Dieser Beitrag wurde von Lutz Baumann (*1953) im Jahr 2014 in Berlin verfasst.
Auszeichnung des Lehrlingskollektivs
Der wochenendliche Besuch im Rübezahl oder einem anderen Veranstaltungsort, an dem Bands auftraten, wurde mir zu dieser Zeit fast zum Lebensinhalt. Ich fieberte immer dem Wochenende entgegen. Bloß weg von Hobelbank und Lehrlingskollektiv. Mein Interesse an meinem Lehrberuf als Bautischler hielt sich in Grenzen. Ich entwickelte keine besondere Liebe zum Handwerk und über besonders geschickte Hände verfügte ich leider auch nicht. Das allerdings sehr zum Verdruss meiner Eltern. Auch meine Lehrkollegen interessierten mich nicht weiter. Ich hatte zu ihnen keinen Kontakt außerhalb der Lehrwerkstatt. Sie waren mir einfach zu angepasst. So gingen sie alle für ein Bild in der Betriebszeitung des IHB extra zum Haare schneiden, denn wir wurden am Ende des Lehrjahres Juni 1971 als bestes Lehrlingskollektiv im sozialistischen Berufswettbewerb ausgezeichnet und ein Foto von uns sollte deshalb in der Betriebszeitung erscheinen. Aber bitte nicht mit langem Haar. Ich verzichtete darauf, abgebildet zu werden, und ließ mich nicht umstimmen und so kam ich nicht mit auf das Foto.
Mit der Auszeichnung war auch eine einwöchige Reise an die Ostsee verbunden, die nicht auf den Jahresurlaub angerechnet wurde. Mit meiner Haartracht wurde ich nicht für würdig befunden als junger Bürger und Repräsentant eines sozialistischen Lehrlingskollektivs und zugleich Bewohner der Hauptstadt der DDR unter die Augen der anderen Urlauber zu treten. Ich blieb stur und ließ meine Haare so wie sie waren und mir gefielen. Ich war froh, dass ich nicht mit diesen Arschlöchern an der Ostsee unter der Aufsicht der beiden Lehrmeister zusammen sein musste. Da ging ich lieber eine Woche zur Aushilfe in die Modellbauwerkstatt ins Hauptgebäude des IHB [Ingenieurhochbau Berlin] am Alexanderplatz. Der Chefmodellbauer war in Ordnung und hatte für mein Verhalten Verständnis. Außerdem schickte er mich, da er keine Aufgabe für mich hatte, meist schon nach dem Mittag nach Hause und so trieb ich mich bis zum normalen Feierabend am Alex herum.
Zur Person
Lutz Baumann wird im Juni 1953 in Ost-Berlin geboren. Er besucht die 10-klassige polytechnische Oberschule, ist Mitglied bei den Jungpionieren und der Freien Deutschen Jugend. 1970 macht er eine Lehre als Bautischler, bevor er zwei Jahre später seinen Wehrdienst bei den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee ableistet. Von 1974 an arbeitet er als Bauarbeiter im Volkseigenen Betrieb „Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin“ (VEB BMK IHB) und dann als Hausmeister in einer Musikhochschule. Im September 1988 siedelt er – mit einem genehmigten Ausreiseantrag – in den Westen Berlins über und ist beim Deutschen Roten Kreuz tätig. Seit 2004 unterstützt er das Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläakirche in Berlin Friedrichshain.
Empfohlene Zitierweise:
Baumann, Lutz: Lehre in der DDR, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/lutz-baumann-lehre-in-der-ddr.html
Zuletzt besucht am: 02.11.2024