Hans-Dietrich Genscher 1927 - 2016

Hans-Dietrich Genscher ist ein deutscher Politiker, der insgesamt 23 Jahre lang unter den Bundeskanzlern Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl Bundesminister sowie Vizekanzler ist. Nach seinem Eintritt in die FDP 1952 macht der Rechtsanwalt dort Karriere. Als Außenminister setzt er sich für eine Entspannung des Verhältnisses zur UdSSR, für ein Zusammenwachsen der Europäischen Gemeinschaft sowie für die Wiedervereinigung Deutschlands ein.

  • 1927

    21. März: Hans-Dietrich Genscher wird als Sohn von Kurt Genscher, eines Syndikus des Landwirtschaftsverbandes, und seiner Frau Hilda (Geburtsname: Kreime) in Reideburg/Saalkreis geboren.

  • 1933

    Umzug der Familie Genscher nach Halle an der Saale.

  • 1937

    Tod des Vaters.

  • ab 1937

    Besuch des Realgymnasiums in Halle.

  • ab 1942

    Mitgliedschaft in der Hilterjugend (HJ).

  • 1943/44

    Genscher wird Flakhelfer und später zum Reichsarbeitsdienst eingezogen.

  • 1945

    Noch in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges meldet er sich freiwillig zur Wehrmacht. Er gerät zuerst in amerikanische, anschließend in britische Gefangenschaft.

  • 1946

    Abitur an der Friedrich-Nietzsche-Oberschule in Halle. Eintritt in die Liberal-Demokratische Partei (LDPD).

  • 1946-1949

    Studium der Rechtswissenschaften in Halle und in Leipzig.

  • 1949-1952

    Erste juristische Staatsprüfung in Leipzig und anschließend Referendar im Oberlandesgerichtsbezirk Halle.

  • 1952

    Genscher verlässt die DDR und siedelt in die Bundesrepublik nach Bremen über.

    Eintritt in die Freie Demokratische Partei (FDP).

  • 1952-1954

    Arbeit als Referendar im Oberlandesgerichtsbezirk Bremen. Abschluss der Ausbildung mit der zweiten juristischen Staatsprüfung in Hamburg.

  • 1954

    Wahl zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der Jungdemokraten in Bremen.

  • 1954-1956

    Anwaltsassessor und Rechtsanwalt in Bremen.

  • 1956-1959

    Wissenschaftlicher Assistent der Bundestagsfraktion der FDP in Bonn.

  • 1958-1966

    Verheiratet mit Luise Schweitzer. Die beiden haben zusammen eine Tochter.

  • 1959-1965

    Fraktionsgeschäftsführer der FDP im Bundestag, ab 1962 gleichzeitig Bundesgeschäftsführer der FDP.

  • 1965-1969

    Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.

  • 1965-1998

    Mitglied des Bundestages.

  • 1966

    Mitglied des Landesvorstandes der FDP von Nordrhein-Westfalen.

  • 1968-1974

    Stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender.

  • 1969-1974

    Bundesminister des Inneren im ersten und zweiten Kabinett der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt.

  • 1969

    24./25. Juli: Genscher reist zusammen mit Walter Scheel und Wolfgang Mischnick (1921-2002) zu Gesprächen mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Alexej N. Kossygin (1904-1980) nach Moskau.

    Oktober: Heirat mit Barbara Schmidt.

  • 1972

    5. September: Im Olympischen Dorf in München nehmen palästinensische Terroristen elf Menschen aus der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Sie fordern unter anderem die Freilassung hunderter Palästinenser aus israelischen Gefängnissen. Genscher verhandelt im Auftrag der Bundesregierung mit den Terroristen. Die Geiselnahme endet mit einem missglückten Befreiungsversuch. Ein Polizist und fünf der Terroristen werden getötet, keiner der elf Israelis überlebt die Geiselnahme.

    13. September: Genscher teilt mit, dass eine Spezialtruppe des Bundesgrenzschutzes (GSG 9) aufgestellt werden soll, um auf Terroranschläge, wie bei den Olympischen Spielen in München, reagieren zu können.

  • 1974

    Genscher beteiligt sich maßgeblich an den Verhandlungen über den Text der KSZE-Schlussakte in Helsinki.

  • 1974-1982

    Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler im dritten, vierten und fünften Kabinett der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt.

    Genscher steht für eine Ausgleichspolitik zwischen Ost und West und entwickelt eigene Strategien für eine aktive Entspannungspolitik.

  • 1974-1985

    Bundesvorsitzender der FDP als Nachfolger von Walter Scheel.

    1985 verzichtet Genscher auf das Amt des Bundesvorsitzenden und schlägt Martin Bangemann (geb. 1934) als seinen Nachfolger vor.

  • 1975

    Auszeichnung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband.

  • 1976

    Dezember: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York nimmt den Vorschlag von Genscher über eine Anti-Terrorismus-Konvention an. Darin wird unter anderem festgelegt, auf Forderungen von Geiselnehmern unter keinen Umständen einzugehen.

  • 1980

    30. Juni-1. Juli: Bundeskanzler Schmidt und Genscher reisen zu Gesprächen nach Moskau. Die sowjetische Führung erklärt sich bereit, über die vom NATO-Doppelbeschluss vorgesehene Begrenzung der Mittelstreckenwaffen (Intermediate Nuclear Forces/INF) mit den USA zu verhandeln.

  • 1982

    Nach dem Austritt der FDP-Mitglieder aus dem Kabinett Schmidt tritt Genscher - ungeachtet der Proteste des linksliberalen Flügels der FDP - für Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU ein. Genscher unterstützt das konstruktive Misstrauensvotum gegen Schmidt und setzt sich für den Kanzlerwechsel ein.

  • 1982-1992

    Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler im ersten, zweiten und dritten Kabinett der christlich-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl.

    Zu seinen erklärten Zielen zählen die Weiterführung der Entspannungspolitik und des Ost-West-Dialogs mit der sich wandelnden UdSSR, sowie das Zusammenwachsen der EG.

    Besonders ab 1987 wirbt Genscher für eine "aktive Entspannungspolitik" als Antwort des Westens auf die sowjetischen Bemühungen.

  • 1984

    21. Juli: Genscher trifft zu einem zweitägigen Besuch in der iranischen Hauptstadt Teheran ein. Genschers Besuch, der erste eines westeuropäischen Außenministers seit der islamischen Revolution von 1979, stößt vielfach auf Kritik.

  • 1984-1985

    Präsident des NATO-Rates und Präsident des Ministerrates der Westeuropäischen Union.

  • 1986

    Auszeichnung mit dem Großkreuz der französischen Ehrenlegion.

  • 1988

    Januar: Genscher trifft im Rahmen seines Polenbesuchs mit dem Vorsitzenden der verbotenen Gewerkschaft "Solidarnosc", Lech Walesa (geb. 1943), zusammen.

    In dem Gespräch sichert Genscher der polnischen Opposition Unterstützung bei ihrem Eintreten für demokratische Reformen zu.

    Februar: In einer Rede vor der in Genf tagenden UN-Abrüstungskonferenz fordert Genscher ein weltweites Verbot chemischer Waffen.

  • 1989

    Einsatz für eine wirksame Unterstützung der politischen Reformprozesse in Polen und Ungarn.

    30. September: Genscher verkündet nach Verhandlungen mit Vertretern Ost-Berlins und Prags, dass alle DDR-Flüchtlinge, die sich in den deutschen Botschaften in Prag und Warschau befinden, ausreisen dürfen.

    23. Dezember: Genscher und sein tschechoslowakischer Amtskollege Jiri Dienstbier (1937-2011) schneiden in einem symbolischen Akt den Grenzzaun zwischen beiden Staaten am Übergang Waidhaus-Roßhaupt durch.

  • 1990

    Genscher beteiligt sich an dem ersten (Bonn), zweiten (Berlin) und dritten (Paris) Außenministertreffen der "2 + 4"-Gespräche über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit.

    November: In Warschau unterzeichnen Genscher und sein polnischer Amtskollege Krzysztof Skubiszewski (1926-2010) den deutsch-polnischen Grenzvertrag über die Festlegung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze.

  • 1991

    Infolge der Bemühungen Genschers ist Deutschland das erste EG-Land, das Slowenien und Kroatien anerkennt.

  • 1992

    Auf eigenen Wunsch Rücktritt als Außenminister und Vizekanzler.

    Ernennung zum Ehrenvorsitzenden der FDP.

    Wahl zum Präsidenten der Europäischen Bewegung Deutschland.

    Verleihung des Großen Verdienstkreuzes Polens und Ungarns.

  • 1994

    Es wird bekannt, dass eine NSDAP-Mitgliedskarte von Genscher existiert. Er erklärt daraufhin, die Aufnahme in die Partei sei kollektiv und ohne sein Wissen erfolgt. Genscher erfährt bereits Anfang der 1970er Jahre, dass die Mitgliedskarte in einem amerikanischen Dokumentationszentrum in Berlin liegt.

  • 1994/95

    Honorarprofessor am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU Berlin.

  • 1998

    April: Genscher hält seine Abschiedsrede im Bundestag und wird mit stehendem Applaus aller Parteien verabschiedet.

  • 1998-2004

    Aufsichtsratsvorsitzender der WMP EUROCOM AG Berlin (Kommunikationsberatung in den Bereichen Wirtschaft, Medien und Politik).

  • 1999

    Wiederaufnahme der anwaltlichen Tätigkeit in der Sozietät Büsing, Müffelmann & Theye, Büro Berlin.

  • 2000

    Gründung der Hans-Dietrich Genscher Consult GmbH, seitdem geschäftsführender Gesellschafter.

  • 2001

    Genscher ist Schlichter im Tarifstreit der Deutschen Lufthansa mit ihren Piloten.

  • 2001-2003

    Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

  • 2002

    Ehrendoktorwürde der Universität Stettin.

  • 2003

    Genscher erhält die Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig.

    Ehrenmitglied des "Club of Budapest", einer Nichtregierungsorganisation, die sich für ganzheitliches, global verantwortliches Denken einsetzt.

    Genscher gehört zu den 17 ehemaligen europäischen Spitzenpolitikern, die nach dem Irak-Krieg in einem offenen Brief zur Einigkeit mit den USA aufrufen.

  • 2004

    Verleihung des Erich-Kästner-Preises.

  • 2006

    Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung.

  • 2008

    21. Oktober: Genscher ist erster Empfänger des neuen Walther-Rathenau-Preises. Er erhält die Auszeichnung für sein außenpolitisches Lebenswerk und seine Rolle als Architekt der deutschen Wiedervereinigung. Die Laudatio in Berlin hält Bundeskanzlerin Angela Merkel.

  • 2010

    11. November: Beim Burda-Medienpreis wird Genscher für sein Lebenswerk mit dem Millenniums-Bambi ausgezeichnet. Dies ist die wichtigste und höchste Auszeichnung der Preisverleihung.

  • 2012

    Genscher eröffnet in seinem Geburtshaus in Halle-Reideburg die Dauerausstellung zur Teilung und Einheit Deutschlands, die in der „Bildungs- und Begegnungsstätte Deutsche Einheit“ von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung betrieben wird.

  • 2013

    20. Dezember: Der 2005 verurteilte russische Oligarch und Kreml-Kritiker Michail Chodorkowskij wird von Präsident Putin begnadigt. Genscher hatte sich für die Freilassung des Regierungskritikers eingesetzt und hinter den Kulissen mit dem russischen Präsidenten verhandelt.

  • 2015

    2. Oktober: Anlässlich des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit bekommt Genscher den Kulturpreis für sein politisches Lebenswerk von der Europäischen Kulturstiftung Pro Europa verliehen.

  • 2016

    1. April: Genschers Büro gibt bekannt, dass der Politiker in der Nacht zuvor im Alter von 89 Jahren in Wachtberg bei Bonn an Herz-Kreislauf-Versagen gestorben ist.

 

(iz/reh/se) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 14.03.2022
Text: CC BY NC SA 4.0

Empfohlene Zitierweise:
Zündorf, Irmgard/Haunhorst, Regina/Eimermacher, Stefanie: Biografie Hans-Dietrich Genscher, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/biografie/hans-dietrich-genscher.html
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