Otto Schily ist ein deutscher Jurist und Politiker. Schily wird als Anwalt verschiedener RAF-Mitglieder bekannt und betätigt sich als Bürgerrechtler. Er ist Gründungsmitglied der Partei „Die Grünen“, wechselt 1989 jedoch zur SPD. Als Innenminister (1998-2005) in der rot-grünen Koalition setzt sich Schily für eine verschärfte Sicherheits- und Überwachungspolitik in Deutschland ein.
- 1932
20. Juli: Otto Georg Schily wird in Bochum als Sohn des Hüttendirektors Dr. phil. Franz Schily geboren.
- 1941
Nationalsozialisten beschlagnahmen Bücher der Eltern, die als Anthroposophen bekannt sind.
- 1962
Zweites Staatsexamen nach dem Studium der Rechtswissenschaften in München und Hamburg sowie der Politikwissenschaften an der Hochschule für Politik in Berlin.
Schily engagiert sich politisch, steht dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) nahe und freundet sich mit Rudi Dutschke und Horst Mahler an.
- 1963
Eröffnung einer eigenen Anwaltspraxis.
- 1971
Schily verteidigt Horst Mahler, der auf Grund seiner Kontakte zur Roten Armee Fraktion (RAF) vor Gericht steht. Schily lehnt das Schwurgericht wegen Befangenheit ab und beantragt, das Verfahren einzustellen.
- 1975-1977
Im Stammheim-Prozess ist Schily als Vertrauensanwalt von Gudrun Ensslin der einzige nicht entpflichtete Anwalt. Noch Jahre später muss Schily versichern, sich nicht mit den Zielen der RAF zu identifizieren, und sich gegen den Vorwurf wehren, er habe die Terroristen in Stammheim aktiv unterstützt.
- 1980
Eintritt in die Partei Die Grünen.
- 1981
Kandidatur bei den Kommunalwahlen in West-Berlin für die Grünen.
- 1983-1986
Mitglied des Bundestages für Die Grünen. 1983 wird Schily neben Petra Kelly und Marieluise Beck (geb. 1952) Mitglied des "Sprecherrates" der Grünen Bundestagsfraktion. Infolge der Ämterrotation verzichten die drei 1984 auf eine weitere Kandidatur für den Sprecherrat.
Schily gilt als "Realo" innerhalb der Grünen. So empfiehlt er seiner Partei für die Zeit nach der Bundestagswahl 1987 auf ein Bündnis mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) hinzuarbeiten. Außerdem spricht er sich für die Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols aus. Beide Äußerungen stoßen bei den "Fundamentalisten" der Partei auf heftigen Widerstand.
- 1985
Die Partei der Grünen ist in der Frage der Koalitionsbereitschaft mit anderen Parteien gespalten. In Hessen bilden die Grünen eine Regierungskoalition mit der SPD. Die sogenannten Fundamentalisten um Petra Kelly lehnen dies ab, sie wollen keine Beteiligung an politischer Macht, die mit Kompromissen verbunden wäre. Realpolitiker wie Joschka Fischer und Schily hingegen wollen im Rahmen der parlamentarischen Demokratie "grüne" Vorstellungen verwirklichen. Bevorzugter Bündnispartner ist dabei die SPD. Zunehmend setzt sich der Kurs der "Realos" in der neuen Partei durch.
- 1986
Januar: Schily stellt Strafanzeige gegen Bundeskanzler Helmut Kohl wegen des Verdachts der Falschaussage vor den Untersuchungsausschüssen im Bundestag und im Mainzer Landtag zur Parteispenden-Affäre.
Am 20. Februar nimmt die Koblenzer Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Bundeskanzler auf, das am 20. Mai aus Mangel an Beweisen wieder eingestellt wird.
Veröffentlichung der Abhandlungen "Vom Zustand der Republik" und "Politik in bar. Flick und die Verfassung der Republik".
- 1987-1989
Schily ist erneut für die Grünen Mitglied des Bundestages. Nach den schlechten Wahlergebnissen 1987 bei den Landtagswahlen in Hamburg und Rheinland-Pfalz und dem Scheitern der rot-grünen Koalition in Hessen verschärfen sich die innerparteilichen Auseinandersetzungen zwischen den "Fundamentalisten" und den "Realpolitikern" um Joschka Fischer und Schily. Nach einer Auseinandersetzung auf dem Parteitag in Oldenburg äußert Schily erstmals den Gedanken, aus der Partei auszutreten.
- 1989
Schily kandidiert für den neuen Fraktionsvorstand der Grünen, wird aber nicht gewählt.
Parteiintern kann er sich mit seinen Vorstellungen einer rot-grünen Reformkoalition für die Bundestagswahl 1990 nicht durchsetzen.
November: Schily tritt bei den Grünen aus und legt sein Bundestagsmandat nieder. Anschließend wird er Mitglied der SPD.
- 1990 bis 1994
Mitglied des Bundestages für die SPD. In der ersten Legislaturperiode stellt die Presse fest, dass sich Schily eher zurückhält und kaum als Redner im Bundestag in Erscheinung tritt.
Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft sowie des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Bundestages.
Veröffentlichung der Schrift "Natur und Geld. Um die Finanzierung lebenswichtiger ökologischer Projekte" (1990).
- 1992
Schily übernimmt die Verteidigung des wegen Wahlfälschung angeklagten Dresdner Oberbürgermeisters Wolfgang Berghofer (geb. 1943).
- 1993-1994
Vorsitzender des Treuhand-Untersuchungsausschusses des Bundestages.
- 1994
Januar: Schily übt Kritik an der Praxis der Treuhandanstalt sowie der Bundesregierung, Akten über die Privatisierung ostdeutscher Unternehmen geheimzuhalten.
Veröffentlichung der Schrift "Flora, Fauna und Finanzen".
- 1994-1998
Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
Schily ist für die Koordinierung der Innen- und Rechtspolitik in der Fraktion verantwortlich.
Ordentliches Mitglied im Vermittlungsausschuss, im Richterwahlausschuss, im Wahlausschuss für die im Bundestag zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichtes und stellvertretendes Mitglied im Innen- und Rechtsausschuss.
- 1998
27. September: Bei der Bundestagswahl erreicht die SPD 40,9 Prozent der Stimmen und Bündnis 90/Die Grünen 6,7 Prozent. Damit erringen sie zusammen die absolute Mehrheit der Mandate.
27. Oktober: Gerhard Schröder (SPD) wird vom Bundestag zum siebten deutschen Bundeskanzler gewählt. Schily übernimmt das Bundesinnenministerium im neuen Kabinett der rot-grünen Koalition.
November: Schily äußert die Meinung, die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands sei im Hinblick auf die Zuwanderung von Ausländern überschritten.
- 1999
Februar: Schily leitet die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften über die Tarife im Öffentlichen Dienst in Deutschland.
März: Die Partei- und Fraktionsführung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Freier Demokratischer Partei (FDP) einigen sich auf Änderungen im Staatsbürgerschaftsrecht. Die Einigung mit der FDP ist auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat erforderlich. Schily führt die abschließenden Verhandlungen mit Vertretern der FDP.
Mai: Der Bundestag verabschiedet eine Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Dieses sieht unter anderem vor, dass in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, sich jedoch spätestens mit dem 23. Lebensjahr für eine ihrer beiden Staatsbürgerschaften entscheiden müssen. Schily begrüßt den Kompromiss als einen Schritt von historischer Dimension.
September: Nach einem Besuch im Kosovo plädiert Schily dafür, mit der Rückführung der rund 180.000 in Deutschland lebenden Kosovo-Albaner zu beginnen.
November: Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (geb. 1952), kritisiert Schilys Äußerung, 97 Prozent der Asylbewerber seien Wirtschaftsflüchtlinge.
November: Schilys Forderung, die Einkommenszuwächse der Beamten auf einen Inflationsausgleich zu beschränken, stößt auf heftige Kritik des Deutschen Beamtenbundes.
Dezember: Die Bundesregierung beschließt auf Schilys Vorschlag ein Modernisierungsprogramm der Bundesverwaltung.
- 2000
23. Mai: Angesichts der steigenden Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten ruft Schily gemeinsam mit Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin ein "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" ins Leben.
- 2001
Juni: Schily erhält den Bayerischen Verdienstorden.
19. September: Nach den Anschlägen in New York und Washington lässt Schily als oberster Dienstherr der Polizei Sicherheitskonzepte für die Zukunft ausarbeiten. Die Bundesregierung beschließt in einem ersten Aktionspaket eine verbesserte Ausstattung der Geheimdienste, des Bundesgrenzschutzes (BGS), des Katastrophenschutzes und der Bundeswehr. Ferner wird das Religionsprivileg im Vereinsrecht gestrichen und die Unterstützung ausländischer krimineller Vereinigungen unter Strafe gestellt.
Dezember: Schily lässt die Vereinigung "Kalifatsstaat" des Türken Metin Kaplan verbieten und deren Vermögen einziehen.
Ein zweites Anti-Terror-Gesetzespaket gibt Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden erweiterte Befugnisse und sieht schärfere Bestimmungen bei der Einreise von Ausländern vor.
- 2002
Mai: Im Verfassungsschutzbericht warnt Schily vor den Aktivitäten extremistischer und terroristischer Gruppen und erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Die Äußerungen einiger Parteifunktionäre bieten nach seiner Ansicht Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen und somit Anlass zur Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz.
September: Schily lässt 16 dem "Kalifatsstaat" zugerechnete Vereine und Organisationen verbieten und ihr Vermögen beschlagnahmen.
Nach dem erneuten Wahlsieg der rot-grünen Koalition bleibt Schily Bundesinnenminister.
- 2003
18. März: Das Bundesverfassungsgericht stellt das NPD-Verbotsverfahren ein, nachdem sich herausgestellt hat, dass einer der wichtigsten Zeugen, ein Mitglied des Bundesvorstands der NPD, als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet hatte. Schily, dem als Innenminister der Verfassungsschutz untersteht, räumt Versäumnisse ein, weist aber Rücktrittsforderungen zurück.
- 2004
Mit dem Ziel einer effektiveren Terrorismusbekämpfung beschließt das Innenministerium den Umzug der wichtigsten Abteilungen des Bundeskriminalamtes (BKA) von Bonn und Wiesbaden nach Berlin. Der Beschluss wird später wieder zurückgenommen.
Schilys Vorschläge zur Einführung einer Sicherungshaft für potentiell gefährliche Ausländer und zur Errichtung von Auffanglagern für Asylbewerber in Nordafrika stoßen auf die Kritik des grünen Koalitionspartners.
Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes.
- 2005
April: Schily gerät in Konflikt mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar (Grüne). Dieser bekundet im April Zweifel an der Berücksichtigung des Datenschutzes bei der Einführung biometrischer Pässe und weitreichender Anti-Terrorgesetze. Schily wirft Schaar daraufhin „Amtsmissbrauch“ vor, welcher von vielen Seiten als Angriff auf die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten gewertet wird.
Der biometrische Reisepass wird im Juni des Jahres vom Bundeskabinett zugelassen.
Oktober: Schily gerät erneut in die Schlagzeilen, als er die Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins „Cicero“ durch den Staat verteidigt. Die „Cicero-Razzia“ wird später vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft.
Schily erhält daraufhin den von verschiedenen unabhängigen Organisationen, wie dem Verein „digitalcourage“ und dem „Chaos Computer Club e.V.“ verliehenen Negativpreis „Big Brother Award“ für den „Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte“.
September/Oktober: Nach der vorgezogenen Bundestagswahl vom 18. September 2005 einigen sich Union und SPD auf eine große Koalition. Schily verliert daraufhin sein Amt als Innenminister an Wolfgang Schäuble (CDU). Auch das von ihm avisierte Amt des Außenministers erhält Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Am 18. Oktober eröffnet Schily, der über die Landesliste Bundestagsabgeordneter blieb, als Alterspräsident den 16. Deutschen Bundestag und tritt zudem dem Auswärtigen Ausschuss bei.
November: Schily steigt in das Radiogeschäft ein und kauft mit einer Investorengruppe 60 Prozent der Berliner Power Radio GmbH. Das Unternehmen meldet 2010 Insolvenz an.
- 2006
Schily eröffnet als Nachfolgerin seiner Anwaltskanzlei "Otto Schily Rechtsanwaltsgesellschaft" die "Tressa Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH" zur Verwaltung von Unternehmensbeteiligungen sowie anderer Vermögenswerte. Über die Firma erwirbt Schily unter anderem die Berliner Unternehmens- und Finanzberatungsfirma „Ombrone Consulting“.
Februar: Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht stoppt das von Schily auf den Weg gebrachte umstrittene Luftsicherheitsgesetz. Dieses hätte im Fall einer terroristischen Entführung von Passagiermaschinen einen Abschuss des Flugzeugs ermöglicht. Ebenso wird die sogenannte „Rasterfahndung“, die Schily im Oktober 2001 eingeführt hat, stark eingeschränkt.
September: Zum fünften Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September fordert Schily die USA auf, sich im Kampf gegen den Terror nicht bloß auf militärische Mittel zu verlassen, sondern sich auch geistig und politisch mit den Ursachen terroristischer Gewalt zu beschäftigen.
Schily übernimmt Aufsichtsratsmandate bei zwei Unternehmen aus der Biometrie-Branche. Da Schily sich als Innenminister stark für die Einführung biometrischer Technologie für Ausweisdokumente eingesetzt hatte, lösen diese Aufsichtsratsposten scharfe Kritik aus.
Eines der Biometrie-Unternehmen muss im März 2011 Insolvenz anmelden.
- 2007
Schily gründet die Unternehmensberatungsfirma "German Consult GmbH".
- 2008
Schily klagt gegen die Verpflichtung zur Offenlegung von Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten. Schily ist vom Bundestagpräsidium aufgrund seiner Weigerung, über seine Einkünfte als Rechtsanwalt Auskunft zu geben, zu einem Bußgeld von 22.000 Euro verpflichtet worden. Mit der Klage hat Schily insofern Erfolg, als das Bundesverwaltungsgericht das Ordnungsgeld im September aufhebt, der Pflichtverstoß Schilys jedoch bestehen bleibt.
- 2009
Wie schon im Mai 2008 angekündigt, tritt Schily bei der Bundestagswahl im September nicht mehr an.
- 2011
Juni: Schily wird Mitglied im Beirat der Nachrichtenagentur dapd.
- 2014
5. Dezember: Schily ist zusammen mit über 60 Personen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien Unterzeichner eines Appells unter der Überschrift "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen“. In dem Dokument wird vor einem Krieg mit Russland gewarnt und eine neue Entspannungspolitik für Europa gefordert. Unterzeichner sind unter anderem Roman Herzog, Gerhard Schröder, Lothar de Maizière, Margot Käßmann und Wim Wenders.
(iz/reh/lb/se) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 23.06.2016
Text: CC BY NC SA 4.0
Empfohlene Zitierweise:
Zündorf, Irmgard/Haunhorst, Regina/Blume, Dorlis/Eimermacher, Stefanie: Biografie Otto Schily, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/biografie/otto-schily.html
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