"Foto-Anschlag" lautete der Titel einer Publikation, die junge Fotografen 1988 im Eigenverlag in Leipzig veröffentlichten. Unter Ausnutzung gesetzlicher Lücken, vorbei an der Zensur in der DDR, zeigten die Künstler ihre Arbeiten, die im staatlich gelenkten Kunstbetrieb keinen Platz fanden.
Die Ausstellung des Zeitgeschichtlichen Forums greift den Titel bewusst auf. Am Beispiel von acht Fotografinnen und Fotografen aus vier Generationen gibt sie einen Überblick über die sozialdokumentarische Fotografie in der DDR: ein Genre, das sich gleichfalls den Erwartungen der Staatsmacht entzog.
In den vier Jahrzehnten der Teilung Deutschlands versuchten ostdeutsche Fotografen, die soziale Realität in der DDR ungeschminkt zu dokumentieren. Sie bildeten das alltägliche Leben ab, fern aller aufgesetzten Heldenposen: Familien, Freunde, Menschen bei der Arbeit und beim Feiern. So entstanden Fotografien, welche die Wahrheit hinter den propagandistisch aufgemöbelten Kulissen der DDR zeigen: Porträts, die von hoffnungsvollen Aufbrüchen und gescheiterten Träumen erzählen; Städtebilder, die Provinzialität, Tristesse und zunehmenden Verfall wiedergeben, aber auch die kleinen, unspektakulären Schönheiten des Alltags nicht verschweigen. In den überwiegend schwarz-weiß gehaltenen Arbeiten ist vergangene Wirklichkeit künstlerisch aufgehoben. Darin liegt ihr bleibender Wert.
Wegen ihres Wahrheitsanspruchs gerieten die sozialdokumentarischen Fotografen immer wieder in einen Gegensatz zur Propaganda der SED. Deren enge Vorgaben verlangten nach Jubelbildern von den Erfolgen des sozialistischen Aufbaus. Die unabhängigen Foto-Künstler versperrten sich diesen Forderungen. "Wir richten unsere Linse nicht nur auf das, was von vornherein ,schöne' Bilder verspricht", formulierte der 1983 verstorbene Fotograf Uwe Steinberg, "sondern auch auf nicht ganz so hübsche Mädchen und nicht ganz so russgeschwärzte Kumpel. Unsere Mädchen sollen lebendiger und unsere Arbeiterbilder wahrer sein." Viele der so entstandenen Aufnahmen erscheinen heute betont zurückhaltend. Doch gerade darin lag ihre Provokation. Die politisch Verantwortlichen in der DDR fürchteten die Macht der stillen Bilder, weil sie die offizielle Bildwelt des SED-Staates unmittelbar in Frage stellten: ein permanenter "Foto-Anschlag" im wahrsten Sinne des Wortes. Der Preis dafür war hoch: Veröffentlichungen in den staatlich kontrollierten Medien gelangen nur selten, Ausstellungen wurden geschlossen oder bereits im Vorfeld verboten.
Die Ausstellung präsentiert mehr als 300 Fotografien aus der Zeit von 1945 bis 1995. Im Mittelpunkt stehen Werke von
Arno Fischer (* 1927)
Evelyn Richter (* 1930)
Helga Paris (* 1939)
Christian Borchert (* 1942)
Margit Emmrich (* 1949)
Gerhard Gäbler (* 1952)
Ulrich Kneise (* 1961)
Merit Pietzker (* 1971).
In den Arbeiten wird, so unterschiedlich die Motive und künstlerischen Handschriften sind, das gemeinsame Anliegen offensichtlich: die kompromisslose Realitätstreue. Eine Gegenüberstellung zu Bildern der SED-Propaganda lässt dieses Wesensmerkmal der sozialdokumentarischen Fotografie der DDR noch deutlicher hervortreten. Ein Ausblick belegt die Vielfalt dieser Kunstrichtung.