Dieser Eintrag wurde von Lisa Schomburg im November 2003 verfasst, im Rahmen des Projekts Interessengruppe "Senioren Schreiben und Lesen" des Seniorenbüro Hamburg
Verlobt ohne gemeinsame Wohnung
Nun sind wir schon fast drei Jahre verlobt und können nicht heiraten, weil es keine Wohnung gibt. Heinz wohnt bei seiner Mutter in Hamburg-Rotenburgsort und ich bei meinen Eltern in Hamburg-Wilhelmsburg. Eines Tages teilt Heinzens Mutter uns mit, daß in Fuhlsbüttel Häuser mit kleinen Wohnungen gebaut werden und sie wolle sich für uns über die Firma, in der sie arbeitet, darum bemühen. Es geht also nur durch Beziehungen.
Am 10. Januar 1952 erhalten wir die Nachricht, daß wir am 15. Juni in eine 34 qm Wohnung einziehen können. Überglücklich fahren wir nach Fuhlsbüttel, um uns unsere neue Umgebung anzusehen, und im Flughafen-Restaurant feiern wir dieses denkwürdige Ereignis bei Kaffee und Kuchen. Heiratspläne werden geschmiedet, im Mai soll Hochzeit sein.
Hochzeitsfeier und Einzug in die gemeinsame Wohnung 1952
Die Hochzeitsfeier findet im engsten Familienkreis in dem Behelfsheim statt, das meine Eltern sich zwei Jahre nach der Ausbombung, bald nach dem Krieg, mühevoll gebaut haben.
Freunde helfen uns beim Einzug. Heinzens Mutter kann auf eins ihrer Ehebetten verzichten; sein Vater ist 1947 in russischer Gefangenschaft verstorben. Einen alten, schwarzen Pokalschrank, der uns als Küchen- und Wohnzimmerschrank dienen wird, kann sie auch noch entbehren. Von meinen Eltern erhalten wir einen Tisch und zwei Stühle, die den Bombenangriff 1944 fast unbeschadet überstanden hatten. Richtige Schlafzimmermöbel werden wir uns in ein bis zwei Jahren kaufen. Die Wohnung ist sehr klein: Zwei Zimmer mit Kochnische und einem winzigen Duschbad. In weiser Voraussicht haben wir uns gleich zu Anfang bei der Wohnungsbaugesellschaft für eine größere Wohnung eintragen lassen.
Geburt der Tochter
Als unsere Tochter geboren wird, haben wir noch ein Gitterbettchen in unserem Schlafzimmer unterbringen müssen. Es ist nun so eng, daß es keinen Durchgang zwischen Kinder- und Ehebett mehr gibt.
Nach etwa vier Jahren wird uns eine größere Wohnung in derselben Gegend angeboten. Wie froh sind wir nun! Unsere Tochter Cornelia ist inzwischen dreieinhalb Jahre alt.
"Aber nun: 65 qm Wohnfläche!"
Endlich können wir in die größere Wohnung ziehen. Sicher, wir haben uns auch in der Enge der kleinen Wohnung wohl gefühlt. Hier hat unsere Ehe begonnen und wir waren glücklich, wir drei. Aber nun: 65 qm Wohnfläche! Oh, wieviel Platz haben wir jetzt. An unserem Glück hat sich nichts geändert, wir können es hier nur noch besser ausbreiten.
Die Wände sind von den Kindern der vorigen Familie zerkratzt und mit Buntstiften bemalt. Es fehlen uns die Mittel, die Wohnung zu streichen oder gar zu tapezieren. Damit müssen wir uns noch Zeit lassen. Und - überhaupt - was macht das schon! In jedem Zimmer befindet sich ein Majolika-Ofen, der im Wohnzimmer ist besonders schön, und in der Küche ist ein Kohleherd. Ich hatte mir immer ein Badezimmer gewünscht, jetzt haben wir eines! Wir benutzen es nicht nur zum Baden, auch Wäsche, die ich auf dem Herd gekocht habe, spüle ich in der Wanne. Draußen auf dem kleinen Rasen spanne ich eine Leine zwischen den Pfählen und unsere Wäsche trocknet in Sonnenschein und Wind. Wie weich ist sie nun immer und wie sie duftet!
Nachbarschaft
Die für uns neuen Nachbarn im Haus sind nett und finden unsere kleine Tochter mit den langen Locken niedlich.
Im Treppenhaus duftet es einmal in der Woche angenehm nach Zigarrenrauch. Unser direkter Nachbar, Herr Lorenz, gönnt sich sonntags eine Zigarre. Falls wir zeitlos leben würden, wüßten wir doch immer, wenn Sonntag ist.
Sobald wir uns etabliert und die Zimmer tapeziert haben, werden wir uns ein zweites Kind wünschen.
Empfohlene Zitierweise:
Schomburg, Lisa: Herbst 1952, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/lisa-schomburg-herbst-1952.html
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