Dieser Beitrag wurde von Ulrich Birth aus Dresden verfasst.
Budapest
Budapest war für uns DDR-Bürger die größte und westlichste Stadt, die wir erreichen konnten und hatte deshalb ihren besonderen Reiz für uns. Es gab Originaljeans (Levis, Wrangler) und Schallplatten von Bands, die in der DDR nicht aufgelegt wurden (Frank Zappa, Gentle Giant, Santana, Woodstock ...), aber auch all das, was in den TOP TEN der siebziger und achtziger Jahre lief. Es gab wunderbare Thermalbäder und eine wunderschöne Markthalle mit einem Angebot an Obst und Gemüse, wie wir es uns nur erträumen konnten. All dies kostete natürlich viel Geld, mehr als es dem Preisgefüge der DDR entsprach, und zudem war die tauschbare Menge an Forint pro Jahr begrenzt, und dies ziemlich stark. Entweder es wurde über mehrere Jahre getauscht und gespart oder es wurden Freunde und Verwandte gebeten, auch Geld zu tauschen, um so die Reisekasse zu verbessern. Um Geld zu sparen, schliefen viele der jungen Ostblocktouristen auf den Bahnhöfen, auf den Donauinseln oder in den Budaer Bergen. Dies ging gut, da die Nächte in Budapest im Sommer sehr lau sind und in der Regel auch trocken. Das Geld, das nicht in Zeltplätze, welche zur Genüge da waren, oder andere Übernachtungsmöglichkeiten investiert wurde, konnte in Hosen, Platten etc. umgesetzt werden. Die Stadtverwaltung Budapest konnte sich mit den im Freien Schlafenden nicht so recht anfreunden, weil ja auch eine ganze Menge Unrat zurückblieb. So wurde dann das Lager "Saturn" eingerichtet, um den Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, kostenlos übernachten zu können. Wer nicht freiwillig in das Lager ging und doch lieber im Stadtgebiet schlief, wurde auch schon mal per Razzia aufgegriffen und per LKW ins Saturn gebracht.
Lagerzeiten
Der Nachteil des Lagers war, das es immer nur für eine Nacht von 17.00 bis 7.00 Uhr genutzt werden durfte. Dies bedeutete also, jeden Tag Zelt aufbauen und abbauen, oder man schlief mit dem eigenen Schlafsack auf einem Strohlager in den aufgestellten Großraumzelten. Wenn man das Lager betrat, wurde einem der Ausweis abgenommen und man bekam eine Marke aus Karton mit einer Nummer: Der Ausweis für eine Nacht. Es war komisch, aber nicht dramatisch. Für uns als Bürger aus Staaten mit totalitären Systemen halt relativ normal, man nahm es in Kauf. Dies ist ein Splitter aus Erinnerungen unserer Reisen, die neben diesen "Merkwürdigkeiten" aber auch sehr viel Schönes brachten.
Empfohlene Zitierweise:
Birth, Ulrich: Trampen in sozialistischen Ländern, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/ulrich-birth.html
Zuletzt besucht am: 05.11.2024