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Gerda Langosch: Erinnerungen an den 13. August 1961

Dieser Eintrag wurde von Gerda Langosch (*1923) am 19.04.2000 in Berlin verfasst.

Erinnerungen an den 13. August 1961

Ich bin 1923 in Berlin im Hause Kieler Straße Nr. 18, in dem meine Eltern wohnten, geboren und verließ erst nach meiner Heirat 1957 die elterliche Wohnung, um mit meinem Mann in das Haus Nr. 3 der Kieler Straße zu ziehen.

Zur Lage und Geschichte dieser Straße: Der längste Teil der im offenen Carree zur Scharnhorststraße verlaufenden Kieler Straße - auch die Häuser Nr. 3 und 18 - lagen am Spandauer Schifffahrtskanal. Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs bestand die Kieler Straße aus über 20 Gebäuden (vorwiegend Mietwohnhäuser), von denen der Krieg durch Bombenabwurf und Artilleriebeschuss zwei Wohnhausruinen übrig gelassen hatte, eben Nr. 18 (mit 5 Mietsparteien, u.a. meine Eltern und ich) und die in der Carree-Ecke gelegene Ruine Nr. 3.

Die nach Beendigung des Krieges durch die alliierten Siegermächte vorgenommene Aufteilung Berlins in vier Besatzungssektoren führte dazu, daß die Kieler Straße von nun an nicht nur bezirksamtlich, sondern nun auch postalisch zu Berlin-Mitte (sowjetischer Sektor) und nicht mehr zum Wedding (französischer Sektor) gehörte. Ich fühlte mich jedoch eher dem Bezirk Wedding als dem Bezirk Mitte zugehörig, habe ich doch meine längste Schulzeit in einem Weddinger Lyzeum verbracht. Alle meine Schulfreundinnen waren Weddingerinnen, auch wurde ich in der Weddinger Dankeskirche eingesegnet.

Der 13. August 1961

Am 13. August 1961, einem Sonntag, hörten mein Mann und ich am frühen Morgen die Nachricht im Radio, daß die in der sowjetischen Besatzungszone und im sowjetischen Sektor Berlins regierende kommunistische Partei (SED) die von den Westalliierten besetzten Gebiete Deutschlands und Sektoren von Berlin durch einen sogenannten "antifaschistischen Schutzwall" getrennt hat.

Da wurde uns klar, daß in unserer Nähe über Nacht irgendwelche Grenzmarkierungen zu sehen sein müßten, aber wir erspähten bei unserem einzigen [Gang] auf den Spandauer Schifffahrtskanal, der schon immer als natürliche Grenze zu den Bezirken Tiergarten (britisch besetzter Sektor) und Wedding galt, keine zusätzlichen Grenzbefestigungen. Also liefen wir zu meinen Eltern, die durch das von der Kanalseite entgegengesetzt gelegene Küchenfenster auf die Scharnhorst-/Boyenstraße (Grenzstraßen zum Wedding) blicken konnten. Wir erfuhren dann von meiner Mutter, daß sie nach dem Aufstehen beim Frühstückzubereiten aus dem Küchenfenster geschaut hatte und gar nicht begriff, was sie da zu sehen bekam, nämlich die über nacht aufgestellten sogenannten "Spanischen Reiter", das waren mit Dornen versehene Drahtrollen, die als vorläufige Grenzbefestigungsanlagen dienten.

“über Nacht erstellte Grenze“

Aufgeregt weckte sie meinen Vater. Meine Eltern stellten dann auch das Radio an und erfuhren in den Nachrichten, was geschehen war. Besonders wir, die dieses Ereignis hautnah erlebt hatten, aber auch alle Menschen in Deutschland und wohl auf der ganzen Welt waren erstaunt darüber, wie diese von der SED-Regierung über Nacht erstellte Grenze, an deren Vorbereitung doch so viele Menschen beteiligt gewesen sein mußten, so geheimgehalten werden konnte.

Am Nachmittag klingelte es bei meinen Eltern an der Wohnungstür. Davor stand der Mann der kürzlich verstorbenen Freundin meiner Mutter. Vor einiger Zeit war er mit seiner Frau von Köthen/Anhalt (sowjetische Besatzungszone) wieder zurück nach Berlin-Tempelhof (amerikanisch besetzter Bezirk) gezogen. Aus Neugierde hatte er sich auf den Weg zu meinen Eltern gemacht und war auch ungehindert zu ihnen gelangt. Aus Angst, daß er auf seinem Rückweg doch vielleicht festgehalten werden könnte, blieb er nicht lange.

“die letzte Chance war, in Westberlin zu bleiben“

Mein Mann begleitete ihn, um auszuprobieren, wie weit er als Ostsektorenbewohner kommen würde. Erstaunlicherweise gelangte er mit unserem Bekannten ebenfalls unbehelligt auf die westliche Seite der Boyenstraße, die durch die auf dem Fahrdamm noch sehr durchlässigen "Spanischen Reiter" in Ost und West geteilt war. In diesem Moment wurde meinem Mann bewußt, daß dies die letzte Chance war, in Westberlin zu bleiben. Weil ich aber unser erstes Kind erwartete (im 5. Monat schwanger) und ich nicht bei ihm war, kam er - auch ungehindert - wieder zurück und blieb Bürger des Ostsektors bzw. der Deutschen Demokratischen Republik.

Nach dem 13.08.1961 wurden die "Spanischen Reiter" sehr schnell durch eine bewachte undurchlässige Befestigungsanlage (Betonmauer) ersetzt, durch die es, ohne in Lebensgefahr zu geraten, kein Durchkommen weder von Ost- nach Westberlin noch umgekehrt gab. Nach dem Mauerbau wurden die Straßen, die sich östlicherseits entlang der Mauer befanden, zum Grenzgebiet erklärt. Das hieß: die Bewohner (also auch die der Kieler Straße) durften Besucher aus den sowjetisch besetzten Berlin-Sektoren und DDR-Gebieten nur mit polizeilicher Genehmigung empfangen, sie waren also noch doppelt bestraft.

Räumung der Kieler Straße 18

Ende 1962 mußten die Wohnungen der letzten 5 Mietparteien von der Kieler Straße 18, also auch die meiner Eltern, innerhalb von fünf Tagen geräumt werden, weil das Haus angeblich ein gutes Beobachtungsobjekt für die westliche Seite war. Die Mieter mußten sich für eine der ihnen vom Bezirksamt angebotenen Wohnung entscheiden; meine Eltern bezogen eine in Lichtenberg. Nach der Räumung der Hausruine diente sie der Grenzbewachung noch einige Zeit als Beobachtungsstand, wurde dann aber gesprengt.

Das große, nun unbebaute Gelände wurde nach dem Mauerfall 1989 ein Hubschrauberlandeplatz für das Bundeswehrkrankenhaus in der Scharnhorststraße (zu DDR-Zeiten Krankenhaus der Volkspolizei).

1965 verließen auch mein Mann, unser Kind und ich unsere Wohnung im Hinterhaus der Kieler Straße 3 (die letzte Hausruine dieser Straße, die bis heute bewohnt geblieben ist und als denkmalgeschützt anerkannt inzwischen saniert wurde) und zogen nach Köpenick.

Empfohlene Zitierweise:
Langosch, Gerda: Erinnerungen an den 13. Juni 1961, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/gerda-langosch-erinnerungen-an-den-13-august-1961.html
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