Dieser Beitrag wurde von Lutz Baumann (*1953) im Jahr 2014 in Berlin verfasst.
Vom Jugendtanz hörte ich das erste Mal in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 von einem Klassenkameraden, der eine solche Veranstaltung besuchte. Der Jugendtanz in Ost-Berlin fand meistens in Gaststätten oder Betriebs-Klubhäusern statt, die über einen geeigneten großen Saal zum Auftritt einer Beat-Kapelle und genügend Platz zum Tanzen verfügten. Es gab aber auch einige wenige Jugendklubs, wo es möglich war, dass dort Beat-Combos auftreten konnten.
Obwohl ich schon über 16 Jahre alt war, erlaubten mir meine Eltern nicht, zum Jugendtanz zu gehen. Laut Jugendschutzgesetz durften Jugendliche über sechzehn durchaus bis 24 Uhr daran teilnehmen. Ich glaube, meine Eltern hatten einfach Angst, dass ich mich ohne Aufsicht betrank. Ich war neidisch, wenn ich am Montag in der Schule neben Klassenkameraden stand, die in der Pause von ihren Erlebnissen beim Jugendtanz am Sonnabend berichteten und ich konnte da nicht mitreden. Ich hörte ihnen mit großem Interesse zu und am meisten interessierte mich, welche Gruppen und Titel nachgespielt wurden.
Schulfete mit Live-Musik
Im November gelang es mir, eine Schulfete der Schwester meines Schulfreundes Thomas V. zu besuchen. Diese Fete fand im Jugendklub Passage im Hans-Loch-Viertel in Karlshorst statt. Ich war ganz happy, als ich vernahm, dass dort bei der Party eine Live-Kapelle spielen sollte. Das erste Mal in meinen Leben hatte ich schon im April 1964 den Auftritt einer Beat-Kapelle erlebt. Es handelte sich um die Sputniks, die in Adlershof nachmittags während des Deutschlandtreffens auf dem Marktplatz auftraten. Sie konnten besonders gut die Beatles nachmachen. Mit meinen 11 Jahren war ich sofort vom Sound der Gitarren hingerissen. So etwas sollte ich bis zu besagter Party im Passage Klub nicht wieder live erleben. Ich musste mich mit der Musik beim Beat-Klub am Fernseher begnügen.
Die Party konnte ich nur besuchen, da mein Freund Thomas und seine Schwester bei meinen Eltern als vernünftig galten, da sie nicht tranken und rauchten. Thomas wurde vorher von meiner Mutter instruiert, bloß aufzupassen, dass ich nicht so viel Bier in mich hineinschütte. Ich glaube, es war an einem Donnerstag, als die Fete stieg. An den Namen der Kapelle kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich weiß noch, dass ich die ganze Zeit fasziniert der Musik lauschte und ich, nach ein paar Bier, im Rausch mitsang. Die Schulfreundin Martinas gab mir, das weiß ich noch, ein paar Juwel mit Filter und ich habe mit ihr auch getanzt. Ich hatte mich an diesem Abend ganz gut im Griff. Das konnte man leider später von Martinas Freundin nicht sagen, denn sie beging Ende der siebziger Jahre, wie einige andere Mädchen, die ich später kennenlernen sollte, Selbstmord. Ich fand die Party echt gut, besonders, dass eine Live-Band spielte. Die brachten Hendrix, Stones, CCR, etc. Einfach ein Hammer.
Jugendtanz im Volkshaus Bohnsdorf
Ende Januar 1970 war meine Mutter endlich bereit, mir zu erlauben, zum Jugendtanz ins Volkshaus Bohnsdorf, einem bekannten Tanzschuppen, zu gehen. Meine Mutter, die damals noch halbtags in der Lohnabrechnung der HO-Gaststättenverwaltung arbeitete, kannte durch ihre Arbeit die Gaststättenleiterin des Volkshauses Bohnsdorf. Jeden Sonnabend begehrten bestimmt über 300 Ost-Berliner Jugendliche um Einlass. In der ersten Zeit meiner Besuche im Volkshaus konnte ich mir immer eine Eintrittskarte bei der Chefin abholen. So musste ich nicht wie die anderen Gäste drei Stunden vor Beginn des Tanzabends draußen vor der Tür in der Schlange stehen. In einer Reihe mit den anderen Jugendlichen zu stehen, bedeutete drei Stunden Stress und je näher man der Eingangstür kam, tierische Drängelei mit höchstem körperlichen Einsatz. Dass man dann überhaupt noch Knöpfe an Hose und Hemd hatte, glich einem Wunder.
1970 wurde man nur eingelassen, wenn man keine Jeans trug. Auch mit schulterlangen Haaren war es aussichtslos, am Einlasser vorbeizukommen. Für den Abend gab mir meine Mutter jedes Mal 10 Mark. Ich bekam als Jugendlicher nie festes Taschengeld, sondern nur zweckgebundene Zuwendungen. Die zehn Mark reichten für die Eintrittskarte zu 3,10 Mark, eine Currywurst mit Kartoffelsalat kostete nur 1,80 Mark, eine Schachtel Salem Gelb gab es zu 1,60 Mark. Das restliche Geld wurde in Bier umgesetzt, denn der Preis für ein kleines Bier betrug 51 Pfennig.
Hatte man es geschafft, in den Saal zu kommen und einen freien Stuhl an einem Tisch zu ergattern, am besten mit Blick zur Bühne und nicht ganz in der hintersten Ecke, konnte man erst mal zufrieden sein. Es dauerte nicht lange und der Kellner erschien in seiner weißen Jacke mit einem Tablett voller Biere. Das erste Bier war dann wie eine Erlösung. Während ich das Bier trank, checkte ich mit den Augen das Publikum und sah nach mir bekannten Gesichtern, guckte, bei welchen Mädchen es sich vielleicht lohnen würde, sie zum Tanz aufzufordern. Diese Prozedur war mir immer ein Graus, war aber leider nicht zu umgehen, wenn man nicht für sich alleine auf der Tanzfläche herumhüpfen wollte. Ich besuchte das Volkshaus meistens solo, nur ab und zu waren meine Kumpel Detlef und Jürgen dabei, da sie ab Frühling 1970 über feste Freundinnen verfügten. Ich blieb ein Einzelgänger und hatte nur einen festen Gesprächspartner, der auch wie ich immer alleine unterwegs war. Unsere Gespräche drehten sich meistens um Musik oder wir werteten die BFBS Saturday Show aus. Mädchen spielten in unseren Unterhaltungen keine Rolle. Die Besucher, die man 1970/71 beim Tanz in Bohnsdorf traf, waren zum großen Teil entweder Schüler wie ich oder Lehrlinge und Jungfacharbeiter. Abiturienten und Studenten verirrten sich nicht hierher.
Zur Person
Lutz Baumann wird im Juni 1953 in Ost-Berlin geboren. Er besucht die 10-klassige polytechnische Oberschule, ist Mitglied bei den Jungpionieren und der Freien Deutschen Jugend. 1970 macht er eine Lehre als Bautischler, bevor er zwei Jahre später seinen Wehrdienst bei den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee ableistet. Von 1974 an arbeitet er als Bauarbeiter im Volkseigenen Betrieb „Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin“ (VEB BMK IHB) und dann als Hausmeister in einer Musikhochschule. Im September 1988 siedelt er – mit einem genehmigten Ausreiseantrag – in den Westen Berlins über und ist beim Deutschen Roten Kreuz tätig. Seit 2004 unterstützt er das Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläakirche in Berlin Friedrichshain.
Empfohlene Zitierweise:
Baumann, Lutz: Jugendtanz in der DDR, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/lutz-baumann-jugendtanz-in-der-ddr.html
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