Dieser Eintrag wurde von Dietrich Schwanke (*1928) 2013 in Auggen verfasst.
Reichsbahn in West-Berlin
Nach dem Abkommen der vier alliierten Siegermächte über die Aufteilung Berlins in vier Sektoren unter der Oberhoheit jeweils der UdSSR, den USA, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Frankreichs, hatte man auch festgelegt, dass die UdSSR für die Reichsbahn auch in West-Berlin zuständig sein sollte.
Schwierigkeiten während der Blockade Berlins
Das ging solange einigermaßen reibungslos, bis sich durch die Währungsreform in Westdeutschland und in den drei Westsektoren der „Kalte Krieg“ immer mehr zuspitzte. Das gipfelte zuerst in der Berlin-Blockade durch die UdSSR und später dann in der Errichtung der Berliner Mauer durch die DDR mit Billigung der Sowjets. Hierzu eine Episode eines West-Berliners, der in West-Berlin bei der Deutschen Reichsbahn arbeitete und somit beruflich der DDR Eisenbahnverwaltung unter der Oberhoheit der sowjetischen Besatzungsmacht unterstand.
Streikgeld
Streikgeld erhielt jeder West-Berliner Eisenbahner, der am Streik teilnahm, [und] sich gemeldet hatte, unabhängig davon, ob er bei der „UGO“ – Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation – Mitglied war. Gerade als diese Formalitäten abgewickelt wurden, kam die Nachricht, dass sich von Kölnische Heide her auf den Gütergleisen ein Zug nähere. Nun stürmten alle nach oben auf die Gütergleise und sahen eine Lokomotive mit einigen Wagen vor dem Einfahrtsignal des Bahnhofs Berlin-Neukölln stehen. Als das Signal weiterhin in der Haltstellung „Hp 0“ blieb, setzte sich dieser Zug ganz langsam im Schritttempo in Bewegung, da offenbar ein begleitender Sowjetsoldat dazu den Befehl gegeben hatte. Doch noch in der Kurve waren die Gleise durch eine Menschenmenge blockiert und kurz dahinter waren dann schon andere Eisenbahner damit beschäftigt, die Schrauben der Schienenbefestigung zu lösen. Nicht lange, und schon war es so weit, dass eine 15 m Schiene auf der Seite lag, davor ordnungsgemäß eine Sh 2-Scheibe (rot mit weißem Rand) = Nothaltescheibe stand und eine Weiterfahrt verhinderte. Der Lokomotivführer, vermutlich ein Ost-Berliner, wurde teilweise als Streikbrecher beschimpft und wehrte sich etwas hilflos damit: „Ich kann doch nichts dafür!" Der Sowjetsoldat war auch ratlos, trotz der umgehängten Maschinenpistole, denn inzwischen waren amerikanische Militärpolizisten auf dem S-Bahnsteig eingetroffen, weil diese von ihrem Besatzungsrecht für die Sicherheit der Bürger Gebrauch machten. Der Sowjetsoldat hatte anfangs wohl noch nicht den richtigen Durchblick und rief wiederholt: „Stotakoi?“, was etwa „Was ist los?" bedeutete. Nach kurzer Zeit sah dann wohl der Russe ein, dass ein Weiterkommen nicht möglich war und nach Kontakt zwischen Fahrdienstleiter des Stellwerks NKN [Neukölln Nord] und Lokführer setzte sich der Zug wieder langsam rückwärtsfahrend in Richtung Kölnische Heide in Bewegung und verschwand.
Empfohlene Zitierweise:
Schwanke, Dietrich: Streik der West-Berliner Eisenbahner während der Luftbrückenzeit, in: LeMO-Zeitzeugen, LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/dietrich-schwanke-luftbrueckenzeit.html
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