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Jutta Miller-Waldner: Tagebucheintrag zum Tod von John F. Kennedy am 22. November 1963

Dieser Tagebucheintrag vom 22.11.1963 stammt von Jutta Miller-Waldner (*1942) aus Berlin.

Heute, am 22.11.63, ist John F. Kennedy Opfer eines Attentats geworden. Um 20.00 MEZ traf ihn ein Schuß in den Kopf, an dessen Folgen er kurz darauf starb. Seine Frau saß neben ihm. Im Grunde ist es doch so eine sachliche Meldung, aber sie wirft tausend Fragen auf. Es ist natürlich eine hochpolitische Angelegenheit, Kennedy galt als Vermittler zwischen Ost und West. Was wird jetzt? Wie wird Johnson jetzt handeln, der sofort zum Präsidenten vereidigt wurde? John F. Kennedy war als Politiker sehr beliebt in der ganzen Welt. Besonders bei uns in Berlin galt er soviel und war ungeheuer populär. "Ich bin ein Berliner", hat er gesagt.

Aber gerade in menschlicher Hinsicht ist der Tod Kennedys so erschütternd. Da wurde ein Mann aus einem blühenden Leben, mitten aus der Arbeit, auf dem Höhepunkt seines Lebens von einem Fanatiker, wahrscheinlich einem Rechtsradikalen, ermordet. Es ist eine Tragödie, die Trauer in jedem Herzen hervorrufen muß.

Es ist schrecklich, daß es Menschen gibt, die so intolerant sind und, um zu ihrem Recht zu kommen, nicht vor einem Mord zurückschrecken.

Gerade gestern diskutierten wir im Büro über die Todesstrafe. Ich bekannte mich absolut dagegen, da ich der Meinung bin, niemand hat das Recht, über das Leben eines anderen zu bestimmen. Auch wenn der andere schon bald nicht mehr als Mensch bezeichnet werden kann. Niemand darf sich als Richter über Tod oder Leben eines anderen aufschwingen, niemand ist so unfehlbar. Aber in diesem Fall bin ich für eine sofortige Hinrichtung. Es ist nicht konsequent, aber ich bin so empört über diese Tat, sie kann nicht anders gesühnt werden.

Ja, was ist der Sinn des Lebens? Im Grunde ist alles so sinnlos. Da macht man sich Gedanken über so banale Dinge wie Frisur, Freundschaften usw.; es ist so schrecklich unwichtig. Wenn ich schon auf der Welt bin, dann will ich so halten: Ich möchte einmal sagen können: Ich habe gehört, was zu hören war, gesehen, was zu sehen war, und gefühlt, was zu fühlen war. Ich habe genug und bin zufrieden.

Bei uns in Berlin werden jetzt Kerzen in die Fenster gestellt. Ich war so erschüttert, daß ich unwillkürlich betete: "Der Herr sei seiner Seele gnädig." Es ist nicht der Glaube, der mich dazu trieb, sondern einfach der Gedanke einer Seele an die andere auf ihrer Fahrt ins Unbekannte.

Aus dem Nichts kommend - in das Nichts vergehend.

Empfohlene Zitierweise:
Miller-Waldner, Jutta: Tagebucheintrag zum Tod von John F. Kennedy am 22. November 1963, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/jutta-miller-waldner-tagebucheintrag-zum-tod-von-john-f-kennedy.html
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