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Volker Dierschke: Tränenpalast

Dieser Eintrag stammt von Volker Dierschke aus Schulzendorf, aufgenommen im Juli 2012.

Dieser Beitrag entstand anlässlich der Erinnerung an den Bau des Tränenpalastes vor 50 Jahren. Im Juli 2012 lud die Stiftung Haus der Geschichte Zeitzeugen ein, um ihre persönliche Geschichte im Zusammenhang mit der Grenzübergangstelle zwischen Ost- und West-Berlin zu hören und zu sammeln.

Meine Erlebnisse im Tränenpalast

Vorwegschicken muss ich, dass die Erlebnisse in eine Zeit fielen, wo ich noch in den Vierzigern war, also noch kein Rentner. Meine Eltern waren 1981 als Rentner nach Westberlin übergesiedelt, ich - als Sohn und Verwandter ersten Grades - durfte sie zu besonderen Anlässen besuchen.

Erlebnis Nr. 1:

Meine Mutter erkrankte schwer und ging auf Anraten der Ärzte nach Hamburg in ein Krankenhaus. Ich reichte einen Antrag für den Besuch in Hamburg ein und durfte für 4 Tage fahren. Der Zug fuhr von Friedrichstraße und ich musste somit durch den Tränenpalast. Gerade an diesem Tag gab es Schwierigkeiten mit dem S-Bahnverkehr. Ich kam mit Verspätung an und mir blieb für den Übergang nur eine halbe Stunde. Angekommen am Palast, traute ich meinen Augen nicht: Hunderte von Menschen, die vor der Kontrolle warteten. Ich drückte mich durch die Massen und zog somit viel Ärgernis auf mich. Einen Grenzer, der nun zufällig neben mir stand, unterrichtete ich von meinem Riesenproblem, dass ich nur noch 20 Minuten bis zur Abfahrt des Interzonenzuges hatte. Er hörte mich ruhig an und deutete mir, ihm zu folgen. Ich drängelte mich mit seiner Hilfe zu einem am Ende des Raumes befindlichen Durchgang, einem Sonderdurchlass - wahrscheinlich für Diplomaten (dies war übrigens ein Durchgang ohne die beiden Türen, die bei der Passkontrolle hinter und vor einem zuschnappten).Ich schaffte meinen Zug, was ich nie für möglich gehalten hatte. So erlebte ich in all der Tragik deutscher Teilung eine kleine positive Geste.

Erlebnis Nr. 2:

In den späten 80er Jahren konnte ich aufgrund der Krankheit meiner Mutter ein Dauervisum beantragen, d.h. ich durfte in einem halben Jahr 30 Mal ohne Einzelgenehmigung von Arbeitsstelle und Polizei meine Mutter in Westberlin besuchen. Nun muss man sagen, dass wenn man vor dem Grenzübergang im Tränenpalast wartete, die Halle mit 98% Rentnern gefüllt war und alle hatten große leere Taschen in der Hand für umfangreiche Einkäufe für Verwandte und Bekannte. Ich nahm einmal keine Tasche mit, ich wollte nur meine Mutter besuchen. Dieser Umstand war für meinen kontrollierenden Grenzer suspekt, ein relativ junger Mann ohne Einkaufstasche? Er nahm mich mit in einen separaten Raum und ich musste mich bis auf die Unterhose ausziehen. Man fand natürlich nichts und es blieb beim Wundern. Seitdem hatte ich immer eine Tasche mit, auch wenn ich nichts einkaufen oder mitbringen wollte.

Erlebnis Nr. 3:

Als ich wieder einmal von meinen Eltern, dieses Mal aber voll bepackt, zurück zum Grenzübergang Friedrichstraße kam und ich durch die Zollkontrolle musste, war Gründlichkeit der Taschenüberprüfung angesagt. Ich wusste nun nicht, dass mir meine Mutter eine Fernsehzeitschrift, die wir im Osten so dringend brauchten, eingepackt hatte. Bedrucktes Material war aber strengstens verboten! Der Zöllner hielt sie mir vor die Nase und wies auf einen abseits stehenden Container, in den ich die Zeitschrift versenken sollte. Ich versprach es, ging zum Behälter, kramte noch ein wenig in meiner Tasche und beobachtete den Zollbeamten aus den Augenwinkeln. Er kontrollierte nun den Nächsten, ich legte die Zeitung unter Herzklopfen zurück in meine Tasche und verließ schnellstens den Tränenpalast. Das funktionierte ab nun immer so.

Empfohlene Zitierweise:
Dierschke, Volker: Meine Erlebnisse im Tränenpalast, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/lemo/zeitzeugen/volker-dierschke-traenenpalast.html
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