Dieser Beitrag wurde von Lutz Baumann (*1953) im Jahr 2014 in Berlin verfasst.
Bevor ich 1971 im Jugendklub selbst Fotos entwickelte, sah ich oft bei meinem Freund Jürgen L. im Flur der Wohnung seiner Mutter zu, wie dieser Vergrößerungen anfertigte. Jürgens Vater (Jürgen Henschel), später im Westteil der Stadt bekannt als der Mann mit der Leiter, lebte in Westberlin und war der Cheffotograf der SEW [Sozialistische Einheitspartei Westberlins] Zeitung „Die Wahrheit“. Das berühmteste Foto seines Vaters ist die Aufnahme des sterbenden Benno Ohnesorg, der vom Kriminal-Hauptwachtmeister Karl Heinz Kurras am Abend des 2. Juni 1967 in der Krumme Straße im Anschluss an die Demonstration gegen den Schah-Besuch, niedergeschossen wurde.
Jürgens Vater, der damals noch mit einer Praktica fotografierte, legte sich neue Fototechnik zu und schenkte seinem Sohn Jürgen seine alte Kameraausrüstung. Als SEW-Mitglied konnte er nach Ost-Berlin einreisen, die SED bezahlte ja schließlich mit ihren Geldern ihren Ableger in Westberlin und so gelangte die ExaktaVarex IIb in die Hände seines Sohnes. Zu dieser Zeit war die Exakta noch eine Spitzenkamera.
Bevor Jürgen mit dieser Kamera fotografierte, hatte er eine Werra, die bequem in die Tasche seines Parkas passte. Ich weiß nicht, woher er sie hatte, aber manchmal gelangten West-Zeitungen wie die „Bravo“ und die „Musik Parade“ in die Hände von Jürgen. Dann wurde die Exakta in den Vergrößerer gespannt und alle Fotos, auf denen Beatgruppen abgebildet waren, aus der Zeitung abfotografiert. Ich war ein paarmal dabei, wir mussten die Schule schwänzen, denn nur am frühen Morgen war im Wohnzimmer ausreichend Licht, um die Bilder aufnehmen zu können. Den Film entwickelte er noch am selben Tag und fertigte, sobald es möglich war, Vergrößerungen von den Gruppen an. Die abfotografierten Beatgruppen wurden uns in der Schule fast aus den Händen gerissen. Besonders gut gingen die Bilder der Beatles, der Stones, der Kinks, Fotos von Jimi Hendrix und Jim Morrison. Die Mädchen waren glücklich, wenn die Bee Gees dabei waren. Sogar vom TV gelangen ihm Aufnahmen der Beatles. Davon machten wir uns Abzeichen, indem wir ihre Köpfe aus den Fotos ausschnitten und auf einen Knopf klebten.
Jürgen verlangte für ein Foto in Postkartengröße 50 Pf, also keinen Wucherpreis. Wir waren ja nicht die einzigen, die solche Bilder anboten, aber ich denke, mit den Preisen die günstigsten. Wir hatten einfach Freude daran, diese Abbildungen zu verbreiten, außerdem hatte es auch noch den Hauch des Verbotenen. Jürgen besaß zu seiner Kamera auch ein Elektronen-Blitzgerät, so dass alle Schulfeten-Fotos der Jahre 1969/70 von ihm stammten. Sogar ein Foto von mir auf einer Klassenfete, das Jürgen 1969 aufnahm, ist in der DVD „Für Mick Jagger in den Knast. Die DDR und die Rolling Stones“ zu sehen.
Zur Person
Lutz Baumann wird im Juni 1953 in Ost-Berlin geboren. Er besucht die 10-klassige polytechnische Oberschule, ist Mitglied bei den Jungpionieren und der Freien Deutschen Jugend. 1970 macht er eine Lehre als Bautischler, bevor er zwei Jahre später seinen Wehrdienst bei den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee ableistet. Von 1974 an arbeitet er als Bauarbeiter im Volkseigenen Betrieb „Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin“ (VEB BMK IHB) und dann als Hausmeister in einer Musikhochschule. Im September 1988 siedelt er – mit einem genehmigten Ausreiseantrag – in den Westen Berlins über und ist beim Deutschen Roten Kreuz tätig. Seit 2004 unterstützt er das Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläakirche in Berlin Friedrichshain.
Empfohlene Zitierweise:
Baumann, Lutz: "Bravo" und Beatbilder, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/lutz-baumann-bravo-und-beatbilder.html
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