberbaumbrücke, vielleicht war der andere gerade austreten oder krank, jedenfalls waren es bisher immer zwei gewesen. Er wollte unsere Ausweise sehen. Im Allgemeinen wurde man immer noch gefragt, wo man herkam, aber dieser Grenzer sagte nichts, stellt nur die übliche Frage nach Zeitschriften.
Mein Vater, etwas angetütelt, antwortete: "Nei-ei-n, wo denken Sie hin, soo-lch-e verseuchten Zeitungen lesen wir doch nicht." Just in diesem Moment fielen ihm die "Sterne" aus den Hosenbeinen. Klatsch, lagen sie vor dem Grenzer. Oh Gott, jetzt müssen wir mit, dachte ich und hatte natürlich Angst davor, daß meine Eltern nun eingesperrt würden.
Schmuggel verbotener, provokatorischer, imperialistischer Schriften hieß Knast für Jahre. Der Grenzer aber ließ uns die Hefte aufheben, gab meinen Eltern ihren Ausweis und ließ uns gehen. "Hau'n Sie ab", waren nur seine Worte.
Dankbarkeit
Diesem Menschen bin ich noch heute dankbar, daß er uns vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt hat. Es gab also nicht nur 100%-Grenzer. Vielleicht ist dieser Grenzer später auch noch nach dem Westen abgehauen. Wenn ich ihn kennen würde, würde ich mich noch heute bei ihm bedanken. Hätten zwei Grenzer dagestanden, wäre das Spektakel anders ausgegangen.
Empfohlene Zitierweise:
Dux, Christel: Grenzkontrollen 1957, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/christel-dux-grenzkontrollen.html
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