Dieser Beitrag wurde von Norbert Prusko (*1951) 2021 verfasst.
„Meine dritte Einschulung in die erste Schulklasse“
Die Einschulung in die erste Klasse der Nikolausschule war sehr beeindruckend, denn wir waren fast 50 Kinder und wurden mit dem Hinweis, den Zeigefinger auf den Mund zu legen, […] geräuschgedämpft in Zweierreihe in das Klassenzimmer geführt. […] Ich hatte meine Erfahrung gemacht mit der Einschulung und konnte vergleichen. „Mein erster Schultag“ konnte ich in der Nikolausschule nicht sagen, denn es war meine dritte Einschulung in die erste Schulklasse.
Die Lehrer, die wir sahen, waren aus einer Generation, die kurz vor ihrer Pension stand – ausgenommen der Schulleiter, der schien etwas jünger zu sein, […] mit seinem resolutem Auftreten aus der Zeit vor dem letzten Krieg […]. Junglehrer wurden eingestellt und eine besonders sympathische Lehrerin hieß Jungmann. Es wurde bekannt gegeben, dass diese neue Einschulungsklasse geteilt wird. Gerne wäre ich lieber zu der Lehrerin in die Schulklasse gekommen, zu meinem Bedauern, ich blieb bei der alten Lehrerin hängen.
[…] Der Montag in der Nikolausschule fängt mit der Schulmesse in der Nikolauskirche an. Auf dem Schulhof wurde sich versammelt, um dann in einigermaßen geordneter Form als riesige Schulkinder-Karawane den Weg zur Kirche anzutreten. Die Schulmesse wurde abgehalten, mit einem streng durchdachten Ordnungssystem und dem Schulleiter in vorderster Front. Das war der Anfang der Schulwoche, mit Gottes Segen auf dem Weg ging es wieder zurück zur Nikolausschule. […]
Belohnungen und körperliche Züchtigung im Unterricht
[…] In der Religionslehre habe ich mich nicht gut hervorgetan und das auf einer katholischen Schule. Die Leistung in diesem Fach wurde mit viel Sorgfalt besonders belohnt, mit hochwertig gedruckten Karten und Bildern oder Fleißkärtchen, die gesammelt werden sollten, um dann angekündigte schöne Bücher zu erhalten. Im Religionsunterricht war immer etwas zu gewinnen. Das war die pädagogische Arbeit der Religionslehrerin. Kam der Pfarrer in die Klasse zum Unterricht, sah das etwas anders aus. Sehr prüfend ging er durch die Tischreihen, um zu sehen, welche Anteilnahme in der Schulklasse vorhanden war. Dann wurde auch ausgeteilt. Wenn der Pfarrer nicht die nötige Andacht von uns erfuhr, gab es die sogenannten Kopfnüsse. Mit der Faust kam ein Schlag von dem Pfarrer auf den Hinterkopf des Schülers oder das Ohrläppchen des Verdächtigten wurde langgezogen. […] Der folgende Lehrer, der unsere Schulklasse übernahm, brachte am ersten Tag seinen Rohrstock mit, um seine […] [Position] als Klassenlehrer zu unterstreichen. Sein Rohrstock kam auch gut zum Einsatz, denn manche Schüler wollten die Grenzen ihrer Freiheiten kennenlernen und testeten mit ihrer Art die Nerven des Klassenlehrers. Bei anderen Situationen im Klassenraum war die gerechte Lage für manchen beschuldigten Schüler erbärmlich, so dass die Strafe mit dem Rohrstock einfach fließend zum Unterricht vollzogen wurde. Welche Stelle zum Schlagen in die Auswahl kam, wie Rücken, Hintern und Finger, lag beim Lehrer. Man sah ihm die Erleichterung an, mit seiner Überzeugung, gerecht diese Strafen auszuführen. Aber auch diese Zeit verging allmählich und die Schulklassenordnung nahm eine gute stabile Form an, die den Zusammenhalt der Schüler in der Schulklasse förderte. […]
Aufklärungsunterricht im Kloster
[…] Zum Schulabschluss aus der achten Klasse der katholischen Nikolausschule wurde uns Schülern erklärt, dass wir für unser weiteres Leben noch eine Aufklärung brauchten. Wir hätten doch bestimmt noch viele Fragen, die im Schulunterricht nicht angesprochen worden sind. Gemeint waren Fragen zur Sexualkunde und was die eigene Sexualität betrifft. Das Frühjahr kam und zu diesem Thema fuhren wir mit einem Reisebus, nur für die Abschlussklasse reserviert, an den Niederrhein zu einem Kloster. Hier war also der Ort, an dem uns diese Aufklärung für unser weiteres Leben vermittelt werden sollte. Wir waren alle gespannt, wie es geschehen sollte und auf welche gutgemeinte Weise, denn kein vertrauter Lehrer war bei dieser Fahrt anwesend. Die Stimmung war gut und wir wurden wie eine Reisegesellschaft in die Räumlichkeiten eingeführt. Ich erwartete aus dieser Stimmung einen weihevollen Schulterschlag mit dieser Veranstaltung. Zu dem Aufklärungsvorgang wurde die Schulabgangsklasse in einen großen Raum geführt, unter der Leitung eines Priesters. Wir saßen durch die Raumgröße mit gutem Abstand zu jedem anderen Schüler gleichmäßig verteilt im Raum, wie bei einer strengen Prüfung und dann kam die Ansprache an uns. Wir dürften jetzt alles sagen, was uns emotional bewegt und vielleicht Worte benutzen, die wir in der Öffentlichkeit nicht aussprechen würden, alle Fragen zum Sex und zur Sexualität stellen, der Priester würde alle Fragen beantworten, um so eine Erklärung zu erhalten. Da saßen wir, schon sehr beschämt, nicht auf diese Situation vorbereitet, vielleicht war es auch von der Schulleitung so gewollt, einfach draufloszureden. Es wurden Fragen gestellt, mit dem Gefühl, dass man doch irgendeinen Beitrag liefern sollte. Die Erklärungen wurden von dem Priester ebenso sachlich wie die Fragen, die zu diesem Thema kamen, abgehandelt. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit, da dieser Frage- und Antwortablauf immer mehr ins Stocken kam, wurde diese wichtige Angelegenheit mit netten Worten des Priesters abgeschlossen. Was zurück blieb von unserer Sexualaufklärung, war die Erinnerung an eine schöne Klassenfahrt, die erste und einzige, mit vielen kleinen Nebensächlichkeiten, die das Hauptthema dieser Fahrt farblos aussehen ließ. […]
Zur Person
Norbert Prusko wird am 15. Juli 1951 im oberschlesischen Mikultschütz (Mikulczyce) im heutigen Polen geboren. Kurz vor seiner Einschulung siedelt seine Familie 1957 nach Möringen bei Stendal in die DDR über. Im Jahr darauf zieht die Familie nach Gelsenkirchen, ehe sie im gleichen Jahr in der Bergbausiedlung am Schacht 6 der Zeche Zollverein in Essen-Stoppenberg sesshaft wird. Von 1958 bis 1966 besucht er die dortige Nikolausschule. Nach dem Abschluss der Volksschule macht er eine Ausbildung zum Nachschneider und ist fast 30 Jahre in der grafischen Industrie tätig. Anschließend macht er sich in diesem Berufsfeld selbstständig und absolviert in diesem Zusammenhang Mitte der 1990er-Jahre verschiedene Weiterbildungen im Multimediabereich. Parallel dazu gestaltet er zwischen 1999 und 2014 sowohl alleine als auch gemeinsam mit anderen Künstlerinnen und Künstlern verschiedene Kunst- und Fotoausstellungen in Münster, Essen und Krefeld. Heute lebt er in Münster. Auf LeMO berichtet Norbert Prusko von seiner Kindheit in der Bergbausiedlung in Essen-Stoppenberg und seiner Schulzeit in den 1950er- und 1960er-Jahren.
Empfohlene Zitierweise:
Prusko, Norbert: Meine Schulzeit in der Nikolausschule in Essen-Stoppenberg, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL:http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/norbert-prusko-meine-schulzeit-in-der-nikolausschule-in-essen-stoppenberg.html
Zuletzt besucht am: 05.11.2024