Dieser Beitrag wurde von Lutz Baumann (*1953) im Jahr 2014 in Berlin verfasst.
Im Februar 1970 hatten wir die Möglichkeit, in der Vereinskneipe eines Fußballklubs zu feiern. Ich weiß nicht mehr, warum, entweder habe ich mehr getanzt, weil jetzt doch mehr Mädchen da waren, jedenfalls hatte ich diesmal keinen Vollrausch. Schulpartys waren überhaupt die einzige Möglichkeit, zusammen zu kommen und nach Beatmusik zu tanzen, da kein Jugendlicher über geeignete Räumlichkeiten verfügte. Privatpartys habe ich in dieser Zeit nicht kennengelernt, das hätten die Eltern nie erlaubt. Außer mit einer Ausnahme: 1970 im August. Ich war bei meinem Schulfreund Thomas V. zum Geburtstag, da kamen in seinem Zimmer um die 10 Leute zusammen und wir tranken auch ein paar Gläser Stierblut, die sein Onkel spendierte, der Film-Kritiker bei der CDU-Zeitung „Neue Zeit“ war. Es wurde auch, soweit es überhaupt ging, in Thomas Zimmer getanzt.
Volkspolizei wird bei Eltern vorstellig
Die Musik bei diesen Feten kam vom Tonbandgerät. Ostmusik war natürlich nicht dabei, die konnte keiner ausstehen. Ich legte immer tüchtig los, wenn die Stones zu hören waren. Langsame Titel mochte ich nicht, denn da wurde eng getanzt und ich fand es irgendwie peinlich auf eng zu machen mit einem Mädchen, das nichts von einem wollte. Noch eine Ausnahme habe ich am 1. Juni 1970 erlebt. Wir waren schon fast mit unseren Prüfungen fertig und so hatten wir an diesem Vormittag im Sommer frei. Meine Mutter war noch bis 1 Uhr in ihrer Arbeitsstelle. So kam ich auf die Idee, mit einigen Mitschülern in die Wohnung meiner Eltern zu gehen. Ich glaube, drei Klassenkameradinnen waren auch dabei, ein Schulkamerad holte extra sein Tonbandgerät von zu Hause. Ich wollte natürlich die Nachbarn provozieren. Immerhin war Internationaler Kinder-Tag und so schallten in voller Lautstärke zur Mittagszeit die Rolling Stones aus dem Fenster der Parterre Wohnung meiner Eltern. Die Provokation gelang auch prompt, denn schon nach drei Titeln Stones stand die Volkspolizei vor der Tür. Wir mussten sofort die Musik ausmachen, die Namen der Anwesenden wurden notiert, meine Mitschüler [mussten] die Wohnung verlassen. Nach zwei Wochen wurde die Volkspolizei dann bei meinen Eltern vorstellig. In meinem Beisein beschwerten sich die Polizisten bei meinen Eltern darüber, dass ich immer bei den Leuten auf dem Marktplatz säße, mit Niethosen und nicht mehr so ganz weißen Tennisschuhen rumlief, zu lange Haare hätte, so was gehöre sich einfach nicht für einen jungen Menschen in der sozialistischen Gesellschaft.
Ich staunte, dass mein Vater nichts dazu sagte, sondern den VP-Leuten [Volkspolizei] erzählte, dass er selbst mal auf dem Adlershofer Polizeirevier 235 Dienst tat. Das war 1939. Nach Kriegsausbruch wurde mein Vater, da er Jahrgang 1909 war, nicht zur Wehrmacht, sondern zur Polizei eingezogen. Die Bullen nahmen daran weiter keinen Anstoß, dass er während der Nazizeit bei der Polizei war, immerhin hieß sein „Chef“ Heinrich Himmler. Dann ließ er sich den Teleskop-Gummiknüppel, den die Ostpolizisten immer hinten in ihrer Bereitschaftstasche trugen, zeigen. Da staunte ich noch mehr: Bereitwillig gab der „Bulle“ meinem Vater den Schlagstock in die Hand. Ich wurde jetzt auch nicht weiter gemaßregelt, sondern sie verließen daraufhin die elterliche Wohnung. Meine Mutter saß die ganze Zeit bei dem Schauspiel im Sessel und sagte kein Wort. Ich glaube, ihr war die ganze Aktion nur peinlich, denn sie empfand mich sowieso als missratenen Sohn.
Zur Person
Lutz Baumann wird im Juni 1953 in Ost-Berlin geboren. Er besucht die 10-klassige polytechnische Oberschule, ist Mitglied bei den Jungpionieren und der Freien Deutschen Jugend. 1970 macht er eine Lehre als Bautischler, bevor er zwei Jahre später seinen Wehrdienst bei den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee ableistet. Von 1974 an arbeitet er als Bauarbeiter im Volkseigenen Betrieb „Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin“ (VEB BMK IHB) und dann als Hausmeister in einer Musikhochschule. Im September 1988 siedelt er – mit einem genehmigten Ausreiseantrag – in den Westen Berlins über und ist beim Deutschen Roten Kreuz tätig. Seit 2004 unterstützt er das Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläakirche in Berlin Friedrichshain.
Empfohlene Zitierweise:
Baumann, Lutz: Partys in der DDR der 1970er Jahre, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/lutz-baumann-partys-in-der-ddr-der-1970er-jahre.html
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