Dieser Eintrag wurde von Ilse Steffen (*1921) im Februar 2007 in Kiel verfasst.
Landtagswahl 1971
Wir hatten zu Beginn eines Wahlkampfes eine Versammlung in Heide. Die Bauern von Dithmarschen waren über Jochens Sprüche, ein Teil von ihnen müsste ausscheiden aus der Landwirtschaft, so empört, dass sie zum Angriff übergingen. Jochen versucht klar zu machen, dass ihnen die "Römischen Verträge" gar keine andere Wahl ließen. Wir saßen im Tivoli in Heide auf der Bühne. Da schulterte ein Teil von ihnen die Mistgabeln und formierte sich zum Angriff aufs Podium. Wir konnten nur noch hinter dem Vorhang verschwinden und wurden auf den Hof geleitet, um ins Auto zu steigen. Als wir in Richtung Heimat fuhren, sagte ich zu Jochen, ich hätte keine Lust mich hier im Waldstück überfallen zu lassen. Das hätten sie leicht tun können. Bei der nächsten Sitzung in Bonn trat Jochen an Willy Brandt heran und verlangte Personenschutz. Er war sehr verblüfft, denn das war damals überhaupt nicht üblich. Es wurden aber Berliner Polizisten für uns angefordert, die uns nun ständig begleiteten. Als Berlinerin kam ich mit ihnen bestens aus. Sie hatten einen besonderen Humor. Wenn ich die Garagentür öffnen wollte, rissen sie mich zurück mit den Worten: "Wat meinste denn, wenn nun 'ne Bombe drin ist, wo ihr Gehirn dann klebt? An de Decke natürlich." In solchen Wahlkämpfen kam es immer auf Minuten an. War eine Schranke geschlossen, dann eilten sie an allen Autos vorbei, um den Fahrern zu erklären, sie müssten so lange halten, bis wir als Erste vorbei wären. Bei Jochens Reden standen sie an der Seite im Saal. Ihre Jacketts waren ausgebeult von den Pistolen. Sie hatten alles im Auge. Da man noch keine Erfahrung mit Attentaten hatte, nahm man die Sache gelassen.
Jochen gegen Stoltenberg
Zweimal war Jochen der Kandidat, um in Schleswig-Holstein Ministerpräsident zu werden. Sein Gegner war Stoltenberg, mit dem er eine Zeitlang an der Uni bei Prof. Freud Assistent gewesen war. Stoltenberg war ein ehrgeiziger, steifer Mensch. Trotzdem sich Grass und Lenz mit ihm engagierten und Jochen beim zweiten Wahlangriff mit nur ca. 400 Stimmen hinter der CDU lag, waren seine Anhänger enttäuscht. Es ist ja nicht nur für den Kandidaten eine unglaubliche Anstrengung, auch die ganze Partei ist im Einsatz. Wir fuhren täglich mit dem Auto gegen neun oder zehn Uhr vom Hause weg. Am Vormittag waren Besichtigungen von Firmen angesagt, ein kurzes Mittagessen, danach erkämpfte ich für Jochen eine halbe Stunde Ruhe. Am Nachmittag gab es wieder Treffen mit eingeladenen Genossen aus anderen Teilen Deutschlands, um dann am Abend eine große Rede zu halten. Das ging so wochenlang. Als Willy Brandt kam, stieg Jochen in seinen Wagen und ich eilte hinterher. Für ihn wurde die Straße gesperrt, für mich nicht. Das Journalistenvolk wettete, ob ich es schaffen würde, den Anschluss zu halten. Ich schaffte es, denn ich musste Jochen ja wieder einfangen, wenn Brandt abgeholt wurde. Unsere Berliner Polizisten verfolgten Jochen sogar auf den Strand von St. Peter-Ording, als durch einen Feiertag eine Pause eintrat. Bei einer letzten Veranstaltung in Kiel-Friedrichsort, man hatte mich wieder am Telefon arg belästigt, holte ich Jochen ab. Die Crew der Polizisten fuhr hinter uns her. Ich bog aus Versehen verkehrt ab, und musste eine Schleife fahren. Kommentar der Berliner: "Wat war det denn? Ick globe, det sollte die große Teusche sein!" Wir luden nach der verlorenen Wahl die Kollegen alle zum Essen ins Museumsdorf ein. Es war ein sehr nettes Zusammensein. Ich bekam von der Partei für meine Mühe zwei Zinnbecher geschenkt. Ich schmiss sie an die Wand. Ich war erschöpft. Nicht mal enttäuscht, weil wir verloren hatten. So überzeugt war ich nicht, dass Jochen so gerne Ministerpräsident geworden wäre. So wie er von der CDU behandelt worden war, gehörte eine große Portion Wurschtigkeit dazu. Manchmal stand kein Stuhl bei einer Veranstaltung für ihn bereit. Er nahm dann den Sitz für den Ministerpräsidenten. Wir wurden auf dem Kieler Presseball in den Keller verwiesen. Das ließen wir uns nicht gefallen, doch es war mit Ärger verbunden. Bei einer Heinemann Besichtigung einer Firma in Kiel war Jochen übergangen worden und musste lautstark sein Recht beim Bundespräsidenten einklagen. Er war 19 Jahre im Kieler Landtag. Als er den Fraktionsvorsitz aufgab, da setzte er sich noch in die letzte Reihe, um seinen Pensionsanspruch in Jahren zu erfüllen. Das fand ich toll von ihm, denn er hatte die ersten Jahre als Student, während seiner politischen Tätigkeit, umsonst gearbeitet. Das Gemecker der Genossen höre ich noch heute. Dabei war die neue Generation auf Ämter und Besoldung besonders scharf. Aber das war dann nicht mehr unser Problem. Sie haben teilweise gebüßt für ihre Taten.
Angeschlagene Gesundheit
Bei Jochen hatte diese Zeit doch eine angeschlagene Gesundheit hinterlassen. Er war nervös, unausgeglichen, ging hoch, wenn ihm etwas nicht passte. Alles, was sonst nicht seine Art war. Er suchte einen Arzt auf. Der Arzt wurde ihm von einem Genossen empfohlen. Er verordnete eine Kur am Bodensee. Der Nachteil war, dass dort der Föhn Jochen unheimlich zusetzte und ihn depressiv machte. Ich hatte mich in einem Warmbad in Zurzach in der Schweiz zurückgezogen. So konnten wir uns am Wochenende sehen. Das erwies sich meist nicht als große Freude. Er war teilweise nett, konnte mich aber im nächsten Augenblick fürchterlich beleidigen, indem er mich grundlos beschimpfte. Das ging auch zu Hause so weiter. Ich muss sagen, ich weinte damals bittere Tränen. Er konnte sich die halbe Nacht mit einer Flasche Rotwein in den Sessel setzen, beim ersten Glas war er schon gar nicht mehr ansprechbar, und vor sich hinstarren. Später hat mir ein Arzt erzählt, die Kranken wüssten überhaupt nicht, was sie täten und weshalb sie so reagierten. Da er am Anfang der Krankheit Medikamente einnahm, hätte ihm der Arzt das Trinken verbieten müssen. Da der aber selbst ein Trinker war, meinte er, mal ein Whisky schadete nichts. Nur nach einem Whisky hatte Jochen schon die Kontrolle verloren. Später hat er mir gesagt, dass ihm diese Zeit nicht bewusst war. Bei der zweiten Kur kam der Arzt in Lübeck zu mir und fragte, ob wir mit dem Geld in Schwierigkeiten wären. Mein Mann hätte gewaltige Angst, die Familie nicht ernähren zu können. Wir waren mit Rudolf Augstein befreundet. In guten Zeiten hatte er uns nach Sylt eingeladen und ich durfte seinen tollen Wagen fahren. Auch in Hamburg waren wir bei ihm zum Empfang, wo ich der Frau von Loriot begeistert erzählte, wie toll dieser sei. Ich wusste nicht, dass ich mit seiner Ehefrau sprach.
Empfohlene Zitierweise:
Steffen, Ilse: Jochen Steffens (SPD) Wahlkampf in Schleswig-Holstein, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/ilse-steffen-wahlkampf-in-schleswig-holstein.html
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