Es ist 1990 in Ost-Berlin, eine Phase der Veränderung zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. Die Schweizer Fotografin Nelly Rau-Häring dokumentiert die besondere Stimmung dieser Zwischenzeit in ihren Fotos.
Nach der Grenzöffnung im November 1989 können die Menschen ungehindert reisen: von Ost nach West und umgekehrt. Zwar gibt es noch zwei deutsche Staaten, aber der Alltag verändert sich. Auf den Straßen trifft Neues auf Altbekanntes: Am Imbiss gibt es Döner Kebab und Kaffee aus DDR-typischem Rationell-Geschirr. In den Straßen parken Trabis und bunte Plakate werben für Westmarken. Gaststätten und Geschäfte schließen, leerstehende Läden und Lokale prägen das Straßenbild. Ein paar Meter weiter bieten Straßenverkäufer neue Waren an.
Die Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 verheißt Aufbruch und viele Menschen stehen Schlange für die neue Währung. Gleichzeitig bleiben in den Tagen vor dem Umtausch viele Regale leer, da Westware die Ostprodukte ersetzen soll. Zahlreiche Widersprüche kennzeichnen diese Phase zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990.
Nelly Rau-Häring zieht 1965 als 18-Jährige nach West-Berlin und beginnt in der geteilten Stadt – in Ost und West – zu fotografieren. Auch 1990 fährt sie wiederholt nach Ost-Berlin und hält mit ihrer Kleinbildkamera flüchtige Straßenszenen fest. Sie hat ein feines Gespür für ausdrucksstarke Bilder, deren Vielschichtigkeit oft erst auf den zweiten Blick sichtbar wird. Ihr Interesse gilt den Menschen, aber ihre Momentaufnahmen geben ebenso Einblick in das von Gegensätzen geprägte Zeitgeschehen.